Kategorie-Archiv: Belletristik

Sag nicht, dass du Angst hast

Sag nicht dass du Angst hast von Giuseppe CatozzellaGiuseppe Catozzella
Verlag: Albrecht Knaus Verlag
Erscheinungstag: 18. August 2014
Seitenzahl der Printausgabe: 257

Wie muss es sich angefühlt haben, eine Geschichte aufzuschreiben, Wort für Wort, Zeile für Zeile, die so voller Hoffnung ist? Eine Geschichte, deren trauriges und unveränderliches Ende dennoch von Beginn an feststand.

Wie wird es sich anfühlen, die Geschichte des hoffnungsvollen Mädchens zu lesen? Mit dem Wissen, dass ihre Hoffnung dazu verurteilt ist zu sterben.

Wie muss sich für das hoffnungsvolle Mädchen wohl genau dieser Moment angefühlt haben? Die Sekunde, in der ihr bewusst wurde, dass alles umsonst gewesen ist. Als ihre Hoffnung auf ein besseres Leben schwand. Als sie langsam unterging. Und nichts zurückblieb. Nicht einmal sie selbst.

Die Geschichte „Sag nicht, dass du Angst hast“, von Giuseppe Catozzella führt unweigerlich dazu, dass sich der Leser Fragen stellt. Nicht nur jene, die ich gerade genannt habe. Noch viele weitere. Und das ist nicht verwunderlich.

Aus Sicht vieler Bewohner der „Feste Europas“, jenes sicheren, so verheißungsvollen Fleckchen Erde, sind die Dramen, die sich vor ihren Mauern abspielen, ein großes Fragezeichen. Zwar hören wir  in den Nachrichten von den vielen Glücklosen, die im Mittelmeer ihr Ende finden, kurz vor dem vermeintlich sicheren Hafen. Aber was wissen wir wirklich über diese Menschen? Was wissen wir über den Hintergrund ihrer Flucht? Was wissen wir über die Situation in ihren Heimatländern? Was wissen wir über ihre Ängste, ihr Strapazen, ihre Hoffnungen? Was wissen wir darüber, was sie alles riskiert haben für die Aussicht auf ein besseren Leben? Die Antwort ist kurz: Wenn überhaupt, wissen wir wenig, so gut wie nichts.

Und genau das will Guiseppe Catozzella mit seinem Roman „Sag nicht, dass du Angst hast“ ändern. Das Außerordentliche an dem Buch besteht darin, dass er die Flüchtlingsthematik nicht in einer Dokumentation aufarbeitet, die Fakten an Fakten reiht, sondern als Darstellungsform einen Roman gewählt hat: Einen Roman, erzählt aus der Ich-Perspektive. Damit schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe. Catozzella gibt den Lesern die Möglichkeit, sich mit der Geschichte zu identifizieren, sie nachzuempfinden. Er durchbricht die sichere Distanz, die Dokumentationen anhaftet und verzichtet auf den „gehobenen Zeigerfinger“, der sich in mach Sozialreportage zu nachdrücklich auf die Leser richtet. Und noch wichtiger: Mithilfe des Romans gibt Catozzella seiner Protagonistin Samia und allen anderen namenlosen Flüchtlingen ein Gesicht und eine Stimme.

In „Sag nicht, dass du Angst hast“ erzählt der italienische Journalist die Lebensgeschichte der jungen Somalierin Samia, die Zeit ihres Lebens gekämpft hat: Nämlich dafür, ihrer Bestimmung zu folgen und zu laufen. Als Samia 2008 bei den Olympischen Spielen angetreten ist, ging ihr Gesicht um die Welt. Denn was hätte sich besser geeignet, um die westlichen Gemüter anzurühren, als das Märchen von der kleinen Läuferin aus dem Krisenland, dünn wir ein Ast, die die Herzen im Sturm eroberte, als sie als letzte ins Ziel gelaufen kam. Samia hatte schon damals keine Chance zu gewinnen. Wie sollte sie auch – ohne professionelles Training, ohne Muskelmasse, ohne vernünftige Ernährung, ohne Perspektive. Und auch später, als es nicht nur um den Sieg bei einem Sportwettbewerb, sondern um ein besseres Leben ging, war sie so gut wie chancenlos. Dennoch wollte sie ihr Schicksal nicht hinnehmen. Die „kleine Kriegerin“ hat den weiten Weg auf sich genommen, um ihren Traum zu verwirklichen: Sie wollte laufen, sie wollte leben, frei von Zwängen, und hat letztlich dafür ihr Leben gegeben.

Eingangs habe ich gefragt, wie es sich wohl anfühlen würde, über sie zu lesen. Über das hoffnungsvolle Mädchen, dessen Träume am Schluss mit ihr selbst untergingen.

Insgesamt, so weiß ich heute, Tage nach Ende der Lektüre, war es seltsam bereichernd. Denn Samias Geschichte hat das geschafft, was die wenigsten vermögen: Sie arbeitet in mir nach, lässt mich nicht los. Ich erzähle viel über dieses Buch, denke immer wieder daran. Bin froh über die neue Perspektive, die ich gewonnen habe: Einen Blick auf das mir so fremde Somalia und dessen Menschen. Einen Blick auf deren Alltag, die ausgelassenen und fröhlichen Stunden, die immer weniger wurden. Einen Blick auf das so tapfere, Mädchen, das wahrlich den Beinamen „kleine Kriegerin“ verdient. Natürlich war die Lektüre auch traurig und aufwühlend. Vor allem das letzte Drittel des Romans, die monatelange Flucht, von einem Ort zum nächsten. Das ständige Warten. Die Enge. Die Verzweiflung. Das Schwinden der Hoffnung. Der Teil, in dem Samia sich nicht mehr als Mensch fühlte. In dem sie ihre Würde, ihre Rechte verlor, der Willkür der Schlepper völlig ausgeliefert war. Doch es war wichtig, auch diesen dunklen Teil gelesen zu haben, der dem Autor eine schriftstellerische Höchstleistung abverlangte. Denn er gibt Einblick in eine Realität, vor der wir die Augen nicht verschließen sollten.

Ich bin froh, dass Guiseppe Catozzella sich dafür entschieden hat die Geschichte von Samia Yusuf Omar zu recherchieren, auch wenn die Arbeit an diesem Roman sicherlich nicht einfach war. Sie hat sich mehr als gelohnt. Schon 2008 bei den Olympischen Spielen konnte das dünne, somalische Mädchen, das kein Mitleid wollte, die Menschen vor ihren Fernsehgeräten bezaubern. Und das tut sie wieder – in diesem Buch. Ihr kurzer Ausflug ins Blitzlichtgewitter konnte ihr Schicksal nicht ändern. Aber zumindest lenkt es – hier festgehalten – die Aufmerksamkeit auf jene Namenlosen, die noch immer Tag für Tag vor Europa stranden.

 

 

 

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Die wundersame Geschichte der Faye Archer

die wundersame Geschichte der Faye ArcherChristoph Marzi
Klappenbroschur: 384 Seiten
ISBN: 978-3-453-52992-2
Erscheinungstermin: 12. August 2013
Verlag: Heyne

„Bücher haben eine Seele“, heißt es in Christoph Marzis Roman „Die wundersame Geschichte der Faye Archer“. Und keiner müsse sie suchen. „Die Seele des Buches findet den Leser selbst.“ Schöne Worte in einem schönen Buch, könnte man denken. Aber seltsamer Weise wurden sie wahr. „Die wundersame Geschichte der Faye Archer“ hat mich auf wundersame Weise gefunden: Denn eigentlich kehre ich Büchern aus Papier den Rücken zu; stattdessen lese ich Geschichten „aus Bits und Bytes“, die laut Faye Archer gar keine richtigen Bücher sind. Das sollte sich eigentlich auch so schnell nicht ändern – hat es aber dennoch.

Es passierte zufällig in einer Buchhandlung, in nur wenigen Warteminuten. Ich hab meine Blick schweifen lassen, ein buntes Cover hat meine Augen gestreichelt und schon waren alle gute Vorsätze, nicht noch weitere Bücher in meiner Wohnung anzuhäufen, passé. Faye Archer hat mir ihre Seelenverwandtschaft angetragen und ich habe sie beglückt angenommen.

Und dieses Glücksgefühl hielt bei der Lektüre des 384-Seiten dicken Buches an.
„Warum genau? Fang endlich an zu rezensieren!“, drängeln die weniger geduldigen Leser bestimmt schon. Nun, ich versuche so nachvollziehbar wie möglich zu begründen, warum Sie dieses Buch unbedingt lesen sollten, habe aber die Befürchtung, dass es mit Worten nicht immer gelingen kann, alle Facetten, Farben und Formen einer Geschichte einzufangen.

Dennoch: Die Handlung, wie ich als Vielleserin schon so oft erlebt habe, ist es nicht, die „Die wundersame Geschichte der Faye Archer“ zu einem abenteuerlichen Leseerlebnis macht: Faye Archer verliebt sich in eine Satz bzw. eine Stimme. Manche Geschichten sind wie Melodien, sagt Alex Hobdon, und um Faye ist es geschehen. Sie muss ihn unbedingt kennenlernen und wagt es, ihn per Facebook zu kontaktieren. Daraus entsteht eine leidenschaftliche „Brieffreundschaft“, die Faye darauf hoffen lässt, den Richtigen gefunden zu haben. Nur blöd, dass sich Alex Mails nach und nach als Lügen herausstellen… und Faye trotzdem nicht von ihm lassen kann.

Warum ich nicht von der Geschichte lassen konnte, liegt wie gesagt nicht am Plot, sondern an Faye selbst und Alex und Mica und all den anderen. An Figuren einer Geschichte, die dir so nah und authentisch erscheinen, als würden sie nebenan wohnen. An einer Protagonistin, die nicht perfekt ist, aber dafür wunderbar, die „nicht so hübsch ist, dass sich die Männer auf der Straße reihenweise nach ihr umdrehen, aber auch nicht so unscheinbar, dass sie gar keinen Eindruck hinterlässt“. An Faye, die sich rot fühlt mit weißen Punkten, wenn sie glücklich ist, und tatsächlich überlegte, ob sie „mit den Staubkörnen, die träge im Licht schwebten, tanzen sollte“.

Kurzum, lieber Leser, es geht um die Melodie zwischen den Zeilen, um das Unausgesprochene, um Emotionen jenseits der Buchstaben, um die Seele eines Buches!

Aus diesem Grund wohl hat der Autor die Geschichte um Faye und Alex meilenweit entfernt von jeglicher Vernunft gipfeln lassen. Aber das ist nicht wichtig. Denn, um es mit den Worten von Christoph Marzi zu sagen: „Es gibt Momente, die so unwirklich sind, dass man sie nicht begreifen kann, nicht mit dem Verstand, sehr wohl aber mit dem Herzen. “ Die wundersame Geschichte der Faye Archer ist so ein Buch, dass man nur mit dem Herzen begreifen kann. Man muss sie nicht verstehen, um zu ihrer Melodie tanzen zu können! „Nein, man musste sie nur hören.“ – weiß Faye am Ende.

Leseprobe: Die wundersame Geschichte der Faye Archer von Christoph Marzi

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Im Land des Feuervogels

Im Land des FeuervogelsSusanna Kearsley
Kartoniert
: 544 Seiten
Erscheinungstermin: 13.08.2013
ISBN: 978-3-492-30285-2
Verlag: Piper

Die Welt der Märchen haben mich seit jeher fasziniert. Waren es in Kindertagen noch die gesammelten Hausmärchen der Brüder Grimm, die mich immer wieder von neuem bezaubern konnten, waren es später oftmals phantastische Romane. Oder Geschichten, die die Grundidee eines Märchen aufnehmen, jedoch für die Ohren von Erwachsenen erzählt werden.

„Im Land des Feuervogels“ von Susanne Kearsley ist genau so ein Buch. Die Autorin hat rund um das Motiv des Feuervogel, das aus dem russischen Volksglauben stammt, nicht nur eine, nein, sogar zwei Geschichten gesponnen:  Eine Rahmenhandlung in der Gegenwart, in der ein geschnitzter Feuervogel, der zufällig in die Hände der jungen Galeristin Nicola Marter gerät, zum Ausgangspunkt einer Abenteuerreise wird. Auf dieser Reise verschwimmen Zeit und Raum jedoch allmählich, und der Leser taucht ein in eine andere, Jahrhunderte alte Geschichte, mit dem Unterschied, dass der Feuervogel in der Vergangenheit nicht Ausgangspunkt der Abenteuerreise, sondern das Ziel ist. Und wie es in märchenhaften Geschichten wohl sein muss, hat Susanne Kearsley nicht nur zwei Handlungsebenen geflochten, sondern eine Sinnebene dahinter gestellt, die wiederum der Logik der Feuervogel-Märchen entspricht:

„Der Feuervogel verliert eine Feder. Und wenn man dumm genug ist, sie aufzuheben und den Vogel zu jagen, kriegt man richtig Probleme. […]  Und erlebt viele Abenteuer. […] Aber was man am Ende bekommt, ist eigentlich nicht das, was man gesucht hat.“

Was Nicola Marter am Ende bekommt, ist wahrlich nicht, was sie gesucht hat, sondern noch viel mehr. Die Suche nach dem Feuervogel in der Zeit Zarin Katharinas bringt die Protagonistin dazu, sich ihrer selbst zu stellen, ihrem wahren Wesen und einer Gabe, mit der sie nicht umzugehen weiß und die sie vor sich selbst versteckt.

„Im Land des Feuervogels“ ist sowohl Historienroman wie auch Märchen, Liebesgeschichte sowie Entwicklungsroman, mutet an manchen Stellen phantastisch an, ist aber keine Fantasy.

Vielmehr schlendert der Leser mit Susanne Kearsley durch Jahrhunderte und fremde Länder, gerät in die Wirren der Jakobitenaufstände, kämpft an Seiten der kleinen Anna und erlebt staunend das Russland unter Peter dem Großen und Katharina I.

Obwohl Susanne Kearsley in ihrem Roman „Im Land des Feuervogels“ geschichtlichen Stoff gekonnt zu einer mitreißenden Geschichte komponiert, ist es nicht das „Geschichtserlebnis“, das mir besonders in Erinnerung bleibt, sondern die Tatsache, dass ich problemlos von einem Handlungsstrang in den anderen getaucht bin und mich nicht entscheiden konnte, ob ich lieber auf den Spuren von Anna im historischen Sankt Peterburg wandelte oder gemeinsam mit Nicola im heutigen Russland dem Geheimnis des Feuervogels nachspürte. Dies zeigt, dass beide Geschichten ebenbürtig waren und sind.

Die Botschaft, die zwischen den Zeilen steht, ist jedoch jenseits von Zeit und Raum, Vergangenheit und Zukunft angesiedelt, sie ist zeitlos: Es ist kein Makel, anders zu sein, vielmehr ist es ein Geschenk.

Ich danke dem Piper Verlag und Lovelybooks für das Leseexemplar.

Leseprobe: Im Land des Feuervogels von Susanna Kearsley

 

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Wie Blüten im Wind

045060461-wie-blueten-im-windKristin Hannah
E-Book: Kindle Edition – 7,99 Euro
Verlag:
Ullstein
Erscheinungsdatum: 14. Januar 2013
Sprache:
Deutsch
ISBN-13: 978-3499267031
Originaltitel:
Night Road

Die Beziehung von Zwillingspärchen fasziniert seit jeher: Zwei Menschen, die zusammen aufwachsen, zwischen denen ein unausgesprochenens Einverständis herrscht, die von Beginn ihres Lebens an durch ein unsichtbares Band verbunden sind und kompromisslos für den anderen Einstehen – doch wie schmerzhaft muss es sein, wenn diese Geschwisterbeziehung durch einen tragischen Unfall gekappt wird und nur ein Zwilling überlebt? Wie verarbeiten Eltern einen solchen Verlust? Jeder Mensch, der Zwillinge in ihrer natürlichen Einheit erlebt hat, muss ahnen, dass sich damit ein unvorstellbarer Abgrund auftut und eine klaffende Wunde entsteht, die nie mehr wieder heilen kann.

Kristin Hannah spitzt die Tragik in ihrem Roman „Wie Blüten im Wind“ jedoch noch zu. Sie erzählt die Geschichte der 18-jährigen Lexi, die ihre Kindheit mutterlos und vernachlässigt erlebt und erst lernt, was Freundschaft und Liebe bedeutet, als sie das Zwillingspaar Mia und Zach kennenlernt. Mit dem Tod Mias verliert Lexi nicht nur ihre einzige Freundin und ihre große Liebe, sie muss ohmächtig mitansehen, wie ihr ihr Leben entgleitet und der Albtraum ihrer Kindheit sie einholt.

Schon nach wenigen Seiten des Romans, war ich unsicher, ob ich weiterlesen sollte. Nicht weil mir der Schreibstil und die Erzählweise Hannahs nicht zusagte – ganz im Gegenteil. Jedes ihrer wohl gewählten Worte nahm vorweg, dass sie das Leid der Protagonisten unbeindruckt und ungeschminkt offenlegen würde – doch genau das stellte mich vor die Frage: Will ich wirklich eintauchen in dieses Meer aus Schmerz und Tränen?

Ich habe mich dazu entschlossen, die Augen zuschließen und mich einfach kopfüber in die Geschichte zu stürzen, die weit vor dem Unfall einsetzt. Bevor Kristin Hannah die Bombe platzen lässt, baut sie vor den Augen ihrer Leser eine bunte Welt auf, fast perfekt, in der sich zwischen der vom Schicksal gebeutelten Lexi und der sensiblen Mia eine unum- stößliche Freundschaft entwickelt. Die zarten Gefühle, die Lexi für Mias Zwillingsbruder empfindet werden genauso glaubhaft dargestellt, wie die Liebe der Zwillingsmutter zu ihren Kindern.

Als in der Mitte des Buches das Unfassbare passiert, verkehrt sich die perfekte Welt und die Protagonisten fallen allesamt für sich in einen Abgrund aus Schuld und Sühe, Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Können Sie sich gegenseitig irgendwann verzeihen und sich mit der Vergangenheit versöhnen?

Mein Fazit: Kristin Hannah ist eine äußerst talentierte Geschichtenerzählerin. Immer wieder habe ich mir Stellen markiert, die so lautmalerisch und unkonventionell sind, dass ich nicht einfach darüber hinweglesen konnte. Die große Stärke des Romans liegt wohl auch darin, dass Hannah die Geschehnisse aus unterschiedlichen Perspektiven schildert, mal aus Sicht des Bruders, mal aus Lexis Sicht und immer wieder aus der Perspektive der trauernden Eltern. Auch hat mich als Zwilling die Thematik des Romans besonders gereizt. Dennoch ist die Geschichte für meinen Geschmack einen Hauch zu dramatisch und besitzt bisweilen Längen. Ich empfehle „Wie Blüten im Wind“ denjenigen, die sich nicht davor scheuen, Tränen zu vergießen. Am Ende wird das Durchalten belohnt.

Leseprobe: Wie Blüten im Wind

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Liebe unter Fischen

René Freund
Hardcover: 208 Seiten
Erscheinungsdatum: 28.01.2013
Deuticke Verlag
ISBN: 978-3-552-06209-2

Fred Firneis ist ein Schöngeist wie er im Buche steht. Er beschäftigt sich nicht nur mit existentiellen Fragen, sondern steckt selbst fest in einer Existenz- und Schaffenskrise. Früher sprudelten die Worte des Erfolg-Lyrikers nur so, heute sprudelt vor allem der Alkohol. Firneis hat sich verloren, im Überfluss, in der Schnelligkeit, in der Tristesse des Alltags. Das ist ein Problem – nicht allein für Fred. Denn nicht nur der Markt lechzt nach Poesie-Nachschub des Dichters, auch seine Verlegerin, die kurz vor dem finanziellen Ruin steht. Doch wie nur kann die Schreibkrise des österreichischen Berliners überwunden werden? Wie nur kann schnellstmöglich ein neuer Gedichtband entstehen?

Die Antwort ist klar: Nur mit rabiaten Mitteln. Mehr oder weniger in die Wildnis der österreichischen Alpen ausgesetzt, soll Fred zu sich finden. Abgeschnitten von der Außenwelt findet er jedoch viel mehr. Die vermeintliche Einöde entpuppt sich als Naturparadies, verschlossene und einsilbige Einheimische als neue Freunde und eine hübsche Biologin als eine wahre Muse. Doch kann sich der Schöngeist vom bleiernen Ballast des Alltags wirklich befreien und wieder lernen richtig zu „Atmen“?

René Freunds Roman „Liebe unter Fischen“ ist ein Kleinod für diejenigen, die zusammen mit Fred Firneis die Uhren ausstellen wollen und sich treiben lassen von Gedanken und Gefühlen,  vom natürlichen Rhythmus des Tages und den Kräften der Natur – ein Buch also für Leser, die sich Zeit nehmen möchten, die Welt mit Kinderaugen neu zu entdecken, das Wunder des Gewöhnlichen zu bestaunen und in der Langsamkeit das Leben – das sonst rasend schnell vorbeizieht – wieder zu spüren.

Aus meiner Sicht ist es weniger der Plot, von dem „Liebe unter Fischen“ lebt, sondern der einzigartige Erzählrythmus und die wunderschönen Bilder, die Fred in seinen Briefen an seine Verlegerin festhält: Ist der Ton und der Rhythmus zu Beginn des Romans noch dem Großstadtleben des Schriftstellers angeglichen, klingt alles schrill, schnell, laut. Da sind die vielen SMS der Verlegerin, die unzähligen Anrufe auf dem AB, das ungeduldige Klopfen an der Tür, der maßlose Alkoholkonsum – alles wirkt übersättigt, der Kopf dröhnt. Spätestens in der Einfachheit und Kargheit der Berghütte wechselt der Ton. Der Erzählfluss erscheint plötzlich langsamer, gemächlicher und reiner. Je mehr sich das Gemüt des Lyrikers klärt, umso länger und tiefgründiger werden seine Briefe, in denen er offen seine Gedanken, Ängste und Wünsche kommuniziert. Der Leser kann sich zurücklehnen, mit Fred Firneis das Jodeln lernen, eintauchen in die Farbe des „Juchitzers“ und sich überwältigen lassen von den erst kitzelnden und später überschäumenden Gefühlen einer jungen Liebe. Und freilich gewinnt der Roman wieder an Fahrt, Schnelligkeit und Esprit, wenn die Schauplätze wiederum wechseln und Fred kopfüber eintaucht in sein „neues Leben“.

Den Vergleich mit „Gut gegen Nordwind“, der auf dem Buchcover gezogen wird, hält „Liebe unter Fischen“ aber nicht stand – oder besser ausgedrückt: Die beiden Romane sind schlichtweg nicht vergleichbar. „Gut Gegen Nordwind“ ist ein moderner Liebesroman. In „Liebe unter Fischen“ steht dagegen die Entwicklung des Autors Fred im Mittelpunkt: Die Suche nach sich selbst, die Suche nach einem Rettungsanker in einem übersättigten und von den Reizen des Technologiezeitalters überfluteten Leben, die Suche nach einem Sinn, die Suche nach dem Glück. Freilich ist auch Fred verliebt, quillt über vor Emotionen beim Gedanken an seine Mara. Dieses zarte Verliebtsein ist jedoch nie dominierend, sondern ein Baustein in des Dichters Neuanfang.

Aus meiner Sicht steht „Liebe unter Fischen“ für sich und wird alle diejenigen begeistern, die die Augen öffnen für wunderschöne Bilder und sich begeistern lassen vom Witz und den ausgefeilten, zuweilen komischen Charakteren.

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Ein ganzes halbes Jahr

Jojo Moyes
E-Book:
Kindle Edition – 12,99 Euro
Verlag:
rororo
Erscheinungsdatum: 21. März 2013
Sprache:
Deutsch
ISBN-13: 978-3499267031
Originaltitel:
 Me Before You

Mark Twain sagte einmal – so heißt es – dass der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen derselbe Unterschied sei, wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen. Ich habe dieses Zitat lange nicht wirklich verstanden. Doch jetzt tu ich es. Ich verstehe seine Worte, seit ich Jojo Moyes Roman „Ein ganzes halbes Jahr“ gelesen habe. Ihre Geschichte hat mich wie ein Blitz getroffen, ihre einfachen, aber umso treffenderen Worte hallen wie Donnerschläge in meinem Kopf nach und haben mir die Augen geöffnet auf ein sensibles und stilles Thema, vor dem ich bisher gut und gerne meine Ohren verschlossen habe.

Genauso geht es der schusseligen und liebenswürdigen Louisa Clark, die ein denkbar unspektakuläres Leben in einer englischen Kleinstadt führt. Louisa weiß weder ob sie ihren von Körperfettwerten besessenen Freund eigentlich liebt, noch was sie überhaupt vom Leben will, bis die Suche nach einem neuen Job sie zufällig an Will Traynor geraten lässt: Einen C5/C6 Tetraplegiker, von der oberen Brust ab gelähmt, ein Mann mit einem leeren Blick, der sich fest entschlossen hat nicht mehr dem energiegeladenen und lebensbejahenden Senkrechtstarter zu ähneln, der er vor seinem Unfall mal war.

Dieser Roman, der mit Louisas Arbeit als Pflegekraft und Aufpasserin  für den „von seiner Krankheit ermatteten und vom Leben ermüdeten“ Will beginnt, ist die berührende Geschichte zweier Menschen, die sich unter normalen Umständen niemals begegnet wären, die unterschiedlicher nicht sein könnten, doch deren Seelen sich auf unergründliche Weise berühren. Die Geschichte von zwei Menschen, die ein stilles Glück in einem Meer aus Schmerz erleben, die sich herausfordern, trösten und heilen und dennoch lernen müssen Entscheidungen aus Liebe zu akzeptieren, auch wenn sich alles in einem dagegen sträubt.

Nachhaltig beeindruckt hat mich aber nicht nur das Beziehungsgeflecht zwischen dem „nervenden, launenhaften, schlauen, humorvollen Will, der den Professor Higgins spielen wollte“ während Lou die Eliza Doolittle gab, sondern die schonungslose und befreiend mehrdimensionale Darstellung all der unvorstellbaren Herausforderungen, mit denen Tetraplegiker täglich zu kämpfen haben.  Da ist nicht nur die Rede von fehlender Bewegungsfreiheit, man liest von einer „unendlichen Serie von Demütigungen und Gesundheitsproblemen, von Risiken und Schmerzen“, von Ängsten und falschem Mitleid. Man erfährt, dass ein solcher Unfall nicht nur das Leben des Betroffenen ändert, sondern ganze Familien in ihren Grundfesten wanken lässt, man liest von der mehr als wichtigen Arbeit von Pflegern wie dem unerschütterlichen Nathan, man liest ebenso von einem seltenen Lächeln, so wertvoll wie ein ganzes Königreich, und vor allem liest man von Sinnlichkeit, da wo man sie nie erwartet hätte!

Denn gerade diese Sinnlichkeit, die aufkommt, wenn Louisa Wills rosafarbene Nägel betrachtet, die nur mehr von anderen geschnitten werden können, die aufkommt beim männlichen Geruch seiner Haut oder bei der Berührung seiner Finger, lässt sich nicht ignorieren und darüber hinwegtäuschen, dass jenseits des Rollstuhls immer noch ein Mensch mit Gefühlen und Bedürfnissen sitzt.

Mir fiele noch so viel mehr ein, was es über dieses stille, handlungsarme (in Bezug auf die wenigen Ortswechsel, was die Geschichte in Anbetracht von Wills Bewegungsunfähigkeit nur noch eindringlicher macht), aber dafür umso tiefere Buch zu sagen gibt, doch nur noch eins: Auch wenn bei Jojo Moyes Roman „Ein ganzes halbes Jahr“ kein Auge trocken bleibt, ist die Geschichte von Will und Lou absolut lebensbejahend – mehr noch: eine Laudatio darauf, nicht im Stillstand zu verharren, sich täglich aufs neue herauszufordern und hoch erhobenen Hauptes ein „unerschrockenes Leben“ zu führen – denn es ist zu wertvoll, um nur eine Sekunde zu vergeuden!

Dieses eindringliche Buch über den unerschrockenen Will und die leuchtende Lou hat mich wahrhaft bereichert!

Leseprobe: Ein ganzes halbes Jahr

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Ich wünschte, ich könnte dich hassen

Lucy Christopher
Verlag:
Carlsen Verlag; Februar 2011
Taschenbuch:
368 Seiten
Originaltitel: Stolen
ISBN-13:
978-3551520081
Leseprobe

Noch immer klingen die einzelnen Sätze von Lucy Christophers Roman „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“  in meinen Ohren und machen mich sprachlos. Ich bin sprachlos darüber, was ich in den letzten 24 Stunden gelesen, nein, vielmehr gierig in mich aufgesogen habe: Die Geschichte einer Entführung, deren Plot, so schrecklich, so unvorstellbar wie er ist, nur weniger Worte bedarf: Ein junges Mädchen, Gemma,  gerät am Flughafen in die Hände ihres Häschers. Alles ist von langer Hand geplant. Bevor sie sich versieht, strandet sie im australischen Nirgendwo, gerissen aus der ihr bekannten Welt. Dort wo sie nun festgehalten wird gibt es kein Entrinnen, es gibt keine Hoffnung, nur Verzweiflung, karges, tödliches Land und Ty…

Wie kann es also dennoch sein, dass Gemmas Hassgefühle umschlagen in so etwas wie Liebe? Wie kann es sein, dass das todbringende Land ihrer Gefangenschaft sich spürbar wandelt in eine lebendige Oase? Und wie kann es sein, dass der Leser in Ty, Gemmas Entführer, nicht zwingend ein Monster sieht, sondern die Augen richtet auf den gebrochenen, sensiblen Teil seiner Seele? Ich bin wie betäubt von den schmerzhaften Wegen, die diese Geschichte und ihre Protagonisten gehen. Und gleichzeitig bin ich sprachlos, dass ich diese Entwicklung völlig glaubhaft empfinde und jeden ihrer Gedanken verstehen kann.

Aber wie soll ich das in nachvollziehbare Worte fassen?  Wie soll ich eine Rezension über ein Buch schreiben, dass so anders ist, sich so grundlegend von bekannten Mustern unterscheidet, dass man selbst nicht glauben kann, was man da gelesen hat? Wie soll ich dem Leser klar machen, dass „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ein mehr als lesenswertes Buch ist, obwohl es von Dingen erzählt, die sich kein Mensch auf dieser Welt wünscht, die verstörend und furchtbar sind? Wie kann ich ihm vermitteln, dass die Geschichte um Gemma und Ty hart, grausam und traurig, aber gleichzeitig sanft, zart und wunderbar leuchtend ist – sanft wie der Flügelschlag des Nachtfalters in Gemmas Händen, zart wie der kühl die Haut liebkosende Morgen in Sandy Desert, leuchtend wie die Abertausend Sterne über dem einsamen Haus im Nirgendwo, in dem Gemma sich aufgegeben und neu erfinden musste.

Ich bin fassungslos über die Idee, die diesem Buch zugrunde liegt. Über die Geschichte, die Lucy Christopher erzählt, eine Geschichte, die ich mir in den kühnsten Träumen nicht hätte ausdenken können. Ich bin fassungslos darüber, was diese Geschichte mit mir gemacht hat. Ich bin fassungslos, welch unvermutetes Leben, welch unerwartete Schönheit Lucy Christopher dem Leser in der kargen Landschaft der australischen Wüste offenbart.  Ich bin fassungslos, weil ich genau weiß, was krank und falsch ist, und trotzdem spüre, was Gemma spürt und weil sich Böse und Gut vor meinen Augen vermischen. Ich bin fassungslos über das Ende der Geschichte, das gut und richtig war und weil ich mir insgeheim genauso wie Gemma ein anderes Ende hätte vorstellen können. Ich bin fassungslos, was geschriebene Worte auslösen können. Ich bin fassungslos weil ich bunte Farben vor meinen Augen sehe, Kringel, Punkte, bin fassungslos, weil ich wie ein Vogel über Sandy Desert fliege. Ich bin verstört, atemlos, vor allem aber bin ich froh Gemmas und Tys Geschichte gelesen zu haben.

Lieber Leser, ich weiß nicht, ob diese Geschichte das gleiche mit Dir macht, wie mit mir. Aber eins verspreche ich Dir – sie wird Dich berühren!

Zu guter Letzt sei eins gesagt: „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ist mitnichten ein Jugendbuch. Erwachsene Leser sollen sich nicht davon abhalten lassen, in die Geschichte von Gemmas Entführung einzutauchen.

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Rabenblut drängt

Nikola Hotel
E-Book:
Kindle Edition
Dateigröße:
599 KB
Sprache: Deutsch
ASIN:
B008CQYYQK
Leseprobe: Rabenblut drängt

Manchmal dauert es Wochen, Monate, gar Jahre, bis es wieder passiert: Bis man ein Buch in Händen hält, bei dem man Wort für Wort, Zeile für Zeile, spürt, dass man ein Kleinod aufgetan hat – einen Leseschatz, der vor dem inneren Auge eine Parallelwelt eröffnet, in der man atmet und leidenschaftlich lebt, bis man die letzten Buchstaben in sich aufgesogen hat. „Rabenblut drängt“ von Nikola Hotel gehört zu diesen einzigartigen Büchern.

Nur durch Zufall bin ich auf das E-Book aufmerksam geworden, das für gerade mal  3,99 Euro feilgeboten wird – ein Preis, der einem nahezu lächerlich gering vorkommt, hat man erst einmal bemerkt, welch außergewöhnliches Buch man in Händen hält.

Die Autorin erzählt die Geschichte eines Raben, halb Mensch, halb Tier, auf dem seit Generationen ein Blutfluch lastet. Tief in den urwüchsigen Wäldern des Böhmerwaldes zurückgezogen, versucht der Protagonist Alexej sich und seinen Schwarm zu schützen und dem Schicksal zu trotzen, das den Vätern bereits zum Verhängnis geworden ist – jedoch vergeblich. Als sich die Ereignisse überschlagen, und der Fluch nicht nur den Schwarm, sondern auch das Leben von Isabeau gefährdet, einer jungen Frau, die in Alexej längst begrabene Hoffnungen weckt, muss er sich seinen Widersachern stellen.

Liest man diesen Plot, könnte man denken: Nikola Hotel bedient sich im Auftaktroman ihrer Rabensaga einem altbekannten Erfolgsrezept. Mystische Elemente werden geschickt zu einem Cocktail mit köstlichen Zutaten wie Spannung, Herzschmerz und Liebe gemischt, den jede leidenschaftliche Romantasy-Leserin gierig und nur allzu gerne verschlingt. Nun, mit dieser Einschätzung hat man nicht unrecht: „Rabenblut drängt“ ist mystisch, romantisch, herzzerreißend und höllisch spannend – Die Geschichte um Alexej und Isabeau ist aber noch viel mehr.  Im Gegensatz zum Romantasy-Mainstram hat es Nikola Hotels Geschichte geschafft, mich tief zu berühren.

Ihre Erzählweise hat Töne in mir angeschlagen, die bis heute nachklingen. Schon nach wenigen Seiten hat die bildhafte und lautmalerische Sprache meine Sinne geschärft und so nachhaltig zum Schwingen gebracht, dass ich nicht mehr nur Hotels Worten über ihren atmosphärischen Schauplatz gelauscht habe, sondern selbst knirschend Schritt für Schritt durch den Böhmerwald gewandelt bin. Bei jedem Flügelschlag Alexejs hab ich die „wispernden Winde“ um meine Ohren gespürt und immer wieder Bilder vor mir gesehen – völlig unkonventionell, völlig neu – die mich dazu verleitet haben, innezuhalten und darüber nachzudenken und mich schließlich mit einem Lächeln auf den Lippen wieder eintauchen ließen in diese Welt, die mit Worten geschaffen wurde, aber einen so lebendig fühlen lässt, als wäre man selbst vor Ort.

Dieses völlige Eintauchen in die Geschichte wird jedoch nicht nur durch die bildhaften Naturbeschreibungen möglich, sondern auch durch die Musik. Der Leser lauscht nicht einfach den Klängen beim Spiel Alexejs auf dem Piano: bunt schwirrt vor dem inneren Auge jeder Ton durch die Luft, mal sanft, mal kreischend, bis man sich selbst mehrmals schelten muss, warum man eigentlich – ähnlich wie Isabeau – bis jetzt der klassischen Musik eine Absage erteilt hat.

Jenseits der sprachlichen Finesse sind es aber vor allem die eigensinnigen und authentischen Charaktere, die „Rabenblut drängt“ auszeichnen (und immer wieder zum Schmunzeln bringen): Wer wünscht sich nicht eine solch lebendige Freundin wie Lara? Wen berührt nicht das tollpatschige, aber so herzliche Auftreten von Jaro, dem Raben-Neuling? Wer lässt sich nicht allzugerne anstecken von der sprudelnden Energie von Nikolaus? Und wer ist nicht gebannt von der bedrohlichen Präsenz, die von Sergius ausgeht?

Über „Rabenblut drängt“ gibt es so viel zu sagen, dass es den Rahmen einer Rezension sprengt. Deshalb nur folgendes: Lest dieses bezaubernde Buch, in dem ihr längst vergessenen Worten der Bildungssprache begegnen werdet (zum Beispiel „genant“), in dem ihr Musik atmen werdet  (zum Beispiel von Dvořák , Liszt und Rachmaninov), in dem ihr das wilde, lebendige und leider vielen immer noch so fremde Osteuropa erleben werdet. Lest dieses Buch und spürt, was es bedeutet, wenn einem durch die Brille der Literatur eine sinnliche Welt erschlossen wird. Von Nikola Hotels Rabensaga wird man– so hoffe ich – noch sehr viel mehr hören.

Ich für meinen Teil wähle nun ausschließlich den längeren Weg durch den angrenzenden Park, bei dem mich schon von Weitem das laute „Kroak“ meiner neuen Rabenfreunde begrüßt…

Interview mit der Autorin Nikola Hotel lesen

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Das Schicksal ist ein mieser Verräter

John Green
Verlag: Hanser
Gebundene Ausgabe: 285 Seiten
ISBN: 978-3446240094
Orginaltitel: The Fault in Our Stars
Erscheinungstermin: 30 Juli 2012

Halb Deutschland scheint über John Green zu reden, hab ich mir gedacht, als ich innerhalb von kurzer Zeit immer wieder über diesen Namen und den eindrücklichen Titel: „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ gestolpert bin. Irgendwann wollte ich dann einfach testen, ob die Geschichte um die zwei krebskranken Protagonisten Hazel und Gus wirklich das halten kann, was die Feuilletons der Republik einhellig preisend und jubelnd versprechen: „Der beste John Green, den es je gab“, ein Buch, „das jeder lesen“ sollte, „anmutig, komisch, kostbar“, das zum Weinen und zum Lachen bringt – so heißt es da. Und dass es zurzeit kein bewegenderes Buch geben soll.

Kann das wirklich stimmen, stellt sich da die Frage oder wird hier maßlos übertrieben und ein Autor willentlich gepuscht? Mit diesen Gedanken hab ich begonnen das Jugendbuch über die 16-jährige Hazel zu lesen, die „gerne ein Mensch war“, der das Schicksal aber in ihren jungen Jahren schon übel mitgespielt hat. „Schilddrüsenkrebs, mit umfänglichen und hartnäckigen Metasthasen in der Lunge“ ist Hazels Bilanz, oder in anderen Worten: das Leben als „tickende Zeitbombe“, wie man schon nach einigen Seiten des Romans erfährt. Eigentlich sollte sich der Leser an dieser Stelle fragen, ob er Lust hat auf eine solch traurige, erschütternde und vor allem vorhersagbare Geschichte? Will man sich antun, von Sterben und Leid, von Verzweiflung  und Krankheit zu lesen? Will man das wirklich?

Kurzum, die klare Antwort lautet ja! Man will und man will mehr, Seite um Seite! Man will mehr erfahren über diese vom miesen Schicksal verratene Hazel, die weiß, dass sie sich eigentlich nicht beklagen braucht, denn immerhin ist es noch besser „mit 16 an Krebs zu sterben, als ein Kind zu haben, das an Krebs stirbt“. Man will mehr von ihrem schwarzen Humor, ihrem Willen zu leben und vor allem will man mehr von Hazel und Gus, die sich abrupt und ohne Vorwarnung in einer Selbsthilfegruppe ineinander verlieben. Man will mehr von dieser Liebesgeschichte, die nicht kitschig oder niedlich ist, sondern heftig, witzig, absolut unverkrampft, die immer wieder pendelt zwischen der nötigen Schwere und einem bezaubernden Augenzwinkern…

Völlig ohne Vorwarnung habe auch ich als Leserin diesen Gus ins Herz geschlossen und „sein schiefes Lächeln“, das Hazel so gern an ihm hat, genauso wie die Art, „dass er Geschichten immer bei jemand anderen enden lies“, oder seine Stimme, bei der sich Hazels Haut plötzlich ganz anders anfühlt.  Am allerbesten fand ich aber seine erste Liebeserklärung an Hazel, die er nebenbei fallen lässt: „Ich fasse es nicht, dass ich auf ein Mädchen mit so billigen Wünschen stehe“!

Doch Hazels Wünsche sind nicht billig, sondern naheliegend. Sie will Gus, sie will leben und außerdem ihren Lieblingsschriftsteller kennen lernen. Und genau das wird Hazel in Amsterdam tun, denn Gus erfüllt ihr diesen Wunsch und begibt sich mit ihr auf die Reise seines Lebens – im wahrsten Sinne des Wortes.

Natürlich will ich nicht verheimlichen, dass dieses Buch nicht nur fröhlich und unverkrampft ist. Wie sollte es auch, geht es doch um eine Liebe in Zeiten des Krieges: Der Krieg gegen den Krebs ist „ein Bürgerkrieg, ein abgekarteter Bürgerkrieg, bei dem der Sieger feststeht„, muss Gus feststellen. Und damit hat er recht, aber eben nur teilweise:  Denn auch mit „gezählten Tagen“ kann man sich gegenseitig „eine Ewigkeit schenken“ – und das ist die Geschichte von Hazel und Gus!

Mein Fazit: Ich habe gelacht und geweint, als ich dieses „doofe Krebsbuch“ gelesen habe und tue es immer noch – mit einem schiefen Lächeln.

Leseprobe: John Green – Das Schicksal ist ein mieser Verräter

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Die Wildrose

Jennifer Donnelly
Piper Verlag
Taschenbuch: 748 Seiten
Originaltitel: The Wild Rose
Rosentrilogie: Band 3
Erscheinungsdatum: Mai 2012
ISBN: 3492300383

„Vor langer Zeit hatte Willa ihr Bein verloren und gelernt, mit dem Verlust zu leben. Er [Seamie] hatte sein Herz verloren. Zum zweiten Mal nun. Und musste lernen mit dem Verlust zu leben. Ohne sie – ohne die Frau, die seine Seelenverwandte war.“ (S. 313)

Diese drei Zeilen bringen das Leitmotiv bzw. den Plot des Romans “Die Wildrose“ von Jennifer Donnelly auf den Punkt. Zwar ist der knapp 750-Seiten-starke Schmöker in der Tradition eines Familienromans gehalten; das heißt, dass auch der dritte Teil der Rosen- Trilogie unterschiedliche Erzählstränge beinhaltet, in denen das Schicksal bzw. das Leben verschiedener Familienmitglieder weitererzählt wird.

Im Mittelpunkt der „Wildrose“ steht aber die „wahnsinnige und rücksichtslose Liebe“ zwischen den Protagonisten Willa und Seamie. Ich bediene mich an dieser Stelle bewusst eines Zitats, denn besser könnte man diese Liebe nicht beschreiben. „Die Wildrose“ ist aus meiner Sicht keine Liebesgeschichte. Vielmehr beschreibt Donnelly über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg die zerstörerische und an Besessenheit grenzende Beziehung zwischen Willa und Seamie, eine unheilbare emotionale Bindung, die mit den Worten von Willas Bruder Albie gesprochen nur mit „Wahnsinn“ beschrieben werden kann und durch ihre „Rücksichtslosigkeit“ andere Menschen ins Unglück stürzt.

Willa und Seamie kennen sich bereits seit Kindertagen. Aus einer innigen Freundschaft entsteht zwischen den Heranwachsenden Liebe. Sie teilen nicht nur die Gefühle füreinander, sondern auch ein Lebensgefühl. Denn beide sind Abenteurer und wollen die Welt entdecken. Auf einer gemeinsamen riskanten Bergtour in Afrika verliert Willa jedoch ihr Bein. Für diesen Verlust macht sie ihren Geliebten verantwortlich und beginnt ein neues Leben am Himalaya, um dort in der Einsamkeit Tibets ihre „Wunden zu lecken“. Seamie, inzwischen ein berühmter Polarforscher – war er doch an der ersten erfolgreichen Expedition an den Südpol beteiligt – kann seine große Liebe Willa nicht vergessen. Trotz dieses Wissens heiratet er Jennie, denn an ihrer Seite – so glaubt er –  kann er seine Besessenheit zu Willa zumindest betäuben. Keine guten Voraussetzungen für Jennie, die sich heftig in Seamie verliebt hat. Und wie es nicht anders sein kann, tritt Willa kurz nach der Hochzeit des Paares wieder in Seamies Leben und das Schicksal nimmt seinen tragischen Lauf …

Die Rosentrilogie von Jennifer Donnelly hat besonders unter Frauen eine große Fangemeinschaft in Deutschland. Ich habe die beiden Vorgängerromane nicht gelesen, sondern bin direkt mit dem dritten Teil in die Familiensaga eingestiegen. Die große Stärke des Buches liegt darin, dass man den Roman auch ohne Kenntnis der beiden anderen Bücher gut lesen kann.

Dennoch hat mich „Die Wildrose“ nicht hundertprozentig überzeugt. Zu tragisch, zu konstruiert und auch zu polarisierend empfinde ich die Geschichte um Willa und Seamie.

Zu tragisch deshalb, weil beim Lesen stets ein bitterer Beigeschmack geblieben ist. Zu offensichtlich war für mich von Anfang an, dass diese „Liebesgeschichte“ ihre „Bauernopfer“ fordert: So z.B. die Lückenbüßerin Jennie, die aus meiner Sicht zu sehr zum Statisten degradiert wird.

Zu konstruiert deshalb, weil der Zufall aus meiner Sicht zu oft und zu offensichtlich den Verlauf der Geschichte lenkt. So tritt der Bösewicht Max nicht nur rein zufällig im Himalaya und in London in Erscheinung, sondern trifft Willa letztlich auch in den Wirren des 1. Weltkriegs im fernen Damaskus  wieder – rein zufällig, nur um eines von zahlreichen Beispielen zu nennen.

Zu polarisierend deshalb, weil das Heldentum der Charaktere in „Die Wildrose“ zu ausgeprägt ist. Da haben wir Seamie, den allseits bekannten Polarforscher; Willa, die todesmutige Abenteuerin, die nicht nur allein am Himalaya zurecht kommt, sondern mit nur einem Bein und als „Frau“ (zur Erinnerung: wir bewegen uns Anfang des 20. Jahrhunderts) zur Kriegsheldin, Spionin und erfolgreichen Kartografin mutiert. Nebenbei erobert sie die Herzen einer ganzen Riege von Männern – auch der vermeintlichen Feinde. Und nicht zu vergessen Willas Bruder Albie, der Stille und Unscheinbare. Freilich geht das Heldentum auch an diesem Denker nicht vorüber – Im Verborgenen versucht er schon seit Jahren sein Vaterland als Geheimdienstler zu retten …

Trotz meines relativ nüchternen Urteils ist „Die Wildrose“ ein gut zu lesender Roman für diejenigen, die sich nicht an diesen märchenhaften Elementen stören lassen, denn das Buch hat auch auch seine Stärken. Ganz besonders hervorzuheben sind hier die historischen Hintergründe und Figuren, die Donnelly immer wieder gut recherchiert einfließen lässt.

Mein persönliches Highlight ist das Ende des Romans. Donnelly hat mit dem vermeintlichen Bösewicht Max von Brandt alle Register gezogen – und all ihre Leser getäuscht. Dieses unvorhersehbare Ende fand ich bemerkenswert und sehr versöhnlich. Damit hat Donnelly es geschafft die Einteilung in Gut und Böse – schwarz und weiß – selbst zu verwischen und hat ihr persönliches Statement zum sinnlosen Blutvergießen im ersten Weltkrieg gegeben. Respekt für diesen Kniff!

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