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Der Winter der schwarzen Rosen

Der Winter der schwarzen Rosen von Nina BlazonNina Blazon
cbt: 544 Seiten
Erscheinungstermin: 5. Oktober 2015

Ich hatte es befrüchtet: Nina Blazon schreibt ein Buch und meine Welt steht Kopf. Schon bei ihrem letzten Fantasy-Roman „Der dunkle Kuss der Sterne“ ging es mir so. Ich konnte nicht schlafen, nicht essen. Das Lesen war wie ein schwindelerregender Tanz, von dem man nicht lassen kann. Bis die Musik abbricht und die Realität mit hochgezogenen Augenbrauen und einem kühlen Lächeln in der Tür steht. Auch diesmal tanzten die Seiten – wild und hemmungslos. Nur dass Blazons neues Werk „Der Winter der schwarzen Rosen“ noch länger benommen macht – so magisch ist der Rhythmus, so hypnotisierend, so sinnlich.

Auf meisterhafte Weise erzählt Sie die Geschichte zweier ungleicher Schwestern, deren Schicksal nicht nur durch Blutsbande verbunden ist, sondern auch von Rechtswegen her. Denn in dem rauen Lande ihrer Geburt herrschen die eisernen Gesetze der Lady. Diese bestimmen, dass die Zweitgeborene nur ihre Freiheit erlangt, wenn die Erste ihrer Bestimmung folgt und ihre Heimat verlässt. Doch was ist, wenn das vorbestimmte Ziel ein wilder, gefährlicher Ort ist – ein Ort an dem das Grauen wohnt? Was ist, wenn die sanfte, ruhige Schwester schreckliche Angst davor hat, ihre Sicherheit aufzugeben? Was ist, wenn sie sich immer weiter zurückzieht hinter die schützende Schwelle des väterlichen Hauses mitten im Rankenwald? Dann muss die eine, die nach Macht strebt und einen besonderen Weg gehen will, dafür sorgen, dass die andere ihren steinigen Weg gehen muss. Erst recht, wenn die Zweite in glühender Liebe zum Sohn der Lady entflammt. Und diese Liebe nur leben kann, wenn sie frei ist…

Ich weiß nicht, wie Nina Blazon es schafft, aber sie schafft es, sich von Buch zu Buch zu steigern. Schon immer liebe ich ihre phantastischen Romane. Doch hat sie sich eindeutig weiterentwickelt. Waren ihre früheren Werke wie „Faunblut“ und „Ascheherz“ kindlicher, leichter zu greifen, unschuldiger, mutet der „Der Winter der schwarzen Rosen“ anders an: erwachsen, dunkel, sinnlich und so vielschichtig und (mit Vorgängerwerken) verwoben, dass man eine gehörige Portion Aufmerksamkeit braucht, um den Wegen der Protagonistinnen Tajann und Liljann angemessen folgen zu können.

Hauptmotiv des Romans ist für mich allem voran die Liebe. Noch nie ist mir ein Roman von Nina Blazon untergekommen, der so sehr um die Liebe in allen ihren Facetten kreist, fast so, als hätte sie vorgehabt, einen Reigen auf die Liebe zu schreiben. So liest man von leidenschaftlicher Liebe, enttäuschter Liebe, sinnlicher Liebe, obsessiver Liebe, egoistischer Liebe, Geschwisterliebe, zerbrechlicher Liebe und unverwundbarer Liebe. Man liest von Liebe, für die es sich lohnt zu sterben und ebenso von einer Liebe so gefährlich wie ein scharfes Messer. Man lernt, dass Menschen manchmal sogar diejenigen verraten, die sie am meisten lieben und verfolgt verwundert, wie ein verschlossenes Herz, das denkt, es gebe die Liebe nicht, vor Glück aufblüht. Und nicht zuletzt zeigt sich immer wieder eins: Dass nichts so stark ist wie Hass, der aus Liebe geboren ist.

Aber keine Angst. „Der Winter der schwarzen Rose“ ist kein reiner Liebesroman. Die Protagonisten gehen dunkle, verschlungene Wege und fechten nicht nur im fulminanten Finale gefährliche Kämpfe – und auch auf die Magie ist bei Blazon wie immer Verlass: Der Leser begegnet auf den Seiten übermütigen Feen und traurigen Geistermädchen und muss sich gierigen Gestaltwandlern und mächtigen Seelenverschlingern stellen. Er durchstreift verwunschene Landstriche und geheimnisvolle Rankenwälder und lernt auf glühenden Scheiterhaufen, in atmenden Burgen und schaurigen Kerkern das Fürchten.

Magisch sind nicht zuletzt die unvergleichlichen, kraftvollen Bilder aus der Feder Nina Blazons, die die Phantasie so beflügeln, dass man sich fast körperlich jenseits des Rankenwaldes wähnt. So sind „Höhlen wie aufgerissene Münder mitten im Schrei erstarrt“ und Burgen, „wie ein scharfer Zahn aus dem Berg gewachsen“ nur wenige Beispiele für die Kreativität der Autorin. Die Krönung der Sinnlichkeit war für mich das wie mit feinen Pinselstrichen gezeichnete Bild der in der Dunkelheit silbrig schimmernden Liljann im seidigen Nachthemd inmitten wogender dunkler Hirsche – schaurige Romantik pur!

Kurzum, Nina Blazons Roman „Der Winter der schwarzen Rosen“ ist ein Rausch für die Sinne. Und gerade jetzt, wenn die Tage kürzer werden und langsam der Winter ins Land zieht, ist die perfekte Zeit, sich dieses magische Buch vorzunehmen.

Leseprobe: Nina Blazon – Der Winter der schwarzen Rosen

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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne von Nina BlazonNina Blazon
Format: Kindle Edition
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 529 Seiten
Verlag: cbt
Erscheinungsdatum: 24. Februar 2014

Bücher sind wie Erinnerungen. Unzählige sammelt man über die Jahre hinweg – doch die meisten sind schnell vergessen. Das Gros der Geschichten, die ich gelesen habe, sind so flüchtig wie ein kühler Regenschauer an einem warmen Sommertag. Sie perlen an einem ab, dringen nicht tief. In Minutenschnelle verdampfen sie in ihrer Bedeutungslosigkeit, verhallen ohne ein Echo zu hinterlassen; sind stumm trotz Abertausend Worte.

Doch manchmal greifen die Buchstaben schon nach wenigen Zeilen nach Dir, sie summen eine verheißungsvolle Melodie, flüstern von Abenteuer und Liebe, locken dich, verzaubern dich, bis du alles um dich vergisst und mit Haut und Haar eintauchst in ihre Geschichte. Der dunkle Kuss der Sterne von Nina Blazon ist so ein außerordentliches Buch. Es hat mich mit Flüsterstimme verführt und so fest umarmt, dass mich sogar noch die Erinnerung im Geiste wärmt.

Nina Blazon erschafft in „Der dunkle Kuss der Sterne“ ein Märchen mit einer starken Botschaft.  Sie erzählt die Geschichte von Canda Moreno, eines Mädchens, das in einer schicksalshaften Nacht von der Auserkorenen zur Verlorenen wird: Irgendetwas hatte den Glanz von ihrer Haut genommen, den Klang aus ihrer Stimme und Canda damit ihrer höchsten Gabe beraubt, ihrer Schönheit. Doch damit nicht genug. Canda verliert nicht nur ihren Glanz, sondern auch ihren Versprochenen. Ohne ihn kann sie niemals werden, wozu sie geboren wurde: „Eine Zweiheit zu sein, eine Seele, ein Körper, mit aller Macht, die daraus entsprang.

Und damit ist ihr Schicksal besiegelt. Canda ist nutzlos für ihre Familie, für die Höchsten der Gesellschaft.  Als Unvollständige, Gewöhnliche, unterscheidet sie sich kaum von den Niederen: Sie ist wertlos, unansehnlich, von ihrem Liebsten verlassen – nur noch gut genug für ein Leben im Haus der Gestrandeten Einzelnen.

Doch ein letzter Ausweg bleibt ihr. Sie soll ihren flüchtigen Liebsten zurück bringen, an der Seite des Sklaven Amads. Doch dafür muss sie sich in die Tod bringende Wüste wagen, die die Haut von der Seele schält und jedes Geheimnis frei legt. Sie muss gegen Windbräute und Eisenhaie kämpfen, gegen singende Tote, die den Erinnerungen folgen wie verhungerte Hunde, gegen Mischwesen und vor allem gegen ihre Vergangenheit.

Nina Blazon zwingt ihre Protagonistin aus den Augen einer „Gewöhnlichen“ zu sehen, ihre Perspektive zu wechseln, sich selbst neu zu erfinden. Canda muss lernen, in ihrer zweidimensionalen Welt, in der es nur oben und unten, Hop oder Top, Herren und Sklaven, Schönheit und Hässlichkeit gibt, die Zwischentöne zu hören:  die Augen zu öffnen für sich, den Rest der Welt und für Amad.

Doch das ist gar nicht so einfach. Der wortkarge, dunkle Jäger ist undurchschaubar und abweisend. Er kämpft zwar an ihrer Seite – aber nicht freiwillig. Der Schutz Candas ist nur ein Auftrag. Doch wen will er in Wahrheit schützen? Für wen lässt sich Amad versklaven?

Und wie lässt es sich erklären, dass die Funken  fliegen bei der Berührung seiner Haut? Wie lässt es sich erklären, dass ein spinnwebfeines Band zwischen ihnen entsteht, trotz Amads Beteuerungen, dass ein Herz nur bei der Jagd stört? Und wie lässt sich vor allem eins erklären: Dass sie ihm vielleicht sogar zulächeln würde, wäre sie eine Niedere. Und er vielleicht ihr Lächeln erwidern würde…

 In „der dunkle Kuss der Sterne“ beweist Nina Blazon eins: Dass sie der Kunst mächtig ist, Märchen zu erschaffen – und das auf höchsten Niveau. Ihrer Worte fesseln von Beginn an, ihre Figuren schlüpfen aus den Buchseiten und nehmen den Leser an der Hand. Ihre Sprache ist bildhaft, aber nicht übertrieben, ihre Geschichte kann immer wieder überraschen und ist spannend bis zum Schluss. Nina Blazon webt aus Buchstaben einen kostbaren Stoff und schneidert ein Gewand, das sitzt, vom Kragen bis zum Saum. Ihr Märchen wird noch lange in mir leuchten, als es wäre es eins meiner Lichter…

Leseprobe: Der dunkle Kuss der Sterne von Nina Blazon

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Coco Lavie – Spiegelblut

spiegelblutUta Maier
Format: Kindle Edition
Erscheinungstermin: 9. September 2013
Seitenzahl: 325 Seiten
Verlag: Aeternica Verlag

Kennst Du den Gesang von Farben? Den Geschmack von Zorn und Kummer? Weißt Du, welche Düfte Wörter haben? Hast Du jemals gefühlt, wie weich Freundschaft auf den Fingern kribbelt?

Was unsereins befremdlich, exotisch, gar übersinnlich anmutet, und noch am ehesten an die Fähigkeiten eines Synästhetikers erinnert, bestimmt seit Kindesalter Coco Lavies Leben – eines 18-jährigen elternlosen Mädchens im großen Glasgow. In früher Jugend auf blutigster Weise ihres Seelenbruders – ihres Zwillings – beraubt, führt die einsame Seele eine Kampf. Sie kämpft gegen die Dämonen der Erinnerung, kämpft für einen Neuanfang und vor allem kämpft sie dafür, sich endlich selbst zu verstehen, ihre Andersartigkeit zu begreifen und damit die Erinnerungslücken und die Fragezeichen der Vergangenheit zu füllen. Doch Coco Lavies Spurensuche bleibt nicht unbemerkt. In einer Welt von Vampiren, Engeln und Lichtträgern, von deren Existenz Coco weiß oder zumindest ahnt, ist bereits das zarte Summen ihrer Seele verräterisch. Noch verpuppt gleich einer Raupe, kann sie verstecken, was sie zu sein scheint: Ein Spiegelblut, eine Spiegelseele, ein Engelskind, eine Auserwählte, die zwischen Himmel und Erde reisen kann. Kurzum: die größte Waffe der grausamen Seelenlosen, die letzte Hoffnung eines Halbseelenträgers. Coco bleibt in dieser Situation nur eins: zu beten, dass sie die Schwingen ihrer schmetterlingsbunten Seele so lange wie möglich bändigen, ihr „über-sinnliches Blut“ – Aliquid Sanctuum –  schützen kann. Denn sollte sie ein Spiegelblut sein, dann ist ihr Schicksal besiegelt: Dann gehört sie den Dämonen.

Übersinnlich – so denke ich gerade – ist ein schönes Wort, ein passendes Wort, ein Wort wie geschaffen für Coco Lavie, für Uta Maiers Roman überhaupt, für die wunderbare Art der Autorin zu erzählen.

Übersinnlich deshalb, weil Coco Lavies Art, die Welt und ihr Gegenüber zu begreifen, zu erfühlen, zu ertasten, jenseits der herkömmlichen Sinneswahrnehmung ist. Coco nimmt den Leser mit auf eine sinnesberauschende Reise: Mit ihren Augen sieht man mehrdimensional, erlebt ein Feuerwerk an Reizen, ohne überreizt zu sein, lauscht einer nie gehörten Melodie aus singenden, manchmal klirrenden Worten, erschrickt ob des Gewichts der Stille, kann Farben blind erfühlen. Man ist berührt vom Duft nach Mondwind und Silberschnee, der von Liebe erzählt, überrascht vom Geschmack des Himmels und vom Odeur des Todes. Mit Coco Lavie ist man spiegelsichtig und erfasst die Seele der Dinge.

Damit soll jedoch kein falscher Eindruck erweckt werden: Uta Maiers Roman ist kein zartes sensibles Märchen, sondern klassische – in diesem Fall kann man wohl sagen „sinnliche“- Fantasy. Die Autorin schafft einen eigenen übersinnlichen Kosmos, der all jene begeistern wird, die sich wirklich auf Fantasy-Abenteuer einlassen und vor allem auch hineindenken wollen. Nicht verwechseln sollte man das Buch mit den bittersüßen, retortenhaften Vampir- und Engelsgeschichten, die in den vergangenen Jahren wie bis zur Übersäuerung konsumiert wurden. In „Coco Lavie – Spiegelblut“ findet man keine weichen und zartbesaiteten Bösewichter. Die Welt von Damontez Aspertu, dem Halbseelenträger, Pontus, dem Unsterblichen, und Luzifer, dem ersten gefallenen Engel, ist genauso hart, kalt und grausam wie deren leblose Körper. Gleichwohl verlangt der Roman dem Leser durchaus Aufmerksamkeit ab, ohne zu überfordern, so fein und hintergründung ist er komponiert. Und genau diese Mischung ist es, die meiner Meinung nach das Außergewöhnliche an der Geschichte um Coco Lavie ist. Ohne zu viel über den Inhalt verraten zu wollen, kann ich eins versprechen: Die komplexe, vielschichtige Welt, die die Autorin geschaffen hat und die ihresgleichen sucht, ist nicht nur dunkel, tief, spannungsgeladen und unvorhersehbar, sie ist dort sanft, wo man das Gegenteil vermutet.

Oder, um es mit den Worten Jochen Mariss‘ zu sagen, dessen Zitat man am Eingang des 10. Kapitel liest: „Nichts macht uns mehr Mut, nichts gibt uns mehr Nähe, nichts hat einen stärkeren Zauber als eine sanfte Berührung“: Die dunkelbunte, lichtlose Welt von Damontez Aspertu und seinem Nachtschattenherz, die wie Finsternis ohne Hoffnung erscheint, hat mich wider Erwarten verzaubert und nicht mehr losgelassen. Sie hat sich direkt in meine Seele gesungen!

Ich warte ungeduldig auf die Fortsetzung: Coco Lavie – Nachtschattenherz!

Mehr über Uta Maier und ihrer Fanatsy-Reihe um Coco erfahrt ihr im scriba-Interview.

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Liebe unter Fischen

René Freund
Hardcover: 208 Seiten
Erscheinungsdatum: 28.01.2013
Deuticke Verlag
ISBN: 978-3-552-06209-2

Fred Firneis ist ein Schöngeist wie er im Buche steht. Er beschäftigt sich nicht nur mit existentiellen Fragen, sondern steckt selbst fest in einer Existenz- und Schaffenskrise. Früher sprudelten die Worte des Erfolg-Lyrikers nur so, heute sprudelt vor allem der Alkohol. Firneis hat sich verloren, im Überfluss, in der Schnelligkeit, in der Tristesse des Alltags. Das ist ein Problem – nicht allein für Fred. Denn nicht nur der Markt lechzt nach Poesie-Nachschub des Dichters, auch seine Verlegerin, die kurz vor dem finanziellen Ruin steht. Doch wie nur kann die Schreibkrise des österreichischen Berliners überwunden werden? Wie nur kann schnellstmöglich ein neuer Gedichtband entstehen?

Die Antwort ist klar: Nur mit rabiaten Mitteln. Mehr oder weniger in die Wildnis der österreichischen Alpen ausgesetzt, soll Fred zu sich finden. Abgeschnitten von der Außenwelt findet er jedoch viel mehr. Die vermeintliche Einöde entpuppt sich als Naturparadies, verschlossene und einsilbige Einheimische als neue Freunde und eine hübsche Biologin als eine wahre Muse. Doch kann sich der Schöngeist vom bleiernen Ballast des Alltags wirklich befreien und wieder lernen richtig zu „Atmen“?

René Freunds Roman „Liebe unter Fischen“ ist ein Kleinod für diejenigen, die zusammen mit Fred Firneis die Uhren ausstellen wollen und sich treiben lassen von Gedanken und Gefühlen,  vom natürlichen Rhythmus des Tages und den Kräften der Natur – ein Buch also für Leser, die sich Zeit nehmen möchten, die Welt mit Kinderaugen neu zu entdecken, das Wunder des Gewöhnlichen zu bestaunen und in der Langsamkeit das Leben – das sonst rasend schnell vorbeizieht – wieder zu spüren.

Aus meiner Sicht ist es weniger der Plot, von dem „Liebe unter Fischen“ lebt, sondern der einzigartige Erzählrythmus und die wunderschönen Bilder, die Fred in seinen Briefen an seine Verlegerin festhält: Ist der Ton und der Rhythmus zu Beginn des Romans noch dem Großstadtleben des Schriftstellers angeglichen, klingt alles schrill, schnell, laut. Da sind die vielen SMS der Verlegerin, die unzähligen Anrufe auf dem AB, das ungeduldige Klopfen an der Tür, der maßlose Alkoholkonsum – alles wirkt übersättigt, der Kopf dröhnt. Spätestens in der Einfachheit und Kargheit der Berghütte wechselt der Ton. Der Erzählfluss erscheint plötzlich langsamer, gemächlicher und reiner. Je mehr sich das Gemüt des Lyrikers klärt, umso länger und tiefgründiger werden seine Briefe, in denen er offen seine Gedanken, Ängste und Wünsche kommuniziert. Der Leser kann sich zurücklehnen, mit Fred Firneis das Jodeln lernen, eintauchen in die Farbe des „Juchitzers“ und sich überwältigen lassen von den erst kitzelnden und später überschäumenden Gefühlen einer jungen Liebe. Und freilich gewinnt der Roman wieder an Fahrt, Schnelligkeit und Esprit, wenn die Schauplätze wiederum wechseln und Fred kopfüber eintaucht in sein „neues Leben“.

Den Vergleich mit „Gut gegen Nordwind“, der auf dem Buchcover gezogen wird, hält „Liebe unter Fischen“ aber nicht stand – oder besser ausgedrückt: Die beiden Romane sind schlichtweg nicht vergleichbar. „Gut Gegen Nordwind“ ist ein moderner Liebesroman. In „Liebe unter Fischen“ steht dagegen die Entwicklung des Autors Fred im Mittelpunkt: Die Suche nach sich selbst, die Suche nach einem Rettungsanker in einem übersättigten und von den Reizen des Technologiezeitalters überfluteten Leben, die Suche nach einem Sinn, die Suche nach dem Glück. Freilich ist auch Fred verliebt, quillt über vor Emotionen beim Gedanken an seine Mara. Dieses zarte Verliebtsein ist jedoch nie dominierend, sondern ein Baustein in des Dichters Neuanfang.

Aus meiner Sicht steht „Liebe unter Fischen“ für sich und wird alle diejenigen begeistern, die die Augen öffnen für wunderschöne Bilder und sich begeistern lassen vom Witz und den ausgefeilten, zuweilen komischen Charakteren.

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Ein ganzes halbes Jahr

Jojo Moyes
E-Book:
Kindle Edition – 12,99 Euro
Verlag:
rororo
Erscheinungsdatum: 21. März 2013
Sprache:
Deutsch
ISBN-13: 978-3499267031
Originaltitel:
 Me Before You

Mark Twain sagte einmal – so heißt es – dass der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen derselbe Unterschied sei, wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen. Ich habe dieses Zitat lange nicht wirklich verstanden. Doch jetzt tu ich es. Ich verstehe seine Worte, seit ich Jojo Moyes Roman „Ein ganzes halbes Jahr“ gelesen habe. Ihre Geschichte hat mich wie ein Blitz getroffen, ihre einfachen, aber umso treffenderen Worte hallen wie Donnerschläge in meinem Kopf nach und haben mir die Augen geöffnet auf ein sensibles und stilles Thema, vor dem ich bisher gut und gerne meine Ohren verschlossen habe.

Genauso geht es der schusseligen und liebenswürdigen Louisa Clark, die ein denkbar unspektakuläres Leben in einer englischen Kleinstadt führt. Louisa weiß weder ob sie ihren von Körperfettwerten besessenen Freund eigentlich liebt, noch was sie überhaupt vom Leben will, bis die Suche nach einem neuen Job sie zufällig an Will Traynor geraten lässt: Einen C5/C6 Tetraplegiker, von der oberen Brust ab gelähmt, ein Mann mit einem leeren Blick, der sich fest entschlossen hat nicht mehr dem energiegeladenen und lebensbejahenden Senkrechtstarter zu ähneln, der er vor seinem Unfall mal war.

Dieser Roman, der mit Louisas Arbeit als Pflegekraft und Aufpasserin  für den „von seiner Krankheit ermatteten und vom Leben ermüdeten“ Will beginnt, ist die berührende Geschichte zweier Menschen, die sich unter normalen Umständen niemals begegnet wären, die unterschiedlicher nicht sein könnten, doch deren Seelen sich auf unergründliche Weise berühren. Die Geschichte von zwei Menschen, die ein stilles Glück in einem Meer aus Schmerz erleben, die sich herausfordern, trösten und heilen und dennoch lernen müssen Entscheidungen aus Liebe zu akzeptieren, auch wenn sich alles in einem dagegen sträubt.

Nachhaltig beeindruckt hat mich aber nicht nur das Beziehungsgeflecht zwischen dem „nervenden, launenhaften, schlauen, humorvollen Will, der den Professor Higgins spielen wollte“ während Lou die Eliza Doolittle gab, sondern die schonungslose und befreiend mehrdimensionale Darstellung all der unvorstellbaren Herausforderungen, mit denen Tetraplegiker täglich zu kämpfen haben.  Da ist nicht nur die Rede von fehlender Bewegungsfreiheit, man liest von einer „unendlichen Serie von Demütigungen und Gesundheitsproblemen, von Risiken und Schmerzen“, von Ängsten und falschem Mitleid. Man erfährt, dass ein solcher Unfall nicht nur das Leben des Betroffenen ändert, sondern ganze Familien in ihren Grundfesten wanken lässt, man liest von der mehr als wichtigen Arbeit von Pflegern wie dem unerschütterlichen Nathan, man liest ebenso von einem seltenen Lächeln, so wertvoll wie ein ganzes Königreich, und vor allem liest man von Sinnlichkeit, da wo man sie nie erwartet hätte!

Denn gerade diese Sinnlichkeit, die aufkommt, wenn Louisa Wills rosafarbene Nägel betrachtet, die nur mehr von anderen geschnitten werden können, die aufkommt beim männlichen Geruch seiner Haut oder bei der Berührung seiner Finger, lässt sich nicht ignorieren und darüber hinwegtäuschen, dass jenseits des Rollstuhls immer noch ein Mensch mit Gefühlen und Bedürfnissen sitzt.

Mir fiele noch so viel mehr ein, was es über dieses stille, handlungsarme (in Bezug auf die wenigen Ortswechsel, was die Geschichte in Anbetracht von Wills Bewegungsunfähigkeit nur noch eindringlicher macht), aber dafür umso tiefere Buch zu sagen gibt, doch nur noch eins: Auch wenn bei Jojo Moyes Roman „Ein ganzes halbes Jahr“ kein Auge trocken bleibt, ist die Geschichte von Will und Lou absolut lebensbejahend – mehr noch: eine Laudatio darauf, nicht im Stillstand zu verharren, sich täglich aufs neue herauszufordern und hoch erhobenen Hauptes ein „unerschrockenes Leben“ zu führen – denn es ist zu wertvoll, um nur eine Sekunde zu vergeuden!

Dieses eindringliche Buch über den unerschrockenen Will und die leuchtende Lou hat mich wahrhaft bereichert!

Leseprobe: Ein ganzes halbes Jahr

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Rating: 4.8/5 (5 votes cast)

Der Liebessalat

Der Liebessalat

Joseph von Westphalen
Taschenbuch: 480
Verlag: btb
Erscheinungstermin: 22. Mai 2002
ISBN-10: 3894807573

Der Beginn des Buches ist so gut geschrieben, dass man neugierig weiterliest und sich bemüht die vielen Frauennamen und Beziehungen in chronologischer Reihenfolge unterzubringen. Voller Staunen erfährt man von der Vitalität des älteren Herren namens Viktor Goldmann, und bewundert ihn ob seiner geistigen Höchstleistungen, alle seine Liebschaften in geordneten Bahnen zu halten. Der Autor hat wirklich eine sehr kultivierte, intelligente und feine Schreibweise. Der Text sprüht vor Witz und Metaphern. Das ist es, was über Seiten hinweg verzückt.

Aber sein Protagonist ist ein hoffnungsloser Egomane, ein Narzist, ein dauerpotenter Frauenverehrer. Er schiebt seine Auserwählten, je nach Favoritin, wie auf einem Schachbrett hin und her. Man fragt sich unwillkürlich, ob in diesem Jägerhirn außer Samensträngen noch Platz für Gehirnmasse bleibt!

Die vielen, vielen folgenden Seiten ziehen sich endlos. Man wartet voller Hoffnung, dass endlich eine Wendung einträte, etwas Neues geschehen würde. Dass der gute Mann ausgelaugt und erschöpft auf andere Gedanken käme. Aber leider erfüllt sich diese Hoffnung nicht …

Daher möchte man ihn schlussendlich mit seiner Tscherkessin in die Mongolei in eine Jurte schicken, wo er mit ihr Büffelmilch trinkt und glücklich ist bis an das Ende seiner Tage. Dann könnte man erlöst aufatmen!

Empfehlenswert für Leser mit Freude an wortgewandter Schreibkunst, aber etwas ungeeignet für Ungeduldige, welche nach über zweihundert Buchseiten noch lange kein Licht am Horizont erkennen können!

Gastrezension von Ilona

Hier geht’s zur Leseprobe: http://www.randomhouse.de/ebook/Der-Liebessalat-Roman/Joseph-von-Westphalen/e118131.rhd?mid=4&serviceAvailable=false&showpdf=false#tabbox

 

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