Kategorie-Archiv: Fantasy

Der Winter der schwarzen Rosen

Der Winter der schwarzen Rosen von Nina BlazonNina Blazon
cbt: 544 Seiten
Erscheinungstermin: 5. Oktober 2015

Ich hatte es befrüchtet: Nina Blazon schreibt ein Buch und meine Welt steht Kopf. Schon bei ihrem letzten Fantasy-Roman „Der dunkle Kuss der Sterne“ ging es mir so. Ich konnte nicht schlafen, nicht essen. Das Lesen war wie ein schwindelerregender Tanz, von dem man nicht lassen kann. Bis die Musik abbricht und die Realität mit hochgezogenen Augenbrauen und einem kühlen Lächeln in der Tür steht. Auch diesmal tanzten die Seiten – wild und hemmungslos. Nur dass Blazons neues Werk „Der Winter der schwarzen Rosen“ noch länger benommen macht – so magisch ist der Rhythmus, so hypnotisierend, so sinnlich.

Auf meisterhafte Weise erzählt Sie die Geschichte zweier ungleicher Schwestern, deren Schicksal nicht nur durch Blutsbande verbunden ist, sondern auch von Rechtswegen her. Denn in dem rauen Lande ihrer Geburt herrschen die eisernen Gesetze der Lady. Diese bestimmen, dass die Zweitgeborene nur ihre Freiheit erlangt, wenn die Erste ihrer Bestimmung folgt und ihre Heimat verlässt. Doch was ist, wenn das vorbestimmte Ziel ein wilder, gefährlicher Ort ist – ein Ort an dem das Grauen wohnt? Was ist, wenn die sanfte, ruhige Schwester schreckliche Angst davor hat, ihre Sicherheit aufzugeben? Was ist, wenn sie sich immer weiter zurückzieht hinter die schützende Schwelle des väterlichen Hauses mitten im Rankenwald? Dann muss die eine, die nach Macht strebt und einen besonderen Weg gehen will, dafür sorgen, dass die andere ihren steinigen Weg gehen muss. Erst recht, wenn die Zweite in glühender Liebe zum Sohn der Lady entflammt. Und diese Liebe nur leben kann, wenn sie frei ist…

Ich weiß nicht, wie Nina Blazon es schafft, aber sie schafft es, sich von Buch zu Buch zu steigern. Schon immer liebe ich ihre phantastischen Romane. Doch hat sie sich eindeutig weiterentwickelt. Waren ihre früheren Werke wie „Faunblut“ und „Ascheherz“ kindlicher, leichter zu greifen, unschuldiger, mutet der „Der Winter der schwarzen Rosen“ anders an: erwachsen, dunkel, sinnlich und so vielschichtig und (mit Vorgängerwerken) verwoben, dass man eine gehörige Portion Aufmerksamkeit braucht, um den Wegen der Protagonistinnen Tajann und Liljann angemessen folgen zu können.

Hauptmotiv des Romans ist für mich allem voran die Liebe. Noch nie ist mir ein Roman von Nina Blazon untergekommen, der so sehr um die Liebe in allen ihren Facetten kreist, fast so, als hätte sie vorgehabt, einen Reigen auf die Liebe zu schreiben. So liest man von leidenschaftlicher Liebe, enttäuschter Liebe, sinnlicher Liebe, obsessiver Liebe, egoistischer Liebe, Geschwisterliebe, zerbrechlicher Liebe und unverwundbarer Liebe. Man liest von Liebe, für die es sich lohnt zu sterben und ebenso von einer Liebe so gefährlich wie ein scharfes Messer. Man lernt, dass Menschen manchmal sogar diejenigen verraten, die sie am meisten lieben und verfolgt verwundert, wie ein verschlossenes Herz, das denkt, es gebe die Liebe nicht, vor Glück aufblüht. Und nicht zuletzt zeigt sich immer wieder eins: Dass nichts so stark ist wie Hass, der aus Liebe geboren ist.

Aber keine Angst. „Der Winter der schwarzen Rose“ ist kein reiner Liebesroman. Die Protagonisten gehen dunkle, verschlungene Wege und fechten nicht nur im fulminanten Finale gefährliche Kämpfe – und auch auf die Magie ist bei Blazon wie immer Verlass: Der Leser begegnet auf den Seiten übermütigen Feen und traurigen Geistermädchen und muss sich gierigen Gestaltwandlern und mächtigen Seelenverschlingern stellen. Er durchstreift verwunschene Landstriche und geheimnisvolle Rankenwälder und lernt auf glühenden Scheiterhaufen, in atmenden Burgen und schaurigen Kerkern das Fürchten.

Magisch sind nicht zuletzt die unvergleichlichen, kraftvollen Bilder aus der Feder Nina Blazons, die die Phantasie so beflügeln, dass man sich fast körperlich jenseits des Rankenwaldes wähnt. So sind „Höhlen wie aufgerissene Münder mitten im Schrei erstarrt“ und Burgen, „wie ein scharfer Zahn aus dem Berg gewachsen“ nur wenige Beispiele für die Kreativität der Autorin. Die Krönung der Sinnlichkeit war für mich das wie mit feinen Pinselstrichen gezeichnete Bild der in der Dunkelheit silbrig schimmernden Liljann im seidigen Nachthemd inmitten wogender dunkler Hirsche – schaurige Romantik pur!

Kurzum, Nina Blazons Roman „Der Winter der schwarzen Rosen“ ist ein Rausch für die Sinne. Und gerade jetzt, wenn die Tage kürzer werden und langsam der Winter ins Land zieht, ist die perfekte Zeit, sich dieses magische Buch vorzunehmen.

Leseprobe: Nina Blazon – Der Winter der schwarzen Rosen

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Licht und Dunkelheit: Levarda

Levarda_grossKerstin Rachfahl
Format: Kindle Edition
Seitenzahl: 469 Seiten

Wer sucht, der findet, heißt ein verbreitetes geflügeltes Wort. Bei der Suche nach einem guten Buch ist dieser Vorsatz bei mir schon oftmals zu einer wahren Geduldsprobe geworden. Und wenn es sich dann auch noch um ein Fantasy-Buch handeln soll, war ich trotz großer Ausdauer nicht selten kurz davor zerknirscht aufzugeben.

Aber warum ist es so schwer, einen guten High-Fantasy-Roman zu finden? Einen Roman – zum Beispiel nach dem Format von Lynn Ravens „Kuss des Kjer“ – der einfach alles hat, um das (weibliche) Fanatasy-Herz höher schlagen zu lassen. Ganz einfach, weil das Gros der Romantasy-Romane, die auf den Markt geworfen werden, es an Tiefe vermissen lassen und das Schmachten allein nicht ausreicht, um den Anspruch zu erfüllen.

Denn ein Autor muss einiges mitbringen, um die Zeilen so mit Worten zu füllen, dass Welten erstehen – so intensiv und kraftvoll, dass man den Alltag vergisst und sich dem Abenteuer mit Haut und Haar verschreibt. Spannend muss so ein Buch sein, mit neuen Ideen überzeugen und Personen erschaffen, die atmen und so lebendig werden, dass sie sich von den Seiten lösen und im Kopfkino ein Eigenleben entwickeln. Und natürlich muss es knistern, denn nicht auf plumpe Sexszenen kommt es bei solch einem Buch an, sondern um das Davor und Danach, um das Mitfiebern und das sich Mitverlieben.

Lange Rede, kurzer Sinn: Das Suchen hat sich letztendlich bezahlt gemacht: Denn „Licht und Dunkelheit: Levarda“ von Kerstin Rachfahl ist so ein Buch. Ganz unscheinbar kam es am Anfang daher, aber schon nach wenigen Seiten hat es bei mir eingeschlagen wie ein Komet, und die Gewissheit war da, dass die nächsten Tagen nichts anders zählen wird, als diese eine Geschichte.

Kurz hatte ich noch befürchtet, dass Levarda, die Heldin des Buches, mir zu schön, zu stark, zu perfekt, mir kurzum zu sehr „Alleskönnerin“ ist, um wirklich sympathisch zu sein, und das ist für mich Grundvoraussetzung dafür, dass ein Roman zu einem meiner Herzensbücher werden kann. Aber – so wie es den Figuren in Rachfahls Roman ging, so ging es mir dann auch: Im Handumdrehen hat sich Levarada in mein Herz gestohlen. Auch wenn sie kämpfen kann wie ein Krieger, eine begnadete Heilerin ist, sich als „Pferdeflüsterin“ hervortut, die Männer im Sturm erobert und nebenbei noch eins ist mit der Kraft der Elemente – so ist sie nicht überzeichnet, sondern bleibt trotzdem wunderbar sympathisch. (Und immerhin kann sich nicht tanzen:-)

Mit dieser Heldin macht der Leser sich auf, die Welt von Forran zu entdecken und eine Mission zu erfüllen, deren guter Ausgang lange Zeit auf Messers Schneide steht. An Spannung geizt dieser Roman nicht, genauso wenig wie an gut ausgearbeiteten Charakteren und an Tiefe. Und was schließlich noch den Ausschlag für mein Loblied gibt, ist Levardas Gegenspieler Lord Otis. Denn auch beim Zeichnen dieser Figur  hat Kerstin Rachfahl nicht mit Nuancen gespart, und einen absolut liebenswerten „Bösewicht“ aufs Papier gebracht.

Vom Inhalt selbst will ich nicht zu viel verraten, denn meiner Meinung nach ist eine Rezension nicht da, eine Geschichte nachzuerzählen, sondern ein Buch zu bewerten. Und hier kann ich getrost eine Leseempfehlung aussprechen. Seit Monaten hat mich kein Fanatasy-Roman mehr so begeistern können, wie Kerstin Rachfahls „Licht und Dunkelheit: Levarda“.

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Der Kuss des Wandlers

Der Kuss des WandlersLena Klassen
Format: Kindle Edition
Seitenzahl: 412 Seiten

Herzensprojekt – so hat Lena Klassen ihre neue Reihe „Die Wandler“ auf ihrem Blog bezeichnet – und damit meine Neugier geweckt. Wie könnte man auch nicht hellhörig werden, wenn eine durchaus produktive Schriftstellerin davon spricht, dass ihr ein Werk besonders am Herzen liegt.

Was macht es aus, dieses Herzensprojekt, habe ich mich gefragt und nicht lange gefackelt. Gespannt und mit nicht geringer Erwartung habe ich mich auf einen Streifzug durch „Der Kuss des Wandlers“ gemacht, den Auftaktroman der neuen vierbändigen Wandlerreihe.  Meine volle Aufmerksamkeit war dem Buch  gewiss. Denn ich wollte ihn spüren, den Puls der Geschichte.

Bevor ich zu den Einzelheiten meiner Spurensuche komme, sei eines vorweggenommen:“Der Kuss des Wandlers“ ist ein Wohlfühlbuch. Wohlfühlbuch deshalb, weil Lena Klassen auf genau die richtigen Zutaten gesetzt hat: Magie, Romantik und Spannung sind es, die zu gleichen Teilen den Roman ausmachen und wohldosiert genau an den richtigen Stellen ihre Wirkung entfalten.

Müsste man den Roman jedoch inhaltlich auf den Punkt bringen, dann kommt man nicht um den Begriff „Verwandlung“ herum. Denn allem voran ist die Geschichte um die junge Geigerin Kiara, die sich in ihren Erzfeid verliebt, die Geschichte einer Wandlung. Wandlung nicht nur deshalb, weil Kiara Kraft ihrer Geburt das Potenzial hat, in eine andere Gestalt zu schlüpfen – wie der Leser schon nach wenigen Seiten erfährt. Sondern weil sie sich im Laufe des Romans von der ewig durchschnittlichen grauen Maus „sprichwörtlich“ in einen Schmetterling verwandelt.

Doch dieser Weg ist steinig. Kiara wird zum Spielball in einem erbitterten Kampf, bei dem es um Leben um Tod geht und die Grenzen verwischen. Wer ist Freund? Wer ist Feind? Wem kann sie trauen? Und welche Augen sind es, die von Liebe erzählen? Ist es das strahlende lichte Blau, für das Kiaras Herz schlägt? Oder doch das nachtschwarze Dunkel, in dem sie sich zu verlieren scheint? Auf der Suche nach dem König des Feindesclans findet die 16-jährige nicht nur Abgründe und Hass, Zweifel und Gewissheit, sondern auch sich selbst.

Soviel zum Inhalt, von dem ich nicht mehr verraten werde. Doch wo pocht er nun, der Puls der Geschichte. Was macht die Kraft des Romans aus?

Ist es die eigentümliche Magie, die im Akt der Verwandlung selbst liegt? Denn was könnte schöner sein, als Kiara und all die anderen jungen Wandler dabei zu beobachten, wie sich die Grenzen ihrer Körpers auflösen, aufgehen in einem Sein, das jeher in ihnen geschlummert hat. Zuzuhören, wie sie einem stillen Ruf folgen, wie sie lernen, dem Takt ihres Herzens zu lauschen? Zuzusehen, wie Kinderträume wahr werden und Kiara abhebt und die Lüfte erobert?

Oder ist es das Grauen, das immer wieder wie Spinnenbeine über die nackte Haut huscht, wenn offenbar wird, welch menschliche Abgründe sich auftun können – in Freunden, in Vertrauten, in ganz gewöhnlichen Jugendlichen. Wenn deutlich wird, dass Moral und Unrechtsbewusstsein mit einem Fingerschnippen ihre Bedeutung verlieren, wenn der Wille zur Macht sich wie eine Krankheit ausbreitet und mehr wiegt, als ein Menschenleben. Wenn ein reiner Verdacht reicht, um aus dem Fenster geworfen zu werden …

Vielleicht ist es weder Magie noch Grauen, sondern die wunderbare Kulisse, vor der sich Kiaras Geschichte abspielt. Vielleicht ist es das faszinierende Prag, das Lena Klassen vor den Augen der Leser auferstehen lässt. Das Pulsieren der Metropole im Osten Europas. Denn wie bei den glühenden Streifzüge durch Budapest in Klassens Roman „Magyria“, hört man auch in Prag an jeder Ecke das Wispern der Geschichte, das Echo der Jahrhunderte, das Flüstern einer jungen Liebe …

Ob andere sich bei der Lektüre von „Der Kuss des Wandlers“ genauso wohl fühlen wie ich, ist nicht gewiss und lässt sich nicht abschließend beantworten. Genauso wie jeder den Puls einer Geschichte an einer anderen Stelle fühlt.

Für mich hat er zu schlagen begonnen, als ich Kafka in der Geschichte gespürt habe, einen Autor, der mich seit jeher fasziniert. Und als mir klar wurde, dass in der Selbstaufgabe und Selbstentfremdung Gregor Samsas der Schlüssel des Romans liegt. Die Frage ist nur, was hier zuerst da war. Die Idee, auf Kafkas Werk „Die Verwandlung“ einen Fantasie-Roman aufzubauen.  Oder die Idee von den Wandlern selbst.

Kafka hat es Zeit seines Lebens nicht geschafft aus seiner Haut zu schlüpfen und sich zu befreien. Genauso wie sein verwandelter Protagonist Gregor Samsa. Hier verlässt Klassen den vorgezeichneten Weg. Sie lässt ihren Protagonisten nicht untergehen. Gottseidank.

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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne von Nina BlazonNina Blazon
Format: Kindle Edition
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 529 Seiten
Verlag: cbt
Erscheinungsdatum: 24. Februar 2014

Bücher sind wie Erinnerungen. Unzählige sammelt man über die Jahre hinweg – doch die meisten sind schnell vergessen. Das Gros der Geschichten, die ich gelesen habe, sind so flüchtig wie ein kühler Regenschauer an einem warmen Sommertag. Sie perlen an einem ab, dringen nicht tief. In Minutenschnelle verdampfen sie in ihrer Bedeutungslosigkeit, verhallen ohne ein Echo zu hinterlassen; sind stumm trotz Abertausend Worte.

Doch manchmal greifen die Buchstaben schon nach wenigen Zeilen nach Dir, sie summen eine verheißungsvolle Melodie, flüstern von Abenteuer und Liebe, locken dich, verzaubern dich, bis du alles um dich vergisst und mit Haut und Haar eintauchst in ihre Geschichte. Der dunkle Kuss der Sterne von Nina Blazon ist so ein außerordentliches Buch. Es hat mich mit Flüsterstimme verführt und so fest umarmt, dass mich sogar noch die Erinnerung im Geiste wärmt.

Nina Blazon erschafft in „Der dunkle Kuss der Sterne“ ein Märchen mit einer starken Botschaft.  Sie erzählt die Geschichte von Canda Moreno, eines Mädchens, das in einer schicksalshaften Nacht von der Auserkorenen zur Verlorenen wird: Irgendetwas hatte den Glanz von ihrer Haut genommen, den Klang aus ihrer Stimme und Canda damit ihrer höchsten Gabe beraubt, ihrer Schönheit. Doch damit nicht genug. Canda verliert nicht nur ihren Glanz, sondern auch ihren Versprochenen. Ohne ihn kann sie niemals werden, wozu sie geboren wurde: „Eine Zweiheit zu sein, eine Seele, ein Körper, mit aller Macht, die daraus entsprang.

Und damit ist ihr Schicksal besiegelt. Canda ist nutzlos für ihre Familie, für die Höchsten der Gesellschaft.  Als Unvollständige, Gewöhnliche, unterscheidet sie sich kaum von den Niederen: Sie ist wertlos, unansehnlich, von ihrem Liebsten verlassen – nur noch gut genug für ein Leben im Haus der Gestrandeten Einzelnen.

Doch ein letzter Ausweg bleibt ihr. Sie soll ihren flüchtigen Liebsten zurück bringen, an der Seite des Sklaven Amads. Doch dafür muss sie sich in die Tod bringende Wüste wagen, die die Haut von der Seele schält und jedes Geheimnis frei legt. Sie muss gegen Windbräute und Eisenhaie kämpfen, gegen singende Tote, die den Erinnerungen folgen wie verhungerte Hunde, gegen Mischwesen und vor allem gegen ihre Vergangenheit.

Nina Blazon zwingt ihre Protagonistin aus den Augen einer „Gewöhnlichen“ zu sehen, ihre Perspektive zu wechseln, sich selbst neu zu erfinden. Canda muss lernen, in ihrer zweidimensionalen Welt, in der es nur oben und unten, Hop oder Top, Herren und Sklaven, Schönheit und Hässlichkeit gibt, die Zwischentöne zu hören:  die Augen zu öffnen für sich, den Rest der Welt und für Amad.

Doch das ist gar nicht so einfach. Der wortkarge, dunkle Jäger ist undurchschaubar und abweisend. Er kämpft zwar an ihrer Seite – aber nicht freiwillig. Der Schutz Candas ist nur ein Auftrag. Doch wen will er in Wahrheit schützen? Für wen lässt sich Amad versklaven?

Und wie lässt es sich erklären, dass die Funken  fliegen bei der Berührung seiner Haut? Wie lässt es sich erklären, dass ein spinnwebfeines Band zwischen ihnen entsteht, trotz Amads Beteuerungen, dass ein Herz nur bei der Jagd stört? Und wie lässt sich vor allem eins erklären: Dass sie ihm vielleicht sogar zulächeln würde, wäre sie eine Niedere. Und er vielleicht ihr Lächeln erwidern würde…

 In „der dunkle Kuss der Sterne“ beweist Nina Blazon eins: Dass sie der Kunst mächtig ist, Märchen zu erschaffen – und das auf höchsten Niveau. Ihrer Worte fesseln von Beginn an, ihre Figuren schlüpfen aus den Buchseiten und nehmen den Leser an der Hand. Ihre Sprache ist bildhaft, aber nicht übertrieben, ihre Geschichte kann immer wieder überraschen und ist spannend bis zum Schluss. Nina Blazon webt aus Buchstaben einen kostbaren Stoff und schneidert ein Gewand, das sitzt, vom Kragen bis zum Saum. Ihr Märchen wird noch lange in mir leuchten, als es wäre es eins meiner Lichter…

Leseprobe: Der dunkle Kuss der Sterne von Nina Blazon

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Seelenkuss

Seelenkuss von Lynn RavenLynn Raven
Kindle Edition
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 577 Seiten
Erscheinungstermin: 6. Dezember 2013
ISBN: 978-3-570-16295-8
Verlag: cbt

Atemlos bin ich angekommen am Ende dieses Buches, muss mich zwingen durchzuatmen, mich zu beruhigen und zu entspannen nach diesem rasenden Ritt durch die nebelverhangenen, dunklen und gleichzeitig so leuchtenden und lebendigen Welten, die Lynn Raven mit Buchstaben geschaffen hat.

Ich bin mit großen Erwartungen an diesen Roman herangegangen, hatte ihn vorbestellt und habe noch am gleichen Abend, nachdem er auf meinen Kindle übertragen war, angefangen zu lesen. Schon allzu lange habe ich auf einen neuen High-Fantasy-Roman aus der Feder Lynn Ravens gewartet, waren für mich ihre Urban-Fantasy Romane wie „Hexenfluch“ eher ein unbefriedigendes Zwischenspiel. Und nun, nach nur wenigen glühenden Lesestunden, in denen ich die Seiten regelrecht verschlungen habe, weiß ich eins – dies ist endlich wieder ein Stoff, mit dem Lynn Raven dem gerecht wird, was sie vor Jahren in „Der Kuss des Kjer“ geschaffen hat, dies ist High-Fantasy vom Feinsten.

Dennoch kann man „Der Kuss des Kjer“ und „Seelenkuss“ nicht wirklich vergleichen. Ersterer war in meinen Augen vor allem eine abenteuerliche Fantasy-Liebesgeschichte, das ist ist Lynn Ravens Neuerscheinung nicht.

In „Seelenkuss“ hat die Autorin eine unvergleichliche, komplexe und bis ins letzte Detail ausgearbeitet Fantasy-Welt erschaffen, die mich immer wieder an den Kosmos von „Herr der Ringe“ denken ließ. Hier unternimmt der Leser nicht nur einen lockere, vergnügliche Tagesreise, in die man sich ganz nach Belieben wieder ein- und ausklinken kann – nein. Dieser Roman verlangt einem die volle Aufmerksamkeit ab, belohnt dafür mit einem absolut ausgefeilten Fantasy-Universum: Da sind nicht nur die verschiedensten Völker, die detailverliebt beschrieben werden – die Jarhaal, die Korun, die Reiter-Krieger der Isarden, um nur einige wenige zu nennen – da sind Zauberer, Hexen, Seelenklingen, Nekromanten, stürmische Meere, tränende Wälder, zerklüftete Riffe, geschäftige Städte. Die Autorin hat ihren Roman mit einer Kreation an Tieren und Pflanzen belebt – die Cay Adesh mit ihrem Federschweif, die Sonnenfische, die Sisraweiden und Cinjantannen und und und, und hat mit ihren Neologismen, Legenden und Mythen ein ganz eigenes Leben geschaffen.

Vor allem aber sind da die Protagonisten, der namenlose Jarhaal, mit den Edelsteintätowierungen und den silbernen Dämonenaugen, und Darejan, die Königstochter der Korun, die sich auf einen Gewaltmarsch begeben, auf eine Flucht vor dem Bösen, den Legionen der Seelenlosen, auf der der Leser das Grauen kennenlernt. Ich höre noch immer die Stimmen der Verfolger, das Kläffen der Hunde, das Rascheln des Schilfgrases. Spüre die Dornenfesseln an meinen Händen, die ewig klammen und nassen Füße und vor allem immer wieder die Furcht, „die auf unzähligen dünnen Beinen durch die Adern stakst“. Darejan und der „Verrückte“, so nennt sie ihren Begleiter, der an seinem Gedächtnisverlust zu verzweifeln droht, kämpfen Seite um Seite gegen einen mächtigen Zauberer und das pure Grauen, gegen Söldner und gegen das Vergessen, gegen Feinde im Diesseits und Gefahren im Jenseits und vor allem auch gegeneinander.

Denn Zweifel, Misstrauen und Hass gegenüber Darejan, gar der Verdacht des Mordes ist es, der die wenigen Erinnerungssplitter des gefolterten und tief verzweifelten Jarhaal beherrschen. Können sie es trotzdem gemeinsam schaffen, dem Schmerz und dem Horror zu trotzen und zusammen den Untergang ihrer Welt verhindern?

Aber wo ist die Liebe geblieben in dieser Rezension? – Das könnte man sich an dieser Stelle zurecht fragen. Nun, die Liebe ist in Lynn Ravens „Seelenkuss“ wie Darejans Magie, also „wie ein schwaches Glitzern in der Tiefe des Brunnens“. Manchmal taucht sie kurz auf unter der Decke der Kälte, der Verzweiflung, des Schluchzens und des Schmerzes. Doch sie ist schwach und gewinnt nur langsam an Kraft. Und meiner Meinung nach bleibt sie auch am Ende ein Kompromiss. Dennoch – auch wenn sie kraftlos und flackernd ist und nur selten aufscheint, hält man über Kapitel hinweg an ihr fest – ist doch der kleinste Funke Gefühl im ewigen Dunkel wie ein Leuchtfeuer.

Dies sollte diejenigen, die sich nach mehr Romantik sehen, aber nicht davon abhalten, die atemberaubend spannende Geschichte um Darejan und den Jahaal zu lesen. Für Liebhaber der High-Fantasy ist sie ein Muss.

Leseprobe – Lynn Raven: Seelenkuss
Scriba-Tipp: Der ctb-Verlag bietet ein Personen-, Ort- und Begriffsverzeichnis für Seelenkuss an

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Coco Lavie – Spiegelblut

spiegelblutUta Maier
Format: Kindle Edition
Erscheinungstermin: 9. September 2013
Seitenzahl: 325 Seiten
Verlag: Aeternica Verlag

Kennst Du den Gesang von Farben? Den Geschmack von Zorn und Kummer? Weißt Du, welche Düfte Wörter haben? Hast Du jemals gefühlt, wie weich Freundschaft auf den Fingern kribbelt?

Was unsereins befremdlich, exotisch, gar übersinnlich anmutet, und noch am ehesten an die Fähigkeiten eines Synästhetikers erinnert, bestimmt seit Kindesalter Coco Lavies Leben – eines 18-jährigen elternlosen Mädchens im großen Glasgow. In früher Jugend auf blutigster Weise ihres Seelenbruders – ihres Zwillings – beraubt, führt die einsame Seele eine Kampf. Sie kämpft gegen die Dämonen der Erinnerung, kämpft für einen Neuanfang und vor allem kämpft sie dafür, sich endlich selbst zu verstehen, ihre Andersartigkeit zu begreifen und damit die Erinnerungslücken und die Fragezeichen der Vergangenheit zu füllen. Doch Coco Lavies Spurensuche bleibt nicht unbemerkt. In einer Welt von Vampiren, Engeln und Lichtträgern, von deren Existenz Coco weiß oder zumindest ahnt, ist bereits das zarte Summen ihrer Seele verräterisch. Noch verpuppt gleich einer Raupe, kann sie verstecken, was sie zu sein scheint: Ein Spiegelblut, eine Spiegelseele, ein Engelskind, eine Auserwählte, die zwischen Himmel und Erde reisen kann. Kurzum: die größte Waffe der grausamen Seelenlosen, die letzte Hoffnung eines Halbseelenträgers. Coco bleibt in dieser Situation nur eins: zu beten, dass sie die Schwingen ihrer schmetterlingsbunten Seele so lange wie möglich bändigen, ihr „über-sinnliches Blut“ – Aliquid Sanctuum –  schützen kann. Denn sollte sie ein Spiegelblut sein, dann ist ihr Schicksal besiegelt: Dann gehört sie den Dämonen.

Übersinnlich – so denke ich gerade – ist ein schönes Wort, ein passendes Wort, ein Wort wie geschaffen für Coco Lavie, für Uta Maiers Roman überhaupt, für die wunderbare Art der Autorin zu erzählen.

Übersinnlich deshalb, weil Coco Lavies Art, die Welt und ihr Gegenüber zu begreifen, zu erfühlen, zu ertasten, jenseits der herkömmlichen Sinneswahrnehmung ist. Coco nimmt den Leser mit auf eine sinnesberauschende Reise: Mit ihren Augen sieht man mehrdimensional, erlebt ein Feuerwerk an Reizen, ohne überreizt zu sein, lauscht einer nie gehörten Melodie aus singenden, manchmal klirrenden Worten, erschrickt ob des Gewichts der Stille, kann Farben blind erfühlen. Man ist berührt vom Duft nach Mondwind und Silberschnee, der von Liebe erzählt, überrascht vom Geschmack des Himmels und vom Odeur des Todes. Mit Coco Lavie ist man spiegelsichtig und erfasst die Seele der Dinge.

Damit soll jedoch kein falscher Eindruck erweckt werden: Uta Maiers Roman ist kein zartes sensibles Märchen, sondern klassische – in diesem Fall kann man wohl sagen „sinnliche“- Fantasy. Die Autorin schafft einen eigenen übersinnlichen Kosmos, der all jene begeistern wird, die sich wirklich auf Fantasy-Abenteuer einlassen und vor allem auch hineindenken wollen. Nicht verwechseln sollte man das Buch mit den bittersüßen, retortenhaften Vampir- und Engelsgeschichten, die in den vergangenen Jahren wie bis zur Übersäuerung konsumiert wurden. In „Coco Lavie – Spiegelblut“ findet man keine weichen und zartbesaiteten Bösewichter. Die Welt von Damontez Aspertu, dem Halbseelenträger, Pontus, dem Unsterblichen, und Luzifer, dem ersten gefallenen Engel, ist genauso hart, kalt und grausam wie deren leblose Körper. Gleichwohl verlangt der Roman dem Leser durchaus Aufmerksamkeit ab, ohne zu überfordern, so fein und hintergründung ist er komponiert. Und genau diese Mischung ist es, die meiner Meinung nach das Außergewöhnliche an der Geschichte um Coco Lavie ist. Ohne zu viel über den Inhalt verraten zu wollen, kann ich eins versprechen: Die komplexe, vielschichtige Welt, die die Autorin geschaffen hat und die ihresgleichen sucht, ist nicht nur dunkel, tief, spannungsgeladen und unvorhersehbar, sie ist dort sanft, wo man das Gegenteil vermutet.

Oder, um es mit den Worten Jochen Mariss‘ zu sagen, dessen Zitat man am Eingang des 10. Kapitel liest: „Nichts macht uns mehr Mut, nichts gibt uns mehr Nähe, nichts hat einen stärkeren Zauber als eine sanfte Berührung“: Die dunkelbunte, lichtlose Welt von Damontez Aspertu und seinem Nachtschattenherz, die wie Finsternis ohne Hoffnung erscheint, hat mich wider Erwarten verzaubert und nicht mehr losgelassen. Sie hat sich direkt in meine Seele gesungen!

Ich warte ungeduldig auf die Fortsetzung: Coco Lavie – Nachtschattenherz!

Mehr über Uta Maier und ihrer Fanatsy-Reihe um Coco erfahrt ihr im scriba-Interview.

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Fürchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer von April TucholkeApril Genevieve Tucholke
Klappenbroschur: 384 Seiten
Verlag: cbt
Originaltitel: Between the Devil and the Deep Blue Sea
Erscheinungstermin: 9. September 2013
ISBN: 978-3-570-30884-4

Dass April Genevieve Tucholkes Roman „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ an einem Septembertag erschienen ist, kann kein Zufall sein. Niemals zuvor habe ich ein Buch gelesen, dass so sehr zu einer Jahreszeit passt wie dieses. Die Autorin zaubert mit Worten eine Welt, die in so üppigen und intensiven Farben strahlt, welche gewöhnlich nur der Herbst hervorbringen kann. Doch jenseits dieser verschwenderischen Schönheit wittert der Leser Gefahr, spürt die drohende Düsternis, die unzweifelhaft folgt, wenn das bunte Laub faulig wird und der Winter erbarmungslos die Herrschaft übernimmt. Kurzum,  eine düstere, aber romantische Mischung: „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ ist das perfekte Buch für den Herbst.

Genauso morbide wie gleichsam leuchtend ist die Beziehung zwischen den Protagonisten, der naiven Violet und dem geheimnisvollen River: Diese hat beschlossen, sich unsterblich in den Teufel zu verlieben, in einen minderjährigen Jungen, der sich wie ein Panter bewegt und ganz offensichtlich ein notorischer Lügner ist – zu dem sie aber schon nach wenigen Stunden eine unerklärliche Nähe empfindet. Er, der Teufel, nistet sich nicht nur ein in Violets Herz, sondern auch in das Gästehaus des halb verfallenen Herrschaftssitzes, den sie und ihr Zwillingsbruder schon seit Monaten alleine bewohnen. Und fast zeitgleich mit seinem Erscheinen passiert Unfassbares. In dem verschlafenen und beschaulichen Nest ziehen Mord und Totschlag ein. Als sich die mysteriösen Ergebnisse häufen und die Albträume der Bewohner wahr zu werden drohen, keimt in Violet eine furchtbare Ahnung.  Welche Gefahr geht tatsächlich von dem vermeintlich harmlosen Untermieter aus, der ihren Geist und ihre Gefühle mehr und mehr in Besitz zu nehmen scheint?

„Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ ist ein Roman, der harmlos und träge daherkommt, unter der Oberfläche aber gefährlich brodelt. Ein typischer Mystery-Thriller für Jugendliche könnte man meinen: Die Figuren, die im Vordergrund stehen, sind allesamt Heranwachsende. Außergewöhnlich selbstständig, aber dennoch minderjährig. Der Schauplatz selbst ist märchenhaft, fast romantisch, denkt man an die eindrucksvolle Mischung aus herrschaftlichem Luxus, Verfall und exzentrischem Künstlertum. Nicht zu vergessen die stürmische, atemberaubende, fast gewaltige Natur, die während der Geschichte immerzu präsent ist. Dennoch trügt dieser Schein! Der Leser erlebt in „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“, wie gängige Moralvorstellungen, die man aus Jugendromanen kennt, auf den Kopf gestellt werden. Weder die märchenhafte Einteilung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß funktioniert bei Tucholke. Noch gibt es eine klares, erkennbares Ziel, auf das der Roman zusteuert, einen eindeutigen Gegner, ein bekanntes Muster.

Stattdessen geht die Geschichte bizarre, unvorhersehbare Wege. Langsam plätschert sie dahin – man schwimmt mit der Protagonistin beinahe durch vermeintlich harmlose Szenen, ohne zu bemerken, dass das Böse mehr und mehr das Geschehen bestimmt. Und genau das ist es, was den Leser tatsächlich schaudern lässt.

Genevieve Tucholkes Roman „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ hat mich fasziniert, denn mit ihrem Debüt hat die Autorin ein Genre bedient, dass längst in Vergessenheit geraten ist. Ihr Buch ist aus meiner Sicht das beste Beispiel für einen „Schauerroman“, ganz der Epoche der Romantik verpflichtet.

Leuchtende und wispernde Worte sind der Stoff, aus dem hier Kapitel gesponnen wurden, die allesamt ein eigenes kleines Kunstwerk darstellen – und welches den Leser aufgrund der bereits erwähnten sprühenden, üppigen Sprache und vor allem wegen der unverbrauchten Metaphorik staunen lässt. Zusammen ergeben diese Szenen ein exzentrisches Gesamtkunstwerk, hinter dem sich eine stürmische und gleichsam düstere, eine morbide und manchmal abstoßende, eine gefährliche, aber dennoch schmetterlingszarte Geschichte verbirgt.

Mir war es ein tiefes Bedürfnis eine Rezension über dieses ungewöhnliche Buch zu schreiben, das gewiss die Geister scheiden wird. Denn sicherlich könnte man kritisieren, dass die moralischen Gesichtspunkte, nach denen die Figuren handeln, höchst zweifelhaft sind, Grausamkeiten und Verbrechen verharmlost werden und das ganze Figurenkonstrukt seltsam unrealistisch ist, geben sich hier die Minderjährigen doch allesamt merkwürdig selbstständig – vollkommen unabhängig von jeglicher Erwachsenen Autorität.

Kurzum, entweder man lehnt diesen Roman von Grund auf ab, oder man lässt sich vom Teufel verführen. Ich habe entschlossen, mich verführen zu lassen. Und habe es nicht bereut!

Leseprobe: Fürchte nicht das tiefe blaue Meer

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Wild

wildLena Klassen
Taschenbuch: 384 Seiten
Erscheinungstermin: 11. März 2013
Verlag: Drachenmond
ISBN: 978-3931989798

Lena Klassen ist mir nach der Lektüre von Magyria über Jahre hinweg in Erinnerung geblieben. Und das als Autorin, die aus meiner Sicht einen der besten Literaturküsse zu Papier gebracht hat, den ich als Leserin je miterleben durfte. Deshalb kam ich selbstverständlich nicht umhin, mir auch ihr neues Jugendbuch „Wild“ vorzunehmen. Anders als in Magyria, wo Klassens Protagonisten zwischen dem Hier und einer Fantasy-Welt pendeln, zeichnet sie mit „Wild“ eine furiose Dystopie:

Ein Leben auf einer rosa Wolke: Stets glücklich und zufrieden sein, nichts hinterfragen müssen, einfach nur das machen, was von einem erwartet wird und damit die Gesellschaft nicht mit wilden, gar animalischen Gefühlen gefährden. Die Welt dreht sich langsamer in Neustadt, die natürlichen Instinkte sind stumpf: Dank einer regelmäßigen Glücksinjektion, die die Menschheit vor ihrem unvorhersehbaren, rohen Verhalten verschont. Schmerz, Wut, Neid, Krankheit oder gar Kummer sind ein Fremdwort.  Wie könnte es auch anders sein, die Gesellschaft strebt nach Perfektion, nach Schönheit, nach Vollkommenheit. Auf den natürlichen genetischen Zufall zu setzten, wenn ein neues Leben entsteht, das müssen die Reichen deshalb schon lange nicht mehr. Denn so kann man wie in Peas Fall nur ein mittelmäßiges Ergebnis erzielen. Peas scheint nicht nur äußerlich mit den Gleichaltrigen kaum mithalten zu können, sie ist auch nicht so glücklich wie ihre Freunde, verfügt über wenig Talent. Wen wundert es da, dass ihr immer noch kein Partner zugeteilt wurde und ihre Liebe zu Lucky nur ein unerfülltes Sehnen bleibt. Doch als von einem Tag auf den anderen durch einen Zufall die Glücksdroge versagt und Peas Blick durch die rosarote Brille sich schärft, will sie ihr selbstbestimmtes Leben, in dem sie fühlt, schmeckt, atmet und vor allem klar denkt, nicht mehr aufgeben … Doch das bringt unvorstellbare Konsequenzen mit sich, den das System arbeitet anders, als den glücklichen Neustädtern vorgegaukelt wird.

Lena Klassen hat mit ihrem Roman „Wild“ das Rad nicht ganz neu erfunden. Parallelen zu anderen Dystopien wie z.B. Cassia & Ky fallen klar ins Auge. Dennoch hat sie es geschafft eine Zukunftsvision zu erschaffen, die in meinen Augen durchaus lesenswert ist und stolz den Vergleich mit den berühmten Vertreter des Genres standhält.

Das liegt vor allem an dem absolut unerwarteten und für Jugendromane unkonventionellen Schluss. Ohne hier vorzugreifen, kann ich den Lesern versprechen, dass sie mit solch einem Ende nicht rechnen werden. Überhaupt ist es der zweite Teil des Romans, der in den Bann zieht, der überrascht und immer wieder erschüttert. Die erste Hälfte des Buches ist aus meiner Sicht dagegen an manchen Stellen zu langatmig und auch nicht immer überzeugend. Vor allem die Liebesgeschichte zwischen Peas und Lucky ist es, die mich nicht einnehmen konnte, zu blass ist sie, zu wenig leidenschaftlich, zu wenig „wild“! (Ganz davon zu schweigen, dass meine Erwartungen nach dem eingangs erwähnten Mattim und Hanna-Kuss Welten höher liegen)

Mittlerweile denke ich jedoch, dass dies ein Kunstgriff von Frau Klassen war, um den verwirrenden Emotionen Peas – gerade was andere männliche Figuren angeht – mehr Zündstoff zu geben.

Dies ist Lena Klassen durchaus gelungen. Ich hungere nach einem zweiten Teil und würde liebend gerne lesen, ob die Geschichte aus ihrer Feder so weitererzählt wird, wie ich sie in meinem Kopf weitergesponnen habe. Denn, lieber Leser, das Ende von „Wild“ schreit nach einer Fortsetzung.

Leseprobe „Wild“ von Lena Klassen

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Rabenblut drängt

Nikola Hotel
E-Book:
Kindle Edition
Dateigröße:
599 KB
Sprache: Deutsch
ASIN:
B008CQYYQK
Leseprobe: Rabenblut drängt

Manchmal dauert es Wochen, Monate, gar Jahre, bis es wieder passiert: Bis man ein Buch in Händen hält, bei dem man Wort für Wort, Zeile für Zeile, spürt, dass man ein Kleinod aufgetan hat – einen Leseschatz, der vor dem inneren Auge eine Parallelwelt eröffnet, in der man atmet und leidenschaftlich lebt, bis man die letzten Buchstaben in sich aufgesogen hat. „Rabenblut drängt“ von Nikola Hotel gehört zu diesen einzigartigen Büchern.

Nur durch Zufall bin ich auf das E-Book aufmerksam geworden, das für gerade mal  3,99 Euro feilgeboten wird – ein Preis, der einem nahezu lächerlich gering vorkommt, hat man erst einmal bemerkt, welch außergewöhnliches Buch man in Händen hält.

Die Autorin erzählt die Geschichte eines Raben, halb Mensch, halb Tier, auf dem seit Generationen ein Blutfluch lastet. Tief in den urwüchsigen Wäldern des Böhmerwaldes zurückgezogen, versucht der Protagonist Alexej sich und seinen Schwarm zu schützen und dem Schicksal zu trotzen, das den Vätern bereits zum Verhängnis geworden ist – jedoch vergeblich. Als sich die Ereignisse überschlagen, und der Fluch nicht nur den Schwarm, sondern auch das Leben von Isabeau gefährdet, einer jungen Frau, die in Alexej längst begrabene Hoffnungen weckt, muss er sich seinen Widersachern stellen.

Liest man diesen Plot, könnte man denken: Nikola Hotel bedient sich im Auftaktroman ihrer Rabensaga einem altbekannten Erfolgsrezept. Mystische Elemente werden geschickt zu einem Cocktail mit köstlichen Zutaten wie Spannung, Herzschmerz und Liebe gemischt, den jede leidenschaftliche Romantasy-Leserin gierig und nur allzu gerne verschlingt. Nun, mit dieser Einschätzung hat man nicht unrecht: „Rabenblut drängt“ ist mystisch, romantisch, herzzerreißend und höllisch spannend – Die Geschichte um Alexej und Isabeau ist aber noch viel mehr.  Im Gegensatz zum Romantasy-Mainstram hat es Nikola Hotels Geschichte geschafft, mich tief zu berühren.

Ihre Erzählweise hat Töne in mir angeschlagen, die bis heute nachklingen. Schon nach wenigen Seiten hat die bildhafte und lautmalerische Sprache meine Sinne geschärft und so nachhaltig zum Schwingen gebracht, dass ich nicht mehr nur Hotels Worten über ihren atmosphärischen Schauplatz gelauscht habe, sondern selbst knirschend Schritt für Schritt durch den Böhmerwald gewandelt bin. Bei jedem Flügelschlag Alexejs hab ich die „wispernden Winde“ um meine Ohren gespürt und immer wieder Bilder vor mir gesehen – völlig unkonventionell, völlig neu – die mich dazu verleitet haben, innezuhalten und darüber nachzudenken und mich schließlich mit einem Lächeln auf den Lippen wieder eintauchen ließen in diese Welt, die mit Worten geschaffen wurde, aber einen so lebendig fühlen lässt, als wäre man selbst vor Ort.

Dieses völlige Eintauchen in die Geschichte wird jedoch nicht nur durch die bildhaften Naturbeschreibungen möglich, sondern auch durch die Musik. Der Leser lauscht nicht einfach den Klängen beim Spiel Alexejs auf dem Piano: bunt schwirrt vor dem inneren Auge jeder Ton durch die Luft, mal sanft, mal kreischend, bis man sich selbst mehrmals schelten muss, warum man eigentlich – ähnlich wie Isabeau – bis jetzt der klassischen Musik eine Absage erteilt hat.

Jenseits der sprachlichen Finesse sind es aber vor allem die eigensinnigen und authentischen Charaktere, die „Rabenblut drängt“ auszeichnen (und immer wieder zum Schmunzeln bringen): Wer wünscht sich nicht eine solch lebendige Freundin wie Lara? Wen berührt nicht das tollpatschige, aber so herzliche Auftreten von Jaro, dem Raben-Neuling? Wer lässt sich nicht allzugerne anstecken von der sprudelnden Energie von Nikolaus? Und wer ist nicht gebannt von der bedrohlichen Präsenz, die von Sergius ausgeht?

Über „Rabenblut drängt“ gibt es so viel zu sagen, dass es den Rahmen einer Rezension sprengt. Deshalb nur folgendes: Lest dieses bezaubernde Buch, in dem ihr längst vergessenen Worten der Bildungssprache begegnen werdet (zum Beispiel „genant“), in dem ihr Musik atmen werdet  (zum Beispiel von Dvořák , Liszt und Rachmaninov), in dem ihr das wilde, lebendige und leider vielen immer noch so fremde Osteuropa erleben werdet. Lest dieses Buch und spürt, was es bedeutet, wenn einem durch die Brille der Literatur eine sinnliche Welt erschlossen wird. Von Nikola Hotels Rabensaga wird man– so hoffe ich – noch sehr viel mehr hören.

Ich für meinen Teil wähle nun ausschließlich den längeren Weg durch den angrenzenden Park, bei dem mich schon von Weitem das laute „Kroak“ meiner neuen Rabenfreunde begrüßt…

Interview mit der Autorin Nikola Hotel lesen

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Dark Canopy

Jennifer Benkau
Verlag:
Script 5
Gebundene Ausgabe:
528 Seiten
Erscheinungsdatum: 1. März 2012
ISBN: 978-3-8390-0144-8

Dystopien haben Hochkonjunktur. Schon vor mehreren Jahrzehnten haben Autoren wie Aldous Huxley („Brave New World“, 1932) oder George Orwell („1984“, 1949) mit Romanen, die in einer negativen erfundenen Gesellschaft spielen, Furore gemacht. Heute hat der Hype um die Anti-Utopien, in denen individulle Rechte mit Füßen getreten werden und Krieg und Unterdrückung herrschen, beinahe jedes Jugendzimmer erreicht.

Auch „Dark Canopy“ von Jennifer Benkau nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Zukunft, in der die Menschen unterjocht werden und in Angst und Schrecken leben. Die Percents, künstlich geschaffene Soldaten, haben die Weltherrschaft übernommen. Als „Kampfmaschinen“ für den 3. Weltkrieg gezüchtet, sind sie den Menschen körperlich weit überlegen. Doch sie haben einen Feind: Das Sonnenlicht verbrennt ihre Haut. Aus diesem Grund wurde die Welt verdunkelt. Tag ein, Tag aus schleudert eine Maschine Staub in die Atmosphäre und hat der Bevölkerung nicht nur das Licht, sondern auch den Lebensmut genommen. Ein Dasein in Resignation ist „graue Realität“. In dieser Welt wächst die 20-jährige Joy auf. Sie jedoch gehört zu den Wenigen, die sich den Unterdrückern widersetzen und außerhalb der Stadtmauern wohnen. Joy ist als Freiheitskämpfern auf ein Leben im Untergrund geschult. Dennoch fällt auch sie eines Tages den Percents in die Hände und damit ist ihr Schicksal besiegelt. Als Soldatin für die jährlich stattfindende Menschenjagd auserkoren, bleibt ihr nur die Aussicht auf einen grausamen Tod oder bestenfalls eine Zukunft als Gebärmaschine im Zuchtprogramm der Percents … Doch gerade unter den Feinden gibt es jemanden, der dieses Schicksal nicht akzeptieren will und damit sein eigenes besiegelt!

Schon als ich den Plot von Jennifer Benaus Roman gelesen habe, war klar, dass „Dark Canopy“ Potential hat und mir ein nettes Lesewochenende bescheren wird.  „Nett“ ist jedoch weit gefehlt! „Dark Canopy“ hat nicht „nur“ Potential, der Roman hat mich gepackt und nicht mehr losgelassen. Noch immer, während ich dies schreibe, bin ich gefangen von dem Zauber, der Benkaus‘ Dystopie innewohnt. Dieser Zauber wohnt zwischen den Zeilen, zwischen den Figuren, zwischen Joy und Neel.

Er ergibt sich aber in erster Linie daraus, dass „Dark Canopy“ mich überrascht hat. Das Buch folgt nämlich nicht hundertprozentig dem gängigen Muster eines Jugendromans. Zwar bedient sich Benkau auch typischen Erfolgszutaten und hat die Geschichte um eine unmögliche Liebe zwischen Feinden in einer dystopisch geprägten Welt als Fortsetzungsroman angelegt. Dennoch ist „Dark Canopy“ anders: Der Roman ist grausamer, düsterer, spannender und  begnügt sich nicht in typischer Jugendroman-Manier mit dem ersten Kuss und „übermoralisierenden“ Botschaften. Wo Gewalt sonst nur angedeutet wird, liest man von einem „eingetretenen Brustkorb“ auf dem Gehweg, von „blutverklebtem Haar“ und fehlenden „Schädelrückseiten“. Man liest von Trauer und Schmerz, von Menschen die brechen und verzweifeln, von Tränen, Tod und Resignation, von Vergewaltigung, Schuld und Enttäuschung. Man liest aber auch von unverhoffter Freundschaft, von Hoffnung, von Widerstand, Versöhnung und von Liebe. Zu verwechseln ist diese Liebe jedoch nicht mit dem so weit verbreiteten Kitsch. Es ist eine Liebe gewachsen in Zeiten des Krieges, ungewollt, lästig, gefährlich: „Wenn ich eine Wahl hätte, wärst Du mir egal“,  heißt es da, doch gibt es keine Wahl, wenn die Gefühle zuschlagen. Und deshalb „muss man manchmal etwas riskieren, ohne hundertprozentig zu wissen, wie es ausgeht.“

Dass Benkau diese Zeilen aus der Mitte des Buches mehr als nur zufällig gewählt hat, wird gegen Ende von „Dark Canopy“ klar. Die letzten 50 Seiten des Romans ähneln einem Ritt in die Hölle. Noch immer kann ich die Angst riechen, die alles umgibt, noch immer stockt mein Atem, noch immer fliegen die Bilder hastig vor meinem inneren Auge vorbei und noch immer hämmert die Einsicht des Romans in meinem Kopf: „Sie waren alle gleich“, Unterdrückte wie Unterdrücker!

„Dark Canopy“ ist nichts für „schwache Nerven“ und für Leser, die erwarten, dass am Ende alles gut ist. Allen anderen sei der Roman mehr als empfohlen: spitzzüngige Dialoge, die nicht nur einmal zum Schmunzeln bringen, elektrisierende Spannung und eine berührende Liebesgeschichte machen den Reiz von „Dark Canopy“ aus! Die Fortsetzung soll im Frühjahr 2013 erscheinen, doch Dark Canopy lässt sich bestens als Einzelroman lesen.

Für mich bisher die beste Dystopie des Jahres!

Leseprobe von „Dark Canopy“

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