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Rabenblut drängt

Nikola Hotel
E-Book:
Kindle Edition
Dateigröße:
599 KB
Sprache: Deutsch
ASIN:
B008CQYYQK
Leseprobe: Rabenblut drängt

Manchmal dauert es Wochen, Monate, gar Jahre, bis es wieder passiert: Bis man ein Buch in Händen hält, bei dem man Wort für Wort, Zeile für Zeile, spürt, dass man ein Kleinod aufgetan hat – einen Leseschatz, der vor dem inneren Auge eine Parallelwelt eröffnet, in der man atmet und leidenschaftlich lebt, bis man die letzten Buchstaben in sich aufgesogen hat. „Rabenblut drängt“ von Nikola Hotel gehört zu diesen einzigartigen Büchern.

Nur durch Zufall bin ich auf das E-Book aufmerksam geworden, das für gerade mal  3,99 Euro feilgeboten wird – ein Preis, der einem nahezu lächerlich gering vorkommt, hat man erst einmal bemerkt, welch außergewöhnliches Buch man in Händen hält.

Die Autorin erzählt die Geschichte eines Raben, halb Mensch, halb Tier, auf dem seit Generationen ein Blutfluch lastet. Tief in den urwüchsigen Wäldern des Böhmerwaldes zurückgezogen, versucht der Protagonist Alexej sich und seinen Schwarm zu schützen und dem Schicksal zu trotzen, das den Vätern bereits zum Verhängnis geworden ist – jedoch vergeblich. Als sich die Ereignisse überschlagen, und der Fluch nicht nur den Schwarm, sondern auch das Leben von Isabeau gefährdet, einer jungen Frau, die in Alexej längst begrabene Hoffnungen weckt, muss er sich seinen Widersachern stellen.

Liest man diesen Plot, könnte man denken: Nikola Hotel bedient sich im Auftaktroman ihrer Rabensaga einem altbekannten Erfolgsrezept. Mystische Elemente werden geschickt zu einem Cocktail mit köstlichen Zutaten wie Spannung, Herzschmerz und Liebe gemischt, den jede leidenschaftliche Romantasy-Leserin gierig und nur allzu gerne verschlingt. Nun, mit dieser Einschätzung hat man nicht unrecht: „Rabenblut drängt“ ist mystisch, romantisch, herzzerreißend und höllisch spannend – Die Geschichte um Alexej und Isabeau ist aber noch viel mehr.  Im Gegensatz zum Romantasy-Mainstram hat es Nikola Hotels Geschichte geschafft, mich tief zu berühren.

Ihre Erzählweise hat Töne in mir angeschlagen, die bis heute nachklingen. Schon nach wenigen Seiten hat die bildhafte und lautmalerische Sprache meine Sinne geschärft und so nachhaltig zum Schwingen gebracht, dass ich nicht mehr nur Hotels Worten über ihren atmosphärischen Schauplatz gelauscht habe, sondern selbst knirschend Schritt für Schritt durch den Böhmerwald gewandelt bin. Bei jedem Flügelschlag Alexejs hab ich die „wispernden Winde“ um meine Ohren gespürt und immer wieder Bilder vor mir gesehen – völlig unkonventionell, völlig neu – die mich dazu verleitet haben, innezuhalten und darüber nachzudenken und mich schließlich mit einem Lächeln auf den Lippen wieder eintauchen ließen in diese Welt, die mit Worten geschaffen wurde, aber einen so lebendig fühlen lässt, als wäre man selbst vor Ort.

Dieses völlige Eintauchen in die Geschichte wird jedoch nicht nur durch die bildhaften Naturbeschreibungen möglich, sondern auch durch die Musik. Der Leser lauscht nicht einfach den Klängen beim Spiel Alexejs auf dem Piano: bunt schwirrt vor dem inneren Auge jeder Ton durch die Luft, mal sanft, mal kreischend, bis man sich selbst mehrmals schelten muss, warum man eigentlich – ähnlich wie Isabeau – bis jetzt der klassischen Musik eine Absage erteilt hat.

Jenseits der sprachlichen Finesse sind es aber vor allem die eigensinnigen und authentischen Charaktere, die „Rabenblut drängt“ auszeichnen (und immer wieder zum Schmunzeln bringen): Wer wünscht sich nicht eine solch lebendige Freundin wie Lara? Wen berührt nicht das tollpatschige, aber so herzliche Auftreten von Jaro, dem Raben-Neuling? Wer lässt sich nicht allzugerne anstecken von der sprudelnden Energie von Nikolaus? Und wer ist nicht gebannt von der bedrohlichen Präsenz, die von Sergius ausgeht?

Über „Rabenblut drängt“ gibt es so viel zu sagen, dass es den Rahmen einer Rezension sprengt. Deshalb nur folgendes: Lest dieses bezaubernde Buch, in dem ihr längst vergessenen Worten der Bildungssprache begegnen werdet (zum Beispiel „genant“), in dem ihr Musik atmen werdet  (zum Beispiel von Dvořák , Liszt und Rachmaninov), in dem ihr das wilde, lebendige und leider vielen immer noch so fremde Osteuropa erleben werdet. Lest dieses Buch und spürt, was es bedeutet, wenn einem durch die Brille der Literatur eine sinnliche Welt erschlossen wird. Von Nikola Hotels Rabensaga wird man– so hoffe ich – noch sehr viel mehr hören.

Ich für meinen Teil wähle nun ausschließlich den längeren Weg durch den angrenzenden Park, bei dem mich schon von Weitem das laute „Kroak“ meiner neuen Rabenfreunde begrüßt…

Interview mit der Autorin Nikola Hotel lesen

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