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Ich wünschte, ich könnte dich hassen

Lucy Christopher
Verlag:
Carlsen Verlag; Februar 2011
Taschenbuch:
368 Seiten
Originaltitel: Stolen
ISBN-13:
978-3551520081
Leseprobe

Noch immer klingen die einzelnen Sätze von Lucy Christophers Roman „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“  in meinen Ohren und machen mich sprachlos. Ich bin sprachlos darüber, was ich in den letzten 24 Stunden gelesen, nein, vielmehr gierig in mich aufgesogen habe: Die Geschichte einer Entführung, deren Plot, so schrecklich, so unvorstellbar wie er ist, nur weniger Worte bedarf: Ein junges Mädchen, Gemma,  gerät am Flughafen in die Hände ihres Häschers. Alles ist von langer Hand geplant. Bevor sie sich versieht, strandet sie im australischen Nirgendwo, gerissen aus der ihr bekannten Welt. Dort wo sie nun festgehalten wird gibt es kein Entrinnen, es gibt keine Hoffnung, nur Verzweiflung, karges, tödliches Land und Ty…

Wie kann es also dennoch sein, dass Gemmas Hassgefühle umschlagen in so etwas wie Liebe? Wie kann es sein, dass das todbringende Land ihrer Gefangenschaft sich spürbar wandelt in eine lebendige Oase? Und wie kann es sein, dass der Leser in Ty, Gemmas Entführer, nicht zwingend ein Monster sieht, sondern die Augen richtet auf den gebrochenen, sensiblen Teil seiner Seele? Ich bin wie betäubt von den schmerzhaften Wegen, die diese Geschichte und ihre Protagonisten gehen. Und gleichzeitig bin ich sprachlos, dass ich diese Entwicklung völlig glaubhaft empfinde und jeden ihrer Gedanken verstehen kann.

Aber wie soll ich das in nachvollziehbare Worte fassen?  Wie soll ich eine Rezension über ein Buch schreiben, dass so anders ist, sich so grundlegend von bekannten Mustern unterscheidet, dass man selbst nicht glauben kann, was man da gelesen hat? Wie soll ich dem Leser klar machen, dass „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ein mehr als lesenswertes Buch ist, obwohl es von Dingen erzählt, die sich kein Mensch auf dieser Welt wünscht, die verstörend und furchtbar sind? Wie kann ich ihm vermitteln, dass die Geschichte um Gemma und Ty hart, grausam und traurig, aber gleichzeitig sanft, zart und wunderbar leuchtend ist – sanft wie der Flügelschlag des Nachtfalters in Gemmas Händen, zart wie der kühl die Haut liebkosende Morgen in Sandy Desert, leuchtend wie die Abertausend Sterne über dem einsamen Haus im Nirgendwo, in dem Gemma sich aufgegeben und neu erfinden musste.

Ich bin fassungslos über die Idee, die diesem Buch zugrunde liegt. Über die Geschichte, die Lucy Christopher erzählt, eine Geschichte, die ich mir in den kühnsten Träumen nicht hätte ausdenken können. Ich bin fassungslos darüber, was diese Geschichte mit mir gemacht hat. Ich bin fassungslos, welch unvermutetes Leben, welch unerwartete Schönheit Lucy Christopher dem Leser in der kargen Landschaft der australischen Wüste offenbart.  Ich bin fassungslos, weil ich genau weiß, was krank und falsch ist, und trotzdem spüre, was Gemma spürt und weil sich Böse und Gut vor meinen Augen vermischen. Ich bin fassungslos über das Ende der Geschichte, das gut und richtig war und weil ich mir insgeheim genauso wie Gemma ein anderes Ende hätte vorstellen können. Ich bin fassungslos, was geschriebene Worte auslösen können. Ich bin fassungslos weil ich bunte Farben vor meinen Augen sehe, Kringel, Punkte, bin fassungslos, weil ich wie ein Vogel über Sandy Desert fliege. Ich bin verstört, atemlos, vor allem aber bin ich froh Gemmas und Tys Geschichte gelesen zu haben.

Lieber Leser, ich weiß nicht, ob diese Geschichte das gleiche mit Dir macht, wie mit mir. Aber eins verspreche ich Dir – sie wird Dich berühren!

Zu guter Letzt sei eins gesagt: „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ist mitnichten ein Jugendbuch. Erwachsene Leser sollen sich nicht davon abhalten lassen, in die Geschichte von Gemmas Entführung einzutauchen.

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