Kategorie-Archiv: Belletristik

Nachricht von Dir

Guillaume Musso
Taschenbuch:
464 Seiten
Verlag:
Pendo; Auflage: 3 (März 2012)
ISBN:
978-3866123137
Originaltitel:
 L`Appel de l`ange

Es passiert in den seltensten Fällen: Der Titel „Nachricht von Dir“ von Guillaume Mussos Roman hat mich lange zögern lassen, das Buch überhaupt zu beginnen. Er hat mich von Anfang an an einen vorhersehbaren Liebesroman erinnert – ein Genre, das durchaus seine Berechtigung hat, mich aber nicht anspricht. Letztlich hat die Neugier über die Bedenken gesiegt, was eindeutig dem Plot zuzuschreiben ist.

Die Geschichte um zwei vertauschte Handys und eine daraus resultierende Bekanntschaft hat mich als bekennenden Fan des Glattauer-Romans „Gut gegen Nordwind“ gelockt: Bei Musso sind es zwar keine E-Mails, sondern Kurznachrichten und Telefonate über die sich die Protagonisten kennenlernen; doch das Prinzip ist das Gleiche: Per Zufall vertauschen Madeleine und Jonathan am New Yorker Flughafen ihre Mobiltelefone. Sehr ärgerlich, denkt man daran, wie wichtig heutzutage das Handy geworden ist. In den meisten Fällen dient es nicht mehr nur der Erreichbarkeit, sondern ist zur persönlichen kleinen Schatztruhe geworden, einer Art Tagebuch. Verwaltet werden dort nicht nur Kontakte und SMS, auch Termine, Mails und vor allem persönliche Fotos und Videos. Kurzum, das Handy ist heute vergleichbar mit einem Wohnungsschlüssel: Es bietet Eintritt in die intimste Privatsphäre eines Menschen. Da ist es fast unmöglich der Einladung zu widerstehen, sich ein wenig genauer umzusehen …

„Katz und Maus“ heißt passenderweise der erste Abschnitt des dreiteiligen Romans von Guillaume Musso: Nachdem die Hauptpersonen den unfreiwilligen Handytausch bemerkt und sich darüber verständigt haben, die Telefone schnellstmöglich zurückzusenden, können sie nicht davon ablassen, einen genaueren Blick hineinzuwerfen. Ab diesem Zeitpunkt kommen alle Glattauer-Fans auf ihre Kosten. Denn der spitze SMS-Kontakt zwischen Madeleine und Jonathan ist genauso köstlich und amüsant wie zwischen Emmi und Leo! Und genauso wie bei „Gut gegen Nordwind“ bleibt es bei „Nachricht von Dir“ nicht bei einer flüchtigen Bekanntschaft. Vielmehr geraten die Hauptdarsteller in einen Strudel, müssen mehr über den anderen erfahren, können nicht aufhören weiter zu recherchieren, weiter in das Leben des nun nicht mehr ganz Unbekannten einzudringen, werden süchtig danach … Doch anders als bei Glattauers Roman ist dies nicht in erster Linie die Initialzündung einer Liebesgeschichte, sondern eines Thrillers. Denn Madeleine und Jonathan haben beide mehr zu verbergen, als es scheint.

Die große Leistung von Guillaume Mussos Roman liegt genau in diesem unverhofftem Genrewechsel. Nichts weist darauf hin, dass sich hinter der Romanze von Madeleine und Jonathan ein mitreißender Krimi versteckt, die Geschichte hinter der Geschichte. Um so überraschter ist der Leser und umso spannender steigt man ein in Abschnitt zwei des Buches. Meine Bedenken haben sich also nicht bewahrheitet. „Nachricht von Dir“ ist keineswegs nur eine kitschiger Lovestory, sondern ein überraschender und schneller Roman. Dennoch kann ich mich nicht dazu entschließen, das Buch in den gleichen Tönen zu loben, wie viele andere Rezensenten. Denn meiner Meinung nach fällt im letzten Drittel des Buches die Qualität merklich ab: Zu konstruiert wirkt die Geschichte dann, zu schablonenhaft werden die Helden gezeichnet, zu sehr verfällt der Erzählton nunmehr in den typischen Rhythmus eines amerikanischen Actionromans, zwar spannend, doch der Tiefgang ist verloren.

Kurzum, „Nachricht von Dir“ ist bestens für einen kurzweiligen Lesetag geeignet. Ein Buch, an das man sich lange erinnern wird, ist es jedoch nicht. Dennoch bleibt mir Guillaume Musso als Autor sehr sympathisch. Das liegt jedoch nicht an dieser Geschichte, sondern an den Zitaten, die er jedem Kapitel vorangestellt hat. Seit Jahren – so schreibt er im Nachwort – notiere er beim Lesen Sätze, die ihn zum Lachen und zum Träumen bringen, die ihn berühren oder gar beeindrucken. Und hier beeindruckt mich Guillaume Musso, denn ob Lord Byron, Carlos Ruiz Zafón, Milan Kundera oder Marguerite Yourcenar, mit seiner Lektüre spricht er mir aus der Seele …

Leseprobe: Musso, Guillaume – Nachricht von dir

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Das geheime Prinzip der Liebe

Héléne Grémillon
Verlag:
Hoffmann und Campe
Erscheinungstermin: 22. Februar 2012
Gebundene Ausgabe:
255 Seiten
ISBN:
978-3-455-40096-0
Originaltitel:
 Le confident

Stille Wasser sind tief – diese Volksweisheit kennt wohl jeder. Man denkt dabei an einen Menschen – oftmals ruhig und zurückhaltend – den man glaubt, schnell einordnen zu können. Doch beim näheren Hinsehen merkt man, dass man einer Fehleinschätzung unterlegen ist. Genauso ging es mir mit Hélène Grémillons Roman „Das geheime Prinzip der Liebe“. Als ich das ansprechende Cover und den Titel gelesen habe, vermutete ich, einen Liebesroman in den Händen zu halten. Keine Schnulze, das war klar, sondern in bekannt französischer Manier eine tragisch-schicksalshafte Erzählung, sprachlich souverän und ironisch. Selten habe ich mich so grundlegend getäuscht.

„Das geheime Prinzip der Liebe“ erzählt die Geschichte  der schwangeren Camille, die nach dem Tod ihrer Mutter mysteriöse Briefe von einem Unbekannten erhält. Er schreibt darin vor der Kulisse des beginnenden 2. Weltkriegs von seiner bedingungslosen Liebe zu einer jungen Malerin. Diese wiederum lässt sich seinen Schilderungen zufolge auf eine diabolische Abmachung mit ihrer unfruchtbaren Gönnerin ein und will ihr ein Kind schenken. Diese wahnwitzige Idee löst eine zerstörerische Kettenreaktion aus und beeinflusst das Schicksal aller im Roman beteiligten Personen, seien es die sorgenden Eltern der Schwangeren, die unschuldige Dienerin der Gönnerin, oder der liebende Autor der mysteriösen Briefe. Und selbst Camille ergreift ein unvorstellbarerer Verdacht: Ist auch sie Teil dieser düsteren Geheimnisse?

„Das geheime Prinzip der  Liebe“ ist aus meiner Sicht kein Liebesroman, sondern vielmehr ein Psychogramm: Der Roman zeigt auf, welche unvorstellbaren Abgründe in Menschen schlummern, wie nachhaltig individuelle Entscheidungen das gesamte Umfeld beeinflussen und welche unaufhaltsamen Kettenreaktionen damit ausgelöst werden. Hélène Grémillon spielt dabei meisterhaft und mit einer bedrückenden Eindringlichkeit mit dem Leitmotiv der Ambivalenz: Denn ob „Schuld und Sühne“, „Glück und Unglück“, „Opfer und Täter“, „Liebe und Hass“ – Grémillon führt unmissverständlich vor Augen, dass Opfer im Nu zu Tätern werden können und dass aus dem Glück des einen das Unglück des anderen erwachsen kann. Und manchmal bedeutet das eigene Glück gleichzeitig das eigene Verderben… Kurzum, sie beschreibt die zerstörerische Kraft der Liebe.

Ambivalent ist auch die Sprache Grémillons: einerseits wunderbar poetisch, jedoch auffallend schnörkellos, fast schlicht. Der Roman beginnt zart, fast zerbrechlich, später wird er rasant und bedrückend: Der Leser erlebt eine Achterbahn der Gefühle. Mehrmals musste ich durchatmen, das Gelesene sich setzen lassen. Fast wie eine Ertrinkende fühlte ich mich ab Mitte des Buches, hineingezogen in einen Sog- in einen sich immer stärker verdichtenden Alptraum – aus dem es jedoch kein Entrinnen gibt. Denn wie im Wahn muss man weiterlesen, Stück für Stück jedes noch so unbarmherzige Geheimnis lüften, bis man am Ende angekommen ist, fassungslos, ungläubig, voller Entsetzen, aber auch beglückt und erleichtert. Denn man weiß eins: Hélène Gémillons Debüt-Roman „Das geheime Prinzip der Liebe“ ist ein Meisterwerk: düster, unvorhersehbar, eindringlich, berührend!

Ausdrücklich gelobt sei Claudia Steinitz, die den Roman aus dem Französischen übersetzt hat: Sie hat genau die richtigen Worte gefunden, um die poetische Sprache Grémillons auch im Deutschen klingen zu lassen wie ein fein gestimmtes Instrument!

Mein Dank gilt dem Hoffmann und Campe Verlag, der mir als Teilnehmerin der Leserunde bei Lovelybooks, das Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat!

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Die Dienstagsfrauen

Monika Peetz
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Broschiert: 448 Seiten
ISBN: 978-3-462-04375-4
1. Auflage 2011

Um ehrlich zu sein: gekauft wurde dieses Buch wegen seines wunderbaren Formates und der Leinenbroschur. Ideal geeignet für jede Handtasche und sehr appetitanregend mit den kleinen Törtchen auf dem Cover.

Doch ungeachtet des Einbandes erfreut die Geschichte um die 5 „Dienstagsfrauen“ auch das Herz und regt zum Nachdenken an.

Fünf Frauen, alle dies- und jenseits der 40, treffen sich seit 15 Jahren jeden ersten Dienstag im Monat in ihrem Lieblingsrestaurant „Le Jardin“ zum Essen. So unterschiedlich wie sie heute sind, wären sie wohl kaum miteinander befreundet, hätten sie nicht vor 15 Jahren gemeinsam einen Französischkurs besucht und die Dienstagstradition ins Leben gerufen. Die erfolgreiche Anwältin Caroline, die überempfindsame und etwas unselbstständige Judith; Eva, einst angehende Ärztin, nun hingebungsvolle Mutter von 4 Kindern; Kiki, die jüngste, die noch immer auf ihren Durchbruch als Designerin wartet und schließlich noch Estelle, die Glamourlady mit herrlich spitzer Zunge bilden das bunt zusammengewürfelte Quintett.

Einmal im Jahr verreisen alle miteinander. So auch dieses Jahr, nur dass alles anders ist. Arne, Judiths Mann, verstirbt an Krebs und hinterlässt unfreiwillig sein Tagebuch von einer Pilgerreise nach Lourdes, welche er nicht mehr zu Ende bringen konnte. Judith möchte für ihn nun diesen Weg fertig gehen und die 4 Freundinnen schließen sich ihr aus teils völlig unterschiedlichen Gründen an.

Recht schnell stellt sich heraus, dass mit Arnes Tagebuch etwas nicht stimmen kann und während Judith es lange Zeit nicht wahrhaben möchte, machen sich die anderen 4 daran, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen – ohne zu ahnen, dass sie damit v.a. ihr eigenes Leben von Grund auf verändern werden.

Die Pilgerreise, als Unterstützung für die trauernde Judith gedacht, wird für die fünf Freundinnen zum Augenöffner. Nichts ist, was es scheint.

Ein herrlich frisch geschriebener Roman über die erhoffte Selbstfindung, den damit verbundenen Problemen und einem Hauch von Kriminalgeschichte. Monika Peetz schafft es von Anfang an, den Leser zu fesseln. Ob nun Arne mit dem unbestimmten Gefühl verstirbt, etwas vergessen zu haben, Eva sich nicht vorstellen kann, auch nur einen Tag der Pilgerreise durchzustehen oder Estelle sich eine äußerst kuriose Pilgerausstattung zusammenstellen lässt: Man harrt gespannt der Dinge, die kommen werden.

 Gastrezension von Caro

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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Joseph von Westphalen
Taschenbuch: 480
Verlag: btb
Erscheinungstermin: 22. Mai 2002
ISBN-10: 3894807573

Der Beginn des Buches ist so gut geschrieben, dass man neugierig weiterliest und sich bemüht die vielen Frauennamen und Beziehungen in chronologischer Reihenfolge unterzubringen. Voller Staunen erfährt man von der Vitalität des älteren Herren namens Viktor Goldmann, und bewundert ihn ob seiner geistigen Höchstleistungen, alle seine Liebschaften in geordneten Bahnen zu halten. Der Autor hat wirklich eine sehr kultivierte, intelligente und feine Schreibweise. Der Text sprüht vor Witz und Metaphern. Das ist es, was über Seiten hinweg verzückt.

Aber sein Protagonist ist ein hoffnungsloser Egomane, ein Narzist, ein dauerpotenter Frauenverehrer. Er schiebt seine Auserwählten, je nach Favoritin, wie auf einem Schachbrett hin und her. Man fragt sich unwillkürlich, ob in diesem Jägerhirn außer Samensträngen noch Platz für Gehirnmasse bleibt!

Die vielen, vielen folgenden Seiten ziehen sich endlos. Man wartet voller Hoffnung, dass endlich eine Wendung einträte, etwas Neues geschehen würde. Dass der gute Mann ausgelaugt und erschöpft auf andere Gedanken käme. Aber leider erfüllt sich diese Hoffnung nicht …

Daher möchte man ihn schlussendlich mit seiner Tscherkessin in die Mongolei in eine Jurte schicken, wo er mit ihr Büffelmilch trinkt und glücklich ist bis an das Ende seiner Tage. Dann könnte man erlöst aufatmen!

Empfehlenswert für Leser mit Freude an wortgewandter Schreibkunst, aber etwas ungeeignet für Ungeduldige, welche nach über zweihundert Buchseiten noch lange kein Licht am Horizont erkennen können!

Gastrezension von Ilona

Hier geht’s zur Leseprobe: http://www.randomhouse.de/ebook/Der-Liebessalat-Roman/Joseph-von-Westphalen/e118131.rhd?mid=4&serviceAvailable=false&showpdf=false#tabbox

 

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Fräulein Kellermann und die Kunst des Schwärmens

Barbara Voß
Taschenbuch:
448 Seiten
Verlag:
rororo; Auflage: 2
Erscheinungstermin: 1. November 2007
ISBN-10:
3499245655

Ein paar Stunden sind vergangen, seit ich „Fräulein Kellermann und die Kunst des Schwärmens„ beendet habe und immer noch habe ich diese eine Melodie im Ohr, die ich zukünftig unweigerlich mit dem Buch verbinden werde:  „Da waren sie, die ersten schlichten, langsamen Gitarrenakkorde von Johnny Cashs‘ Hurt … dann die Stimme: I hurt myself today – to see if I still feel – a focus on the pain – the only thing that’s real… Und jetzt, das Ansteigen zum traurig-hoffnungsvollen Schlussakkord: And you could have it all…“ Danach bin ich  jedes Mal bewegt, aber auch erschöpft, genauso wie Perdita Kellermann.  Aber ich bin auch glücklich. Denn ich habe einen neuen Schwarm. Er heißt „Fräulein Kellermann und die Kunst des Schwärmens“:

Geneigter Leser, glauben Sie mir, Sie wollen nicht, dass ich nun ansetze und in aller Einzelheit den Inhalt wiedergebe. Seien Sie versichert, lieber wollen Sie verführt werden, wollen sich einfach nur entspannen und zuhören, nachspüren und schwärmen … Wir probieren ein kleines Experiment. Ich versuche Ihnen eine kleine Kostprobe der Atmosphäre aufzuzeigen, die Sie bei der Lektüre dieses unglaublich originellen Romans erwartet:

Schließen sie die Augen, hören Sie schon die Akkorde der Gitarre?  Riechen  den Rauch von Perdita Kellermanns selbstgedrehten Gauloises? Schmecken Sie bereits den erfrischenden Kräutertee, liebevoll vorbereitet? Oder lassen Sie sich gerade ein Stück der unvergesslichen Zartbitter-Schokolade Perditas für 35 Cent auf den Lippen zergehen? Geben Sie acht, vielleicht fühlen sie auch einen Wimpernschlag auf Ihrer Haut, sehen das Fräulein Kellermann beim Putzen, beim Lachen, sehen es vor sich, mit Blumen in der Hand, eine Frau die vom Markt kommt, dunkles langes Haar, „einen großen geblümten, bis oben hin vollen Henkelbeutel tragend, aus dem ein Ciabatta oder die roten Köpfe von Radieschen herauslugten“. Das alles hat Pathos, Energie, und Sie möchten ein wenig mehr wissen von der fabelhaften Welt des Fräulein Kellermann, die nach mehreren Liebesleiden durch bewusste Herstellung äußerer und innerer Ereignislosigkeit genesen will.  Sie macht es schneewittchengleich. Gibt ihren Alltag als Talkshowredakteurin auf und träumt sich in eine Welt hinter den Bergen, geschützt von ihren sieben Zwergen, die sie in Form von feinsäuberlich ausgewählten Putzjobs findet. Vielleicht hören Sie aber auch schon die dunkle Stimme von Alf am Telefon bei seinen unzähligen Stummfilmanrufen, denen Perdita nur schwer widerstehen kann, fühlen den glühenden Blick Osmans auf Ihrem Gesicht. Fühlen Sich ergriffen, sind neugierig, wollen mehr sehen, mehr lesen, wollen schwärmen … Und ahnen, dass es bei dieser ersehnten Ereignislosigkeit im Leben von Fräulein Kellermann nicht bleiben kann.

Das ist die Welt von Fräulein Kellermann. Ich weiß, womöglich finden Sie diese Informationen spärlich und auch verwirrend. Aber glauben Sie mir, wenn Sie zum Schwärmen geboren sind, dann fangen Sie nun an zu lesen und ich verspreche Ihnen eins: Garantierte Heiterkeit!

Gesagt sei nur noch folgendes: Sie Frau Voß, hören Sie bitte nicht auf zu schreiben. Machen Sie weiter. Verführen sie Ihre Leser mit dieser rauchigen dunklen Stimme, dieser Sprachmelodie, diesem Pathos, dieser Eleganz. Denn Ihre Leser werden auch zukünftig von Ihnen schwärmen!

Ich klicke mitunter erneut auf den Youtube Link von „Hurt“. Und alles beginnt von Neuem: „If I could start again – a million miles away – I would keep myself – I would find a way …“
Probieren Sie es aus!

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Zwei_an_einem_Tag_Nicolls

Zwei an einem Tag

David Nicolls
Taschenbuch:
544 Seiten
Verlag:
Heyne
Erscheinungstermin: 14. März 2011
ISBN:
3453811844
Originaltitel:
 One Day

Es gibt Bücher, bei denen man schon nach den ersten Seiten erahnt, dass man eines dieser seltenen Exemplare gefunden hat, das dir mit jedem Wort ein Versprechen ins Ohr flüstert, dich lockt und deine Gier entfacht, so dass du weißt, dass in den nächsten Tagen nichts anderes zählen wird als diese eine Geschichte. „Zwei an einem Tag“ von David Nicolls ist so ein Buch. Schon nach dem ersten Kapitel war ich überrascht, aufgeregt und in Vorfreude auf das, was mich erwartet. In der Mitte habe ich das Buch geliebt, war aufgekratzt und ungläubig. Am Ende war mir klar, dass es zu den wenigen seiner Art gehören wird, an die ich mich auch nach Jahren noch gut und gerne erinnern werde und wo ich in Gedanken in sekundenschnelle wieder diese ganz besondere und eigene Gefühls-Note auferstehen lassen kann – ähnlich wie das Bouquet eines guten Weines.

Der Plot der Geschichte ist schnell erzählt: Emma und Dexter, beide Studenten, kommen zufällig am Abend ihrer Abschlussfeier ins Gespräch und verbringen die Nacht miteinander.  Dann verlieren sich ihre Wege, schlagen unterschiedliche Richtungen ein. Dennoch verlieren sie sich nicht ganz aus den Augen. Über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg erhält der Leser immer am Tag ihres Kennenlernens Einblick in das Leben sowie die wechselseitigen Verwicklungen von Emma und Dexter.

Meiner Meinung nach ist es aber nicht der Plot, der das Buch zu dem macht, was es ist, sondern die Art, wie David Nicolls Geschichten erzählt: im Vordergrund steht nämlich kein handlungsreiches uns spannungsgeladenes Geschehen, sondern die Ausformung und Entwicklung seiner Charaktere, die er 20 Jahre lang begleitet. Zum Staunen hat mich bereits in der Schlüsselszene, dem ersten Kapitel, das Beobachterauge des Autors gebracht, wenn er seine Figuren zum ersten Mal beschreibt: Die Spitze von Emmas hübscher kleiner Nase „glänzte leicht fettig“, heißt es da und dass sie die ungeschminkten, himbeerroten Lippen beim Lächeln fest zusammenpresse. Dies – so vermutet Dexter, als er sie betrachtet – vermittle den Eindruck als unterdrücke sie ein Lachen oder irgendeinen tollen Witz und dies ist es auch, was ihn bleiben lässt in ihrem Bett an jenem besagtem Abend. Für mich bringt diese Sequenz auf den Punkt, was den besonderen Zauber des Romans ausmacht: Nicolls setzt auf das Unscheinbare, inszeniert das Unperfekte, überrascht mit dem Unerwarteten, denn wo sonst wäre es möglich, eine kleine fettige Nasenspitze zärtlich ins Rampenlicht zu rücken. Auch im weiteren Verlauf des Buches erhascht der Leser immer wieder gnadenlos unkonventionelle Blicke auf seine Protagonisten. Nicolls zeichnet beide mit all ihren Stärken uns Schwächen, mal liebenswürdig, mal weniger sympathisch, aber durchgängig nachvollziehbar, echt, spürbar.

Besonders überrascht hat mich dabei die Fähigkeit des Autors, einen weiblichen Charakter völlig glaubhaft darzustellen. Immer wieder habe ich mich dabei erwischt, dass ich mich mit Emmas Handlungen und Gefühlen identifizieren konnte, ich sie verstehen konnte und das, obwohl ein Mann die Entwicklung dieser Figur angelegt hat. Dies spricht wiederum für die besondere Beobachtungsgabe Nicolls: Er hat das Gesamtbild vor Augen, stellt aber die Dinge, die gewöhnlich nicht auffallen in den Mittelpunkt, die kleinen Nebensächlichkeiten, die aber eine Persönlichkeit ausmachen.

Mehr will ich nicht verraten –nur eins– der Leser, egal ob 20 oder 40, wird diese Figuren bis zum Schluss lieben und das Buch am Ende der letzten Seite fassungslos, aber auch glücklich schließen.

Kurzum: Zwei an einem Tag ist für mich die Entdeckung des Jahres 2011!

Völlig abraten würde ich jedoch von der aktuellen Verfilmung mit Anne Hathaway. Ich bin zufällig darauf gestoßen und – wie soll man sagen – beruhigt, dass es scheinbar unmöglich ist, literarischen Zwischentöne auf die Leinwand zu bringen!

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Die Klavierspielerin – Ein Buch, meilenweit entfernt vom gängigen „Das müssen Sie lesen“

Elfriede Jelinek
Taschenbuch:
283 Seiten
Originalausgabe:
Rowohlt (1983)
Sprache:
Deutsch
ISBN-10:
3-499-15812-4

Darf der „normale Leser“ sich trauen das Buch einer Nobelpreisträgerin zu rezensieren?
Ja, denn man kann und sollte zu allem eine eigene Meinung haben, und es wäre falsch sich in einer medial bevormundeten Welt keine eigenen Gedanken zu machen.

Das Buch ist düster, sehr düster. Anfangs erweckt es Interesse, die Sätze sind kurz gehalten, das ist angenehm, die Wortgebilde sind ästhetisch schön, lassen staunen und wieder versucht man sich am Inhalt des Buches. Man ergreift Partei für die Protagonistin, durchlebt und durchleidet mit ihr den minutiös eingeteilten Tagesablauf, in dem kein Platz für Kindsein bleibt, was sich bis zur Selbstverletzung steigert. Auch dieser Versuch des Kindes, Gefühle zu verspüren, scheitert. Im Fokus steht jene unsägliche Mutter-Tochter-Beziehung, die sich aus dem unstillbaren Ehrgeiz der Mutter speist.

Für ihre Tochter „nur das Beste wollend“, versperrt sie dem Kind eine normale Entwicklung, ein neugieriger Teenager zu sein und ein Erleben von Sexualität. Trotz aller Entsagungen und allem Fleiß erreicht die junge Frau keinen pianistischen Weltruhm, bringt sich widerwillig als Lehrerin, Professorin für mäßig begabte Kinder von wiederum ehrgeizgeplagten Eltern durch.
Sie lebt immer noch gemeinsam mit ihrer Mutter, schläft mit ihr im Ehebett und wird permanent von ihr überwacht. Die leidenschaftliche Verehrung eines Musikschülers wühlt Emotionen in ihr auf, aber sie ist unfähig die Sexualität auszuleben. Alles steuert auf eine Katastrophe zu, der unverstandene Liebhaber gerät in Rage und das Verhältnis verdreht sich in Gewalt. Am Schluß endet alles in einem Desaster.

Ein nicht leicht lesbares Buch, obwohl in wunderschöne Worte gekleidet und man kommt unweigerlich zu dem Schluß, Eltern sollten ihre Kinder in ihren Anlagen unterstützen, aber nicht aus elterlichem Geltungsdrang, sondern weil Kinder es unbedingt wollen.
Es ist ein Lehrbeispiel für alle Eltern, die ihre Kinder zwangsweise nach ihren Normen formen und dabei das eigene Glück des Kindes außer Acht lassen. Es braucht ungeheuere Anstrengung von Seiten des Kindes, dieses Trauma abzulegen, wenn es überhaupt gelingt.

Ein Buch, das von der wunderschönen, ungeschnörkelten und für mich heimeligen Sprache lebt, das die meisten hochgeputschten Bestsellertitel in ihre Schranken weist und bei seinem Leser bleibenden Eindruck hinterläßt.

Ein Buch, meilenweit entfernt vom gängigen „Das müssen Sie lesen“, wohlabgehoben und für die Autorin selber sicher keine leichte Kost. Sehr lesenswert!!

Eine Gastrezension von Ilona

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Mal kein Thriller aus Schweden, sondern kurzweilige Unterhaltung: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

Jonas Jonasson
Übersetzung: Wibke Kuhn
Broschiert:
416 Seiten
Verlag:
carl’s books (29. August 2011)
Sprache:
Deutsch
ISBN-10:
3570585018
Originaltitel:
Hundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann

Jonas Jonassons Buch „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ ist sein literarisches Debut und ein turbulentes Roadmovie der ganz besonderen Art: Baron Münchhausen hätte in der Hauptperson des hundertjährigen Allan Karlsson einen Musterschüler wie aus dem Bilderbuch gefunden. Oder anders gesagt: Einige große politische Begebenheiten der vergangenen hundert Jahre haben wohl doch einen völlig anderen Hintergrund…

„Wenn das Leben Überstunden macht, fällt es einem eben leichter, sich gewisse Freiheiten herauszunehmen“, denkt sich Allan Karlsson und lässt Schwester Alice („die Giftspritze“) und sämtliche Gratulanten vom Bürgermeister über die Lokalpresse bis hin zu den anderen Bewohnern seines Altersheims einfach sitzen. Er türmt an seinem hundertsten Geburtstag in Hausschuhen aus seinem Fenster (im Erdgeschoss) und flüchtet (im Schlurftempo) Richtung Busbahnhof. Seine Flucht stellt bald das ganze Land auf den Kopf, während Allan mit seinen aufgegabelten Verbündeten, einem 70jährigen – für ihn also fast jugendlichen – Gauner und Gelegenheitsdieb, einem Imbissbudenbesitzer und Ewigkeitsstudenten, der alle möglichen Fächer fast abgeschlossen hat, einer nicht mehr ganz so schönen Frau und deren Haustieren, einem Hund und einem Elefanten, durchs Land zieht. Nebenbei haben die Freunde einen Koffer mit 50 Millionen schwedischer Kronen aus Drogengeschäften zu verwalten, der mehr oder weniger zufällig in Allans Obhut kam und dessen rechtmäßige Besitzer ebenfalls mehr oder weniger zufällig von den Gefährten aus dem Weg geräumt werden.

Die Flucht mit einem Hundertjährigen, einem Siebzigjährigen und einem Elefanten kann nun nicht wirklich als rasant angesehen werden und so ergibt sich viel Zeit für Allan, den anderen seine Lebensgeschichte zu erzählen – und die hat es in sich. Denn Allan interessiert sich zwar nicht die Bohne für Politik, hat diese als selbsternannter Sprengstoffexperte jedoch entscheidend mitgeprägt – wiederum mehr oder weniger zufällig, versteht sich. Eine Lehre, die er nach verschiedenen Diners mit Trueman, Franco oder Stalin gezogen hat: Man sollte sich immer an die Oberen halten, denn umso besser wird nicht nur das Essen, sondern – und das ist das eigentlich entscheidende für Allan – auch der Schnaps.

Jonassons Buch ist eine erheiternde und skurrile Lektüre, der man vorwerfen könnte, sie wäre maßlos übertrieben – womit man aber maßlos untertrieben hätte. Er entwickelt auf etwas mehr als 400 Seiten eine zauberhafte und wahnwitzige Geschichte, die, zielgerichtet und dicht erzählt, den Leser an vielen Stellen vor Lachen in Tränen ausbrechen, bei einigen Passagen aber auch nachdenklich werden lässt. Die Personen rund um den Hundertjährigen sind sehr fein charakterisiert. Sie haben, obwohl sie teilweise selbst kaum zu Wort kommen, ein wunderbares Eigenleben und sind nicht nur als Füllfiguren, sondern als eigenständige Charaktere gut präsent und schön gezeichnet. Man freundet sich gerne mit ihnen an und begleitet sie auf ihrer Flucht und durch die Lebensrückblicke von Allan. Dass sich am Ende der Kreis schließt ist dem heiteren Ton des Romans geschuldet und wäre anders weder denkbar noch passend. Die phantastische Geschichte erzählt Jonasson in einem nüchtern distanzierten Stil, mit viel Witz und trockenem Humor – ein echtes Lesevergnügen, auch in der Übersetzung.

Den vielfach gezogenen Vergleich zu Forrest Gump kann ich nur teilweise unterschreiben. Jonassons Protagonist Allan Karlsson fehlt es an der etwas dümmlich Naivität, die Tom Hanks als Forrest Gump verkörpert. Darüber hinaus meistert der Hundertjährige wesentlich fantastischere Abenteuer, dagegen wirkt die Geschichte um Gump fast banal. Der Handlung des Buches fehlt es an nichts, was eine gute Geschichte ausmacht: Action, Spannung, Liebe, politische Verwicklungen und ein Haufen Geld.

Leseprobe: http://www.schnupperbuch.de/9783570585016/leseprobe

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