Kategorie-Archiv: Jugendbuch

Der Winter der schwarzen Rosen

Der Winter der schwarzen Rosen von Nina BlazonNina Blazon
cbt: 544 Seiten
Erscheinungstermin: 5. Oktober 2015

Ich hatte es befrüchtet: Nina Blazon schreibt ein Buch und meine Welt steht Kopf. Schon bei ihrem letzten Fantasy-Roman „Der dunkle Kuss der Sterne“ ging es mir so. Ich konnte nicht schlafen, nicht essen. Das Lesen war wie ein schwindelerregender Tanz, von dem man nicht lassen kann. Bis die Musik abbricht und die Realität mit hochgezogenen Augenbrauen und einem kühlen Lächeln in der Tür steht. Auch diesmal tanzten die Seiten – wild und hemmungslos. Nur dass Blazons neues Werk „Der Winter der schwarzen Rosen“ noch länger benommen macht – so magisch ist der Rhythmus, so hypnotisierend, so sinnlich.

Auf meisterhafte Weise erzählt Sie die Geschichte zweier ungleicher Schwestern, deren Schicksal nicht nur durch Blutsbande verbunden ist, sondern auch von Rechtswegen her. Denn in dem rauen Lande ihrer Geburt herrschen die eisernen Gesetze der Lady. Diese bestimmen, dass die Zweitgeborene nur ihre Freiheit erlangt, wenn die Erste ihrer Bestimmung folgt und ihre Heimat verlässt. Doch was ist, wenn das vorbestimmte Ziel ein wilder, gefährlicher Ort ist – ein Ort an dem das Grauen wohnt? Was ist, wenn die sanfte, ruhige Schwester schreckliche Angst davor hat, ihre Sicherheit aufzugeben? Was ist, wenn sie sich immer weiter zurückzieht hinter die schützende Schwelle des väterlichen Hauses mitten im Rankenwald? Dann muss die eine, die nach Macht strebt und einen besonderen Weg gehen will, dafür sorgen, dass die andere ihren steinigen Weg gehen muss. Erst recht, wenn die Zweite in glühender Liebe zum Sohn der Lady entflammt. Und diese Liebe nur leben kann, wenn sie frei ist…

Ich weiß nicht, wie Nina Blazon es schafft, aber sie schafft es, sich von Buch zu Buch zu steigern. Schon immer liebe ich ihre phantastischen Romane. Doch hat sie sich eindeutig weiterentwickelt. Waren ihre früheren Werke wie „Faunblut“ und „Ascheherz“ kindlicher, leichter zu greifen, unschuldiger, mutet der „Der Winter der schwarzen Rosen“ anders an: erwachsen, dunkel, sinnlich und so vielschichtig und (mit Vorgängerwerken) verwoben, dass man eine gehörige Portion Aufmerksamkeit braucht, um den Wegen der Protagonistinnen Tajann und Liljann angemessen folgen zu können.

Hauptmotiv des Romans ist für mich allem voran die Liebe. Noch nie ist mir ein Roman von Nina Blazon untergekommen, der so sehr um die Liebe in allen ihren Facetten kreist, fast so, als hätte sie vorgehabt, einen Reigen auf die Liebe zu schreiben. So liest man von leidenschaftlicher Liebe, enttäuschter Liebe, sinnlicher Liebe, obsessiver Liebe, egoistischer Liebe, Geschwisterliebe, zerbrechlicher Liebe und unverwundbarer Liebe. Man liest von Liebe, für die es sich lohnt zu sterben und ebenso von einer Liebe so gefährlich wie ein scharfes Messer. Man lernt, dass Menschen manchmal sogar diejenigen verraten, die sie am meisten lieben und verfolgt verwundert, wie ein verschlossenes Herz, das denkt, es gebe die Liebe nicht, vor Glück aufblüht. Und nicht zuletzt zeigt sich immer wieder eins: Dass nichts so stark ist wie Hass, der aus Liebe geboren ist.

Aber keine Angst. „Der Winter der schwarzen Rose“ ist kein reiner Liebesroman. Die Protagonisten gehen dunkle, verschlungene Wege und fechten nicht nur im fulminanten Finale gefährliche Kämpfe – und auch auf die Magie ist bei Blazon wie immer Verlass: Der Leser begegnet auf den Seiten übermütigen Feen und traurigen Geistermädchen und muss sich gierigen Gestaltwandlern und mächtigen Seelenverschlingern stellen. Er durchstreift verwunschene Landstriche und geheimnisvolle Rankenwälder und lernt auf glühenden Scheiterhaufen, in atmenden Burgen und schaurigen Kerkern das Fürchten.

Magisch sind nicht zuletzt die unvergleichlichen, kraftvollen Bilder aus der Feder Nina Blazons, die die Phantasie so beflügeln, dass man sich fast körperlich jenseits des Rankenwaldes wähnt. So sind „Höhlen wie aufgerissene Münder mitten im Schrei erstarrt“ und Burgen, „wie ein scharfer Zahn aus dem Berg gewachsen“ nur wenige Beispiele für die Kreativität der Autorin. Die Krönung der Sinnlichkeit war für mich das wie mit feinen Pinselstrichen gezeichnete Bild der in der Dunkelheit silbrig schimmernden Liljann im seidigen Nachthemd inmitten wogender dunkler Hirsche – schaurige Romantik pur!

Kurzum, Nina Blazons Roman „Der Winter der schwarzen Rosen“ ist ein Rausch für die Sinne. Und gerade jetzt, wenn die Tage kürzer werden und langsam der Winter ins Land zieht, ist die perfekte Zeit, sich dieses magische Buch vorzunehmen.

Leseprobe: Nina Blazon – Der Winter der schwarzen Rosen

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Der Kuss des Wandlers

Der Kuss des WandlersLena Klassen
Format: Kindle Edition
Seitenzahl: 412 Seiten

Herzensprojekt – so hat Lena Klassen ihre neue Reihe „Die Wandler“ auf ihrem Blog bezeichnet – und damit meine Neugier geweckt. Wie könnte man auch nicht hellhörig werden, wenn eine durchaus produktive Schriftstellerin davon spricht, dass ihr ein Werk besonders am Herzen liegt.

Was macht es aus, dieses Herzensprojekt, habe ich mich gefragt und nicht lange gefackelt. Gespannt und mit nicht geringer Erwartung habe ich mich auf einen Streifzug durch „Der Kuss des Wandlers“ gemacht, den Auftaktroman der neuen vierbändigen Wandlerreihe.  Meine volle Aufmerksamkeit war dem Buch  gewiss. Denn ich wollte ihn spüren, den Puls der Geschichte.

Bevor ich zu den Einzelheiten meiner Spurensuche komme, sei eines vorweggenommen:“Der Kuss des Wandlers“ ist ein Wohlfühlbuch. Wohlfühlbuch deshalb, weil Lena Klassen auf genau die richtigen Zutaten gesetzt hat: Magie, Romantik und Spannung sind es, die zu gleichen Teilen den Roman ausmachen und wohldosiert genau an den richtigen Stellen ihre Wirkung entfalten.

Müsste man den Roman jedoch inhaltlich auf den Punkt bringen, dann kommt man nicht um den Begriff „Verwandlung“ herum. Denn allem voran ist die Geschichte um die junge Geigerin Kiara, die sich in ihren Erzfeid verliebt, die Geschichte einer Wandlung. Wandlung nicht nur deshalb, weil Kiara Kraft ihrer Geburt das Potenzial hat, in eine andere Gestalt zu schlüpfen – wie der Leser schon nach wenigen Seiten erfährt. Sondern weil sie sich im Laufe des Romans von der ewig durchschnittlichen grauen Maus „sprichwörtlich“ in einen Schmetterling verwandelt.

Doch dieser Weg ist steinig. Kiara wird zum Spielball in einem erbitterten Kampf, bei dem es um Leben um Tod geht und die Grenzen verwischen. Wer ist Freund? Wer ist Feind? Wem kann sie trauen? Und welche Augen sind es, die von Liebe erzählen? Ist es das strahlende lichte Blau, für das Kiaras Herz schlägt? Oder doch das nachtschwarze Dunkel, in dem sie sich zu verlieren scheint? Auf der Suche nach dem König des Feindesclans findet die 16-jährige nicht nur Abgründe und Hass, Zweifel und Gewissheit, sondern auch sich selbst.

Soviel zum Inhalt, von dem ich nicht mehr verraten werde. Doch wo pocht er nun, der Puls der Geschichte. Was macht die Kraft des Romans aus?

Ist es die eigentümliche Magie, die im Akt der Verwandlung selbst liegt? Denn was könnte schöner sein, als Kiara und all die anderen jungen Wandler dabei zu beobachten, wie sich die Grenzen ihrer Körpers auflösen, aufgehen in einem Sein, das jeher in ihnen geschlummert hat. Zuzuhören, wie sie einem stillen Ruf folgen, wie sie lernen, dem Takt ihres Herzens zu lauschen? Zuzusehen, wie Kinderträume wahr werden und Kiara abhebt und die Lüfte erobert?

Oder ist es das Grauen, das immer wieder wie Spinnenbeine über die nackte Haut huscht, wenn offenbar wird, welch menschliche Abgründe sich auftun können – in Freunden, in Vertrauten, in ganz gewöhnlichen Jugendlichen. Wenn deutlich wird, dass Moral und Unrechtsbewusstsein mit einem Fingerschnippen ihre Bedeutung verlieren, wenn der Wille zur Macht sich wie eine Krankheit ausbreitet und mehr wiegt, als ein Menschenleben. Wenn ein reiner Verdacht reicht, um aus dem Fenster geworfen zu werden …

Vielleicht ist es weder Magie noch Grauen, sondern die wunderbare Kulisse, vor der sich Kiaras Geschichte abspielt. Vielleicht ist es das faszinierende Prag, das Lena Klassen vor den Augen der Leser auferstehen lässt. Das Pulsieren der Metropole im Osten Europas. Denn wie bei den glühenden Streifzüge durch Budapest in Klassens Roman „Magyria“, hört man auch in Prag an jeder Ecke das Wispern der Geschichte, das Echo der Jahrhunderte, das Flüstern einer jungen Liebe …

Ob andere sich bei der Lektüre von „Der Kuss des Wandlers“ genauso wohl fühlen wie ich, ist nicht gewiss und lässt sich nicht abschließend beantworten. Genauso wie jeder den Puls einer Geschichte an einer anderen Stelle fühlt.

Für mich hat er zu schlagen begonnen, als ich Kafka in der Geschichte gespürt habe, einen Autor, der mich seit jeher fasziniert. Und als mir klar wurde, dass in der Selbstaufgabe und Selbstentfremdung Gregor Samsas der Schlüssel des Romans liegt. Die Frage ist nur, was hier zuerst da war. Die Idee, auf Kafkas Werk „Die Verwandlung“ einen Fantasie-Roman aufzubauen.  Oder die Idee von den Wandlern selbst.

Kafka hat es Zeit seines Lebens nicht geschafft aus seiner Haut zu schlüpfen und sich zu befreien. Genauso wie sein verwandelter Protagonist Gregor Samsa. Hier verlässt Klassen den vorgezeichneten Weg. Sie lässt ihren Protagonisten nicht untergehen. Gottseidank.

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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne von Nina BlazonNina Blazon
Format: Kindle Edition
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 529 Seiten
Verlag: cbt
Erscheinungsdatum: 24. Februar 2014

Bücher sind wie Erinnerungen. Unzählige sammelt man über die Jahre hinweg – doch die meisten sind schnell vergessen. Das Gros der Geschichten, die ich gelesen habe, sind so flüchtig wie ein kühler Regenschauer an einem warmen Sommertag. Sie perlen an einem ab, dringen nicht tief. In Minutenschnelle verdampfen sie in ihrer Bedeutungslosigkeit, verhallen ohne ein Echo zu hinterlassen; sind stumm trotz Abertausend Worte.

Doch manchmal greifen die Buchstaben schon nach wenigen Zeilen nach Dir, sie summen eine verheißungsvolle Melodie, flüstern von Abenteuer und Liebe, locken dich, verzaubern dich, bis du alles um dich vergisst und mit Haut und Haar eintauchst in ihre Geschichte. Der dunkle Kuss der Sterne von Nina Blazon ist so ein außerordentliches Buch. Es hat mich mit Flüsterstimme verführt und so fest umarmt, dass mich sogar noch die Erinnerung im Geiste wärmt.

Nina Blazon erschafft in „Der dunkle Kuss der Sterne“ ein Märchen mit einer starken Botschaft.  Sie erzählt die Geschichte von Canda Moreno, eines Mädchens, das in einer schicksalshaften Nacht von der Auserkorenen zur Verlorenen wird: Irgendetwas hatte den Glanz von ihrer Haut genommen, den Klang aus ihrer Stimme und Canda damit ihrer höchsten Gabe beraubt, ihrer Schönheit. Doch damit nicht genug. Canda verliert nicht nur ihren Glanz, sondern auch ihren Versprochenen. Ohne ihn kann sie niemals werden, wozu sie geboren wurde: „Eine Zweiheit zu sein, eine Seele, ein Körper, mit aller Macht, die daraus entsprang.

Und damit ist ihr Schicksal besiegelt. Canda ist nutzlos für ihre Familie, für die Höchsten der Gesellschaft.  Als Unvollständige, Gewöhnliche, unterscheidet sie sich kaum von den Niederen: Sie ist wertlos, unansehnlich, von ihrem Liebsten verlassen – nur noch gut genug für ein Leben im Haus der Gestrandeten Einzelnen.

Doch ein letzter Ausweg bleibt ihr. Sie soll ihren flüchtigen Liebsten zurück bringen, an der Seite des Sklaven Amads. Doch dafür muss sie sich in die Tod bringende Wüste wagen, die die Haut von der Seele schält und jedes Geheimnis frei legt. Sie muss gegen Windbräute und Eisenhaie kämpfen, gegen singende Tote, die den Erinnerungen folgen wie verhungerte Hunde, gegen Mischwesen und vor allem gegen ihre Vergangenheit.

Nina Blazon zwingt ihre Protagonistin aus den Augen einer „Gewöhnlichen“ zu sehen, ihre Perspektive zu wechseln, sich selbst neu zu erfinden. Canda muss lernen, in ihrer zweidimensionalen Welt, in der es nur oben und unten, Hop oder Top, Herren und Sklaven, Schönheit und Hässlichkeit gibt, die Zwischentöne zu hören:  die Augen zu öffnen für sich, den Rest der Welt und für Amad.

Doch das ist gar nicht so einfach. Der wortkarge, dunkle Jäger ist undurchschaubar und abweisend. Er kämpft zwar an ihrer Seite – aber nicht freiwillig. Der Schutz Candas ist nur ein Auftrag. Doch wen will er in Wahrheit schützen? Für wen lässt sich Amad versklaven?

Und wie lässt es sich erklären, dass die Funken  fliegen bei der Berührung seiner Haut? Wie lässt es sich erklären, dass ein spinnwebfeines Band zwischen ihnen entsteht, trotz Amads Beteuerungen, dass ein Herz nur bei der Jagd stört? Und wie lässt sich vor allem eins erklären: Dass sie ihm vielleicht sogar zulächeln würde, wäre sie eine Niedere. Und er vielleicht ihr Lächeln erwidern würde…

 In „der dunkle Kuss der Sterne“ beweist Nina Blazon eins: Dass sie der Kunst mächtig ist, Märchen zu erschaffen – und das auf höchsten Niveau. Ihrer Worte fesseln von Beginn an, ihre Figuren schlüpfen aus den Buchseiten und nehmen den Leser an der Hand. Ihre Sprache ist bildhaft, aber nicht übertrieben, ihre Geschichte kann immer wieder überraschen und ist spannend bis zum Schluss. Nina Blazon webt aus Buchstaben einen kostbaren Stoff und schneidert ein Gewand, das sitzt, vom Kragen bis zum Saum. Ihr Märchen wird noch lange in mir leuchten, als es wäre es eins meiner Lichter…

Leseprobe: Der dunkle Kuss der Sterne von Nina Blazon

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Coco Lavie – Spiegelblut

spiegelblutUta Maier
Format: Kindle Edition
Erscheinungstermin: 9. September 2013
Seitenzahl: 325 Seiten
Verlag: Aeternica Verlag

Kennst Du den Gesang von Farben? Den Geschmack von Zorn und Kummer? Weißt Du, welche Düfte Wörter haben? Hast Du jemals gefühlt, wie weich Freundschaft auf den Fingern kribbelt?

Was unsereins befremdlich, exotisch, gar übersinnlich anmutet, und noch am ehesten an die Fähigkeiten eines Synästhetikers erinnert, bestimmt seit Kindesalter Coco Lavies Leben – eines 18-jährigen elternlosen Mädchens im großen Glasgow. In früher Jugend auf blutigster Weise ihres Seelenbruders – ihres Zwillings – beraubt, führt die einsame Seele eine Kampf. Sie kämpft gegen die Dämonen der Erinnerung, kämpft für einen Neuanfang und vor allem kämpft sie dafür, sich endlich selbst zu verstehen, ihre Andersartigkeit zu begreifen und damit die Erinnerungslücken und die Fragezeichen der Vergangenheit zu füllen. Doch Coco Lavies Spurensuche bleibt nicht unbemerkt. In einer Welt von Vampiren, Engeln und Lichtträgern, von deren Existenz Coco weiß oder zumindest ahnt, ist bereits das zarte Summen ihrer Seele verräterisch. Noch verpuppt gleich einer Raupe, kann sie verstecken, was sie zu sein scheint: Ein Spiegelblut, eine Spiegelseele, ein Engelskind, eine Auserwählte, die zwischen Himmel und Erde reisen kann. Kurzum: die größte Waffe der grausamen Seelenlosen, die letzte Hoffnung eines Halbseelenträgers. Coco bleibt in dieser Situation nur eins: zu beten, dass sie die Schwingen ihrer schmetterlingsbunten Seele so lange wie möglich bändigen, ihr „über-sinnliches Blut“ – Aliquid Sanctuum –  schützen kann. Denn sollte sie ein Spiegelblut sein, dann ist ihr Schicksal besiegelt: Dann gehört sie den Dämonen.

Übersinnlich – so denke ich gerade – ist ein schönes Wort, ein passendes Wort, ein Wort wie geschaffen für Coco Lavie, für Uta Maiers Roman überhaupt, für die wunderbare Art der Autorin zu erzählen.

Übersinnlich deshalb, weil Coco Lavies Art, die Welt und ihr Gegenüber zu begreifen, zu erfühlen, zu ertasten, jenseits der herkömmlichen Sinneswahrnehmung ist. Coco nimmt den Leser mit auf eine sinnesberauschende Reise: Mit ihren Augen sieht man mehrdimensional, erlebt ein Feuerwerk an Reizen, ohne überreizt zu sein, lauscht einer nie gehörten Melodie aus singenden, manchmal klirrenden Worten, erschrickt ob des Gewichts der Stille, kann Farben blind erfühlen. Man ist berührt vom Duft nach Mondwind und Silberschnee, der von Liebe erzählt, überrascht vom Geschmack des Himmels und vom Odeur des Todes. Mit Coco Lavie ist man spiegelsichtig und erfasst die Seele der Dinge.

Damit soll jedoch kein falscher Eindruck erweckt werden: Uta Maiers Roman ist kein zartes sensibles Märchen, sondern klassische – in diesem Fall kann man wohl sagen „sinnliche“- Fantasy. Die Autorin schafft einen eigenen übersinnlichen Kosmos, der all jene begeistern wird, die sich wirklich auf Fantasy-Abenteuer einlassen und vor allem auch hineindenken wollen. Nicht verwechseln sollte man das Buch mit den bittersüßen, retortenhaften Vampir- und Engelsgeschichten, die in den vergangenen Jahren wie bis zur Übersäuerung konsumiert wurden. In „Coco Lavie – Spiegelblut“ findet man keine weichen und zartbesaiteten Bösewichter. Die Welt von Damontez Aspertu, dem Halbseelenträger, Pontus, dem Unsterblichen, und Luzifer, dem ersten gefallenen Engel, ist genauso hart, kalt und grausam wie deren leblose Körper. Gleichwohl verlangt der Roman dem Leser durchaus Aufmerksamkeit ab, ohne zu überfordern, so fein und hintergründung ist er komponiert. Und genau diese Mischung ist es, die meiner Meinung nach das Außergewöhnliche an der Geschichte um Coco Lavie ist. Ohne zu viel über den Inhalt verraten zu wollen, kann ich eins versprechen: Die komplexe, vielschichtige Welt, die die Autorin geschaffen hat und die ihresgleichen sucht, ist nicht nur dunkel, tief, spannungsgeladen und unvorhersehbar, sie ist dort sanft, wo man das Gegenteil vermutet.

Oder, um es mit den Worten Jochen Mariss‘ zu sagen, dessen Zitat man am Eingang des 10. Kapitel liest: „Nichts macht uns mehr Mut, nichts gibt uns mehr Nähe, nichts hat einen stärkeren Zauber als eine sanfte Berührung“: Die dunkelbunte, lichtlose Welt von Damontez Aspertu und seinem Nachtschattenherz, die wie Finsternis ohne Hoffnung erscheint, hat mich wider Erwarten verzaubert und nicht mehr losgelassen. Sie hat sich direkt in meine Seele gesungen!

Ich warte ungeduldig auf die Fortsetzung: Coco Lavie – Nachtschattenherz!

Mehr über Uta Maier und ihrer Fanatsy-Reihe um Coco erfahrt ihr im scriba-Interview.

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Fürchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer von April TucholkeApril Genevieve Tucholke
Klappenbroschur: 384 Seiten
Verlag: cbt
Originaltitel: Between the Devil and the Deep Blue Sea
Erscheinungstermin: 9. September 2013
ISBN: 978-3-570-30884-4

Dass April Genevieve Tucholkes Roman „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ an einem Septembertag erschienen ist, kann kein Zufall sein. Niemals zuvor habe ich ein Buch gelesen, dass so sehr zu einer Jahreszeit passt wie dieses. Die Autorin zaubert mit Worten eine Welt, die in so üppigen und intensiven Farben strahlt, welche gewöhnlich nur der Herbst hervorbringen kann. Doch jenseits dieser verschwenderischen Schönheit wittert der Leser Gefahr, spürt die drohende Düsternis, die unzweifelhaft folgt, wenn das bunte Laub faulig wird und der Winter erbarmungslos die Herrschaft übernimmt. Kurzum,  eine düstere, aber romantische Mischung: „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ ist das perfekte Buch für den Herbst.

Genauso morbide wie gleichsam leuchtend ist die Beziehung zwischen den Protagonisten, der naiven Violet und dem geheimnisvollen River: Diese hat beschlossen, sich unsterblich in den Teufel zu verlieben, in einen minderjährigen Jungen, der sich wie ein Panter bewegt und ganz offensichtlich ein notorischer Lügner ist – zu dem sie aber schon nach wenigen Stunden eine unerklärliche Nähe empfindet. Er, der Teufel, nistet sich nicht nur ein in Violets Herz, sondern auch in das Gästehaus des halb verfallenen Herrschaftssitzes, den sie und ihr Zwillingsbruder schon seit Monaten alleine bewohnen. Und fast zeitgleich mit seinem Erscheinen passiert Unfassbares. In dem verschlafenen und beschaulichen Nest ziehen Mord und Totschlag ein. Als sich die mysteriösen Ergebnisse häufen und die Albträume der Bewohner wahr zu werden drohen, keimt in Violet eine furchtbare Ahnung.  Welche Gefahr geht tatsächlich von dem vermeintlich harmlosen Untermieter aus, der ihren Geist und ihre Gefühle mehr und mehr in Besitz zu nehmen scheint?

„Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ ist ein Roman, der harmlos und träge daherkommt, unter der Oberfläche aber gefährlich brodelt. Ein typischer Mystery-Thriller für Jugendliche könnte man meinen: Die Figuren, die im Vordergrund stehen, sind allesamt Heranwachsende. Außergewöhnlich selbstständig, aber dennoch minderjährig. Der Schauplatz selbst ist märchenhaft, fast romantisch, denkt man an die eindrucksvolle Mischung aus herrschaftlichem Luxus, Verfall und exzentrischem Künstlertum. Nicht zu vergessen die stürmische, atemberaubende, fast gewaltige Natur, die während der Geschichte immerzu präsent ist. Dennoch trügt dieser Schein! Der Leser erlebt in „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“, wie gängige Moralvorstellungen, die man aus Jugendromanen kennt, auf den Kopf gestellt werden. Weder die märchenhafte Einteilung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß funktioniert bei Tucholke. Noch gibt es eine klares, erkennbares Ziel, auf das der Roman zusteuert, einen eindeutigen Gegner, ein bekanntes Muster.

Stattdessen geht die Geschichte bizarre, unvorhersehbare Wege. Langsam plätschert sie dahin – man schwimmt mit der Protagonistin beinahe durch vermeintlich harmlose Szenen, ohne zu bemerken, dass das Böse mehr und mehr das Geschehen bestimmt. Und genau das ist es, was den Leser tatsächlich schaudern lässt.

Genevieve Tucholkes Roman „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ hat mich fasziniert, denn mit ihrem Debüt hat die Autorin ein Genre bedient, dass längst in Vergessenheit geraten ist. Ihr Buch ist aus meiner Sicht das beste Beispiel für einen „Schauerroman“, ganz der Epoche der Romantik verpflichtet.

Leuchtende und wispernde Worte sind der Stoff, aus dem hier Kapitel gesponnen wurden, die allesamt ein eigenes kleines Kunstwerk darstellen – und welches den Leser aufgrund der bereits erwähnten sprühenden, üppigen Sprache und vor allem wegen der unverbrauchten Metaphorik staunen lässt. Zusammen ergeben diese Szenen ein exzentrisches Gesamtkunstwerk, hinter dem sich eine stürmische und gleichsam düstere, eine morbide und manchmal abstoßende, eine gefährliche, aber dennoch schmetterlingszarte Geschichte verbirgt.

Mir war es ein tiefes Bedürfnis eine Rezension über dieses ungewöhnliche Buch zu schreiben, das gewiss die Geister scheiden wird. Denn sicherlich könnte man kritisieren, dass die moralischen Gesichtspunkte, nach denen die Figuren handeln, höchst zweifelhaft sind, Grausamkeiten und Verbrechen verharmlost werden und das ganze Figurenkonstrukt seltsam unrealistisch ist, geben sich hier die Minderjährigen doch allesamt merkwürdig selbstständig – vollkommen unabhängig von jeglicher Erwachsenen Autorität.

Kurzum, entweder man lehnt diesen Roman von Grund auf ab, oder man lässt sich vom Teufel verführen. Ich habe entschlossen, mich verführen zu lassen. Und habe es nicht bereut!

Leseprobe: Fürchte nicht das tiefe blaue Meer

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Wild

wildLena Klassen
Taschenbuch: 384 Seiten
Erscheinungstermin: 11. März 2013
Verlag: Drachenmond
ISBN: 978-3931989798

Lena Klassen ist mir nach der Lektüre von Magyria über Jahre hinweg in Erinnerung geblieben. Und das als Autorin, die aus meiner Sicht einen der besten Literaturküsse zu Papier gebracht hat, den ich als Leserin je miterleben durfte. Deshalb kam ich selbstverständlich nicht umhin, mir auch ihr neues Jugendbuch „Wild“ vorzunehmen. Anders als in Magyria, wo Klassens Protagonisten zwischen dem Hier und einer Fantasy-Welt pendeln, zeichnet sie mit „Wild“ eine furiose Dystopie:

Ein Leben auf einer rosa Wolke: Stets glücklich und zufrieden sein, nichts hinterfragen müssen, einfach nur das machen, was von einem erwartet wird und damit die Gesellschaft nicht mit wilden, gar animalischen Gefühlen gefährden. Die Welt dreht sich langsamer in Neustadt, die natürlichen Instinkte sind stumpf: Dank einer regelmäßigen Glücksinjektion, die die Menschheit vor ihrem unvorhersehbaren, rohen Verhalten verschont. Schmerz, Wut, Neid, Krankheit oder gar Kummer sind ein Fremdwort.  Wie könnte es auch anders sein, die Gesellschaft strebt nach Perfektion, nach Schönheit, nach Vollkommenheit. Auf den natürlichen genetischen Zufall zu setzten, wenn ein neues Leben entsteht, das müssen die Reichen deshalb schon lange nicht mehr. Denn so kann man wie in Peas Fall nur ein mittelmäßiges Ergebnis erzielen. Peas scheint nicht nur äußerlich mit den Gleichaltrigen kaum mithalten zu können, sie ist auch nicht so glücklich wie ihre Freunde, verfügt über wenig Talent. Wen wundert es da, dass ihr immer noch kein Partner zugeteilt wurde und ihre Liebe zu Lucky nur ein unerfülltes Sehnen bleibt. Doch als von einem Tag auf den anderen durch einen Zufall die Glücksdroge versagt und Peas Blick durch die rosarote Brille sich schärft, will sie ihr selbstbestimmtes Leben, in dem sie fühlt, schmeckt, atmet und vor allem klar denkt, nicht mehr aufgeben … Doch das bringt unvorstellbare Konsequenzen mit sich, den das System arbeitet anders, als den glücklichen Neustädtern vorgegaukelt wird.

Lena Klassen hat mit ihrem Roman „Wild“ das Rad nicht ganz neu erfunden. Parallelen zu anderen Dystopien wie z.B. Cassia & Ky fallen klar ins Auge. Dennoch hat sie es geschafft eine Zukunftsvision zu erschaffen, die in meinen Augen durchaus lesenswert ist und stolz den Vergleich mit den berühmten Vertreter des Genres standhält.

Das liegt vor allem an dem absolut unerwarteten und für Jugendromane unkonventionellen Schluss. Ohne hier vorzugreifen, kann ich den Lesern versprechen, dass sie mit solch einem Ende nicht rechnen werden. Überhaupt ist es der zweite Teil des Romans, der in den Bann zieht, der überrascht und immer wieder erschüttert. Die erste Hälfte des Buches ist aus meiner Sicht dagegen an manchen Stellen zu langatmig und auch nicht immer überzeugend. Vor allem die Liebesgeschichte zwischen Peas und Lucky ist es, die mich nicht einnehmen konnte, zu blass ist sie, zu wenig leidenschaftlich, zu wenig „wild“! (Ganz davon zu schweigen, dass meine Erwartungen nach dem eingangs erwähnten Mattim und Hanna-Kuss Welten höher liegen)

Mittlerweile denke ich jedoch, dass dies ein Kunstgriff von Frau Klassen war, um den verwirrenden Emotionen Peas – gerade was andere männliche Figuren angeht – mehr Zündstoff zu geben.

Dies ist Lena Klassen durchaus gelungen. Ich hungere nach einem zweiten Teil und würde liebend gerne lesen, ob die Geschichte aus ihrer Feder so weitererzählt wird, wie ich sie in meinem Kopf weitergesponnen habe. Denn, lieber Leser, das Ende von „Wild“ schreit nach einer Fortsetzung.

Leseprobe „Wild“ von Lena Klassen

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Ich wünschte, ich könnte dich hassen

Lucy Christopher
Verlag:
Carlsen Verlag; Februar 2011
Taschenbuch:
368 Seiten
Originaltitel: Stolen
ISBN-13:
978-3551520081
Leseprobe

Noch immer klingen die einzelnen Sätze von Lucy Christophers Roman „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“  in meinen Ohren und machen mich sprachlos. Ich bin sprachlos darüber, was ich in den letzten 24 Stunden gelesen, nein, vielmehr gierig in mich aufgesogen habe: Die Geschichte einer Entführung, deren Plot, so schrecklich, so unvorstellbar wie er ist, nur weniger Worte bedarf: Ein junges Mädchen, Gemma,  gerät am Flughafen in die Hände ihres Häschers. Alles ist von langer Hand geplant. Bevor sie sich versieht, strandet sie im australischen Nirgendwo, gerissen aus der ihr bekannten Welt. Dort wo sie nun festgehalten wird gibt es kein Entrinnen, es gibt keine Hoffnung, nur Verzweiflung, karges, tödliches Land und Ty…

Wie kann es also dennoch sein, dass Gemmas Hassgefühle umschlagen in so etwas wie Liebe? Wie kann es sein, dass das todbringende Land ihrer Gefangenschaft sich spürbar wandelt in eine lebendige Oase? Und wie kann es sein, dass der Leser in Ty, Gemmas Entführer, nicht zwingend ein Monster sieht, sondern die Augen richtet auf den gebrochenen, sensiblen Teil seiner Seele? Ich bin wie betäubt von den schmerzhaften Wegen, die diese Geschichte und ihre Protagonisten gehen. Und gleichzeitig bin ich sprachlos, dass ich diese Entwicklung völlig glaubhaft empfinde und jeden ihrer Gedanken verstehen kann.

Aber wie soll ich das in nachvollziehbare Worte fassen?  Wie soll ich eine Rezension über ein Buch schreiben, dass so anders ist, sich so grundlegend von bekannten Mustern unterscheidet, dass man selbst nicht glauben kann, was man da gelesen hat? Wie soll ich dem Leser klar machen, dass „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ein mehr als lesenswertes Buch ist, obwohl es von Dingen erzählt, die sich kein Mensch auf dieser Welt wünscht, die verstörend und furchtbar sind? Wie kann ich ihm vermitteln, dass die Geschichte um Gemma und Ty hart, grausam und traurig, aber gleichzeitig sanft, zart und wunderbar leuchtend ist – sanft wie der Flügelschlag des Nachtfalters in Gemmas Händen, zart wie der kühl die Haut liebkosende Morgen in Sandy Desert, leuchtend wie die Abertausend Sterne über dem einsamen Haus im Nirgendwo, in dem Gemma sich aufgegeben und neu erfinden musste.

Ich bin fassungslos über die Idee, die diesem Buch zugrunde liegt. Über die Geschichte, die Lucy Christopher erzählt, eine Geschichte, die ich mir in den kühnsten Träumen nicht hätte ausdenken können. Ich bin fassungslos darüber, was diese Geschichte mit mir gemacht hat. Ich bin fassungslos, welch unvermutetes Leben, welch unerwartete Schönheit Lucy Christopher dem Leser in der kargen Landschaft der australischen Wüste offenbart.  Ich bin fassungslos, weil ich genau weiß, was krank und falsch ist, und trotzdem spüre, was Gemma spürt und weil sich Böse und Gut vor meinen Augen vermischen. Ich bin fassungslos über das Ende der Geschichte, das gut und richtig war und weil ich mir insgeheim genauso wie Gemma ein anderes Ende hätte vorstellen können. Ich bin fassungslos, was geschriebene Worte auslösen können. Ich bin fassungslos weil ich bunte Farben vor meinen Augen sehe, Kringel, Punkte, bin fassungslos, weil ich wie ein Vogel über Sandy Desert fliege. Ich bin verstört, atemlos, vor allem aber bin ich froh Gemmas und Tys Geschichte gelesen zu haben.

Lieber Leser, ich weiß nicht, ob diese Geschichte das gleiche mit Dir macht, wie mit mir. Aber eins verspreche ich Dir – sie wird Dich berühren!

Zu guter Letzt sei eins gesagt: „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ist mitnichten ein Jugendbuch. Erwachsene Leser sollen sich nicht davon abhalten lassen, in die Geschichte von Gemmas Entführung einzutauchen.

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Das Schicksal ist ein mieser Verräter

John Green
Verlag: Hanser
Gebundene Ausgabe: 285 Seiten
ISBN: 978-3446240094
Orginaltitel: The Fault in Our Stars
Erscheinungstermin: 30 Juli 2012

Halb Deutschland scheint über John Green zu reden, hab ich mir gedacht, als ich innerhalb von kurzer Zeit immer wieder über diesen Namen und den eindrücklichen Titel: „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ gestolpert bin. Irgendwann wollte ich dann einfach testen, ob die Geschichte um die zwei krebskranken Protagonisten Hazel und Gus wirklich das halten kann, was die Feuilletons der Republik einhellig preisend und jubelnd versprechen: „Der beste John Green, den es je gab“, ein Buch, „das jeder lesen“ sollte, „anmutig, komisch, kostbar“, das zum Weinen und zum Lachen bringt – so heißt es da. Und dass es zurzeit kein bewegenderes Buch geben soll.

Kann das wirklich stimmen, stellt sich da die Frage oder wird hier maßlos übertrieben und ein Autor willentlich gepuscht? Mit diesen Gedanken hab ich begonnen das Jugendbuch über die 16-jährige Hazel zu lesen, die „gerne ein Mensch war“, der das Schicksal aber in ihren jungen Jahren schon übel mitgespielt hat. „Schilddrüsenkrebs, mit umfänglichen und hartnäckigen Metasthasen in der Lunge“ ist Hazels Bilanz, oder in anderen Worten: das Leben als „tickende Zeitbombe“, wie man schon nach einigen Seiten des Romans erfährt. Eigentlich sollte sich der Leser an dieser Stelle fragen, ob er Lust hat auf eine solch traurige, erschütternde und vor allem vorhersagbare Geschichte? Will man sich antun, von Sterben und Leid, von Verzweiflung  und Krankheit zu lesen? Will man das wirklich?

Kurzum, die klare Antwort lautet ja! Man will und man will mehr, Seite um Seite! Man will mehr erfahren über diese vom miesen Schicksal verratene Hazel, die weiß, dass sie sich eigentlich nicht beklagen braucht, denn immerhin ist es noch besser „mit 16 an Krebs zu sterben, als ein Kind zu haben, das an Krebs stirbt“. Man will mehr von ihrem schwarzen Humor, ihrem Willen zu leben und vor allem will man mehr von Hazel und Gus, die sich abrupt und ohne Vorwarnung in einer Selbsthilfegruppe ineinander verlieben. Man will mehr von dieser Liebesgeschichte, die nicht kitschig oder niedlich ist, sondern heftig, witzig, absolut unverkrampft, die immer wieder pendelt zwischen der nötigen Schwere und einem bezaubernden Augenzwinkern…

Völlig ohne Vorwarnung habe auch ich als Leserin diesen Gus ins Herz geschlossen und „sein schiefes Lächeln“, das Hazel so gern an ihm hat, genauso wie die Art, „dass er Geschichten immer bei jemand anderen enden lies“, oder seine Stimme, bei der sich Hazels Haut plötzlich ganz anders anfühlt.  Am allerbesten fand ich aber seine erste Liebeserklärung an Hazel, die er nebenbei fallen lässt: „Ich fasse es nicht, dass ich auf ein Mädchen mit so billigen Wünschen stehe“!

Doch Hazels Wünsche sind nicht billig, sondern naheliegend. Sie will Gus, sie will leben und außerdem ihren Lieblingsschriftsteller kennen lernen. Und genau das wird Hazel in Amsterdam tun, denn Gus erfüllt ihr diesen Wunsch und begibt sich mit ihr auf die Reise seines Lebens – im wahrsten Sinne des Wortes.

Natürlich will ich nicht verheimlichen, dass dieses Buch nicht nur fröhlich und unverkrampft ist. Wie sollte es auch, geht es doch um eine Liebe in Zeiten des Krieges: Der Krieg gegen den Krebs ist „ein Bürgerkrieg, ein abgekarteter Bürgerkrieg, bei dem der Sieger feststeht„, muss Gus feststellen. Und damit hat er recht, aber eben nur teilweise:  Denn auch mit „gezählten Tagen“ kann man sich gegenseitig „eine Ewigkeit schenken“ – und das ist die Geschichte von Hazel und Gus!

Mein Fazit: Ich habe gelacht und geweint, als ich dieses „doofe Krebsbuch“ gelesen habe und tue es immer noch – mit einem schiefen Lächeln.

Leseprobe: John Green – Das Schicksal ist ein mieser Verräter

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Das Land der verlorenen Träume

Caragh O ‚ Brien
Gebundene Ausgabe:
464 Seiten
Verlag:
Heyne Verlag
Erscheinungsdatum: 20. Februar 2012
ISBN: 978-3453528000
Originaltitel:
Prized

Hier gibt es „alles was sich der … Leser wünscht“, so lautete die scriba-Zusammenfassung zum ersten Teil von Caragh O’Briens Jugendbuchtrilogie: atemberaubende Spannung, bunte, fulminante Bilder, unverdaute Ideen sowie eine tatkräftige Ausnahme-Protagonistin, die nicht wegsieht, sondern entschlossen gegen die unmenschliche Gesetze des unbarmherzigen Herrschaftssystems der Enklave aufbegehrt – mit allen Konsequenzen.

Wie diese letztlich aussehen, erfährt der Leser gleich zu Beginn des Nachfolgeromans „Das Land der verlorenen Träume“:  Gaia ist auf der Flucht. Sie hat alles verloren, was ihr wichtig war; ihre Eltern, ihr Zuhause und Leon. Im menschenfeindlichen Ödland sucht sie nun verzweifelt mit ihrer neugeborenen Schwester den Weg zum sagenumwobenen Toten Wald – eine zivilisierte Gesellschaft fernab der Enklave – und findet ihn in letzter Sekunde … Das sogenannte Sylum wird für die Schwestern, vor allem für den halbverhungerten Säugling Maya, zur letzten Rettung – doch wie groß kann der Preis für das Überleben sein?

Denn auch das vermeintliche Paradies Sylum entpuppt sich als Welt zweifelhafter Gerechtigkeit. Sylum ist ein von Frauen beherrschter Ort, an dem Männer keine Rechte besitzen. Aber auch die weiblichen Bürger sind nicht wirklich frei, sondern strengen Regeln unterworfen. Beugen sie sich den alles bestimmenden Gesetzen nicht, sind auch ihre Rechte verwirkt.

So sieht sich Gaia abermals Repressalien ausgesetzt, wenn auch auf vollkommen andere Weise. Dass in Sylum jedoch nicht nur das System krankt, sondern auch biologisch einiges im Argen liegt, macht es zum Pulverfass: In dem Matriarchat werden seit Jahren kaum mehr Mädchen geboren …

In ihrem zweiten Buch geht die Autorin einen gänzlich anderen Weg und lässt die bisher so starke Protagonistin Schwächen zeigen: Gaia ist im Gegensatz zum Vorgängerband Teil der Unrechts-Gesellschaft, und nicht Beobachterin von außen. Sie sieht zwar die verworrenen Zustände, doch ist sie befangen. Sich gegen die Anweisungen der Matrarch aufzulehnen, bedeutet vertrieben zu werden und somit Maya zu verlieren; sich dem Druck zu beugen hingegen, die eigenen Ideale – in diesem Fall ungewollt schwangeren Frauen zu helfen – aufzugeben. Widerstand zu leisten erscheint nun in einem anderen Licht.

Die Protagonistin versucht trotz ihrer verzweifelten Lage sich sprichwörtlich zwischen Pest oder Cholera zu entscheiden zu müssen, das Richtige zu tun, verrennt sich aber und übersieht in ihrem Kampf das Wesentliche. Sie opfert das Wohl und das Vertrauen des Menschen, der ihr Leben gerettet hat. Denn Leon ist ihr gefolgt und wartet vergeblich in Not auf ihren Beistand.  Dass sie das Machtspiel mit der Matrach längst verloren hat, merkt sie zu spät. Letztlich ist sie gebrochen, akzeptiert die Gesetze und handelt systemtreu.

Der Titel „Land der verlorenen Träume“ hat somit eine doppelte Intention. Gaias Traum von einem Leben ohne Oktroyierung und Ungerechtigkeit erweist sich als Illusion. Gleichzeitig scheint die Beziehung zu Leon verloren, bevor sie beginnen konnte.

Caragh O‘ Brien beweist hier Mut. Denn so mancher Leser fährt sicher aus der Haut und verzweifelt am Handeln bzw. Nicht-Handeln der Protagonistin. So sind es dieses Mal nicht Spannung und rasante Szenen, die das Buch charakterisieren. Vielmehr beherrschen hier leisere Töne, ruhige Bilder,  intensive Dialoge und innere Zustände das Bühnenbild.

So passt es sehr gut, dass auch der Liebe im 2. Band ein weitaus größerer Raum als im Auftaktroman gewährt wird – sicher anders jedoch als der Leser es erwarten wird

Die Liebe ist es auch, die Gaia schließlich die Augen öffnet und dazu führt, dass sich der Kreis zum 1. Teil schließt und uns nun doch ein spannendes Ende beschert, das sogleich wieder ungeheure Leselust auf die Fortsetzung schürt.

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Rezension „Die Stadt der verschwundenen Kinder“
Teil 1 von Caragh O‘ Briens Trilogie

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Die Stadt der verschwundenen Kinder

Caragh O ‚ Brien
Gebundene Ausgabe:
464 Seiten
Verlag:
Heyne Verlag
Erscheinungsdatum: 24. Januar 2011
ISBN: 978-3453528000
Originaltitel:
 Birthmarked

Ich habe das Bild einer Gebärenden vor Augen, schweißüberströmt in einer Hütte liegend. Sie ist unendlich erschöpft, doch gleich hat sie es geschafft. Nur noch die letzen Wehen, dann der erlösende Schrei des Babys. Dann ein neues Bild. Gaia, die Hebamme mit dem kleinen Bündel im Arm, das Klappern ihrer Sohlen in den Gassen. Schnell, schneller, nur noch 10 Minuten. Sie hastet dahin, fliegt der Mauer entgegen, das neue Leben geborgen an ihrem Herzen. Der Mond geht auf, schon sieht sie die Lichter der Stadt. Die Minuten verrinnen, kaum noch Zeit. Doch dann erreicht sie die Wache. Ein Blick auf die Uhr. Das warme Bündel wandert in offene Arme, ein Augenblick, dann schließt sich das Tor.

So fulminant erlebt man den Einstieg des Romans „Die Stadt der verschwundenen Kinder“ – hier mit wenigen Worten aus meiner Erinnerung zusammengefasst. Nach diesem verheißungsvollem Auftakt war ich in Hochstimmung und äußert gespannt, ob auch der weitere Teil der Geschichte die hohe Messlatte halten kann – Kurzum: Der erste Roman aus Caragh O´Briens Jugendbuchtriologie hat meine Erwartungen übertroffen.  Selten  hat man ein Buch in der Hand, bei dem schon die ersten Zeilen nachklingen und im Handumdrehen für Kopfkino der Extraklasse sorgen. Der Leser ist von Beginn an mitten im Geschehen, ahnt, dass sich bereits in der eben geschilderten ersten Szene Bedeutendes ereignet. Gleichzeitig ist er jedoch verunsichert und liest wachsam weiter. Man kann sich nur schwer verorten, glaubt sich im Mittelalter. Doch weit gefehlt! Erst im Kontext lassen sich Zeit und Raum erschließen.

Die junge Hebamme Gaia lebt zwar in mittelalterlichen Verhältnissen, doch in ferner Zukunft. Aufgrund von Klimakatastrophen hat sich die Welt verändert. Kaum Vegetation, die Rohstoffe sind denkbar knapp, fließendes Wasser und Strom ist Luxus einer längst vergangenen Zeit. Zumindest für die Bewohner außerhalb der Mauern. Die Stadt selbst ist als Enklave organsiert: Abgeschlossen und auf einem vermeintlich höheren Entwicklungsstand. Doch trotzdem sind die privilegierten Stadtbewohner auf die Neugeborenen außerhalb der Mauer angewiesen. Jeden Monat müssen Gaia und ihre Mutter auf Anordnung der Enklave die ersten drei Neugeborenen abgeben – innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne von ein bisschen mehr als einer Stunde nach der jeweiligen Geburt. Gaias Mutter erfüllt diese Pflicht gewissenhaft – auch wenn es nicht einfach ist, den Müttern ihre Kinder zu entreißen. Doch trotzdem werden Gaias Eltern plötzlich ohne Vorwarnung verhaftet und in die Enklave verschleppt. Ab diesem Zeitpunkt beginnt Gaias  rasante und abenteuerliche Suche nach ihren Eltern, bei der sie mehr als einmal nur knapp dem Tod entrinnt. Doch um ihre Eltern zu befreien, muss sie den brisanten Geheimnissen auf die Spur kommen, die ihre Mutter mit allen Mitteln vor der Enklave zu verhüten versucht…

Die Stadt der verwunschenen Kinder hat alles, was sich der passionierte Dystopie-Leser wünscht: Einen spannungsgeladenen Plot und natürlich eine Protagonistin, die in einer überkommenen und sich entfremdeten Gesellschaft mit all ihren Kräften gegen die sozialen Repressionen und für ein letztes bisschen Menschlichkeit kämpft – Das Leben zuerst! Der Leser verfolgt außer Atem jeden Schritt Gaias und erlebt dabei eine Ausnahme-Heldin. Wie üblich eine Schönheit? Nein, O´Brien sei Dank lesen wir endlich einmal, dass man nicht perfekt sein muss – in Gaias Fall durch ein vernarbtes Gesicht entstellt – um auf der Jugendbuchbühne die Hauptrolle zu ergattern und – ein Herz zu erobern. Denn natürlich gehört zu einer guten Geschichte  auch ein Hauch Romantik.

Caragh O´ Briens Roman „Die Stadt der verschwundenen Kinder“ ist das vielleicht beste Jugendbuch, das ich seit Langem gelesen habe. Ich freue mich auf jeden Satz des Nachfolgeromans „Das Land der verlorenen Träume“ !

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Rezension „Das Land der verlorenen Träume
Teil 2 von Caragh O’ Briens Trilogie

 

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