scriba im Gespräch mit Uta Maier

Spiegelblut, Spiegelseele, Engelskind: alles unterschiedliche Bezeichnungen ein und desselben Phänomens. Und dieses Phänomen ist Coco Lavie, Protagonistin in Uta Maiers gleichnamigen Roman-Neuling. Ein Buch, das überrascht und begeistert mit seiner geheimnisvollen und unerwartet komplexen Fantasy-Welt. Für scriba das Lese-Highlight des Herbstes. Im Interview verrät uns die Autorin mehr über sich und ihr zweiteiliges Werk.

Uta Maier
Uta Maier

scriba: Coco Lavie – Spiegelblut“ ist bisher ausschließlich als E-book durch den Aeternica Verlag veröffentlicht worden. Ist eine Printversion geplant? Wenn nicht, warum hast du dich für diesen eher ungewöhnlichen Weg entschieden?

Uta Maier: Die Printversion ist mittlerweile erschienen. Mir war es wichtig, dass man das Buch auch als Printausgabe bekommen kann, denn es gibt immer noch Kindle-Verweigerer. Obwohl Aeternica sich hauptsächlich auf E-Books spezialisiert hat, bietet der Verleger, Michael Till-Lambrecht, einigen Autoren auch die Möglichkeit einer Printausgabe an. Wie das im Einzelfall gehandhabt wird, hängt allerdings auch vom Autor ab. Mein wichtigstes Kriterium an die Printausgabe war der Preis. Die Printausgabe sollte nicht zu teuer sein.

scriba: Die Vampir-Thematik ist nicht neu. Ungewöhnlich ist jedoch die ausgefeilte Fantasy-Welt, die du in Coco Lavie erschaffen hast. Der Leser bestaunt und erlebt einen eigenen bis aufs Kleinste ausgearbeiteten Kosmos, bei dem es sich durchaus empfiehlt, aufmerksam zu lesen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Wie ist diese komplexe Welt entstanden? Hast du im Vorfeld lange recherchiert und sie beim Schreiben nach und nach ausgearbeitet? Was war die zündende Idee?

Uta Maier: Mir ist erst im Nachhinein aufgefallen, dass die Welt, die ich gestrickt habe, sehr komplex ist. Das ergab sich einfach beim Schreiben, außerdem wollte ich es irgendwie schaffen, Engel und Vampire logisch zu verknüpfen. Dafür waren eben viele Ausfeilungen nötig. Meine größte Befürchtung war anschließend, dass die Leser diese Welt nicht verstehen und daher der Geschichte nicht folgen können. An dieser Stelle muss ich meinen vier Testlesern noch einmal danken. Anhand ihrer Reaktionen habe ich gesehen, wo es zu viel des Guten war. Eine zündende Idee als solche gab es nicht.

scriba: Auch die Figuren in deiner Geschichte sind durchweg ausgefeilt und bunt, ob das jetzt Coco oder die einzelnen Vampire wie Pontus, Damontez oder Remo sind. Legst du bestimmte Charaktereigenschaften von Beginn an fest oder verselbständigen sich die Charaktere beim Schreiben?

Uta Maier: Das fragt man Autoren im Allgemeinen gerne. Und ich würde wirklich gerne außergewöhnlich darauf antworten, aber ich denke, es ist bei mir ähnlich wie bei meinen Kollegen. Manches ist von vornherein festgelegt, manches ergibt sich. Coco zum Beispiel machte mir überhaupt keine Probleme. Ihr Charakter war sofort klar, auch ihre Art zu handeln. Vieles ergab sich auch aufgrund ihrer Vergangenheit. Auch Pontus, der sehnsuchtsvolle und vom ewigen Leben geplagte Vampir, hat sich mir relativ schnell erschlossen. Vielleicht waren diese beiden Figuren auch deshalb so klar, weil sie jeweils eine eigene Perspektive haben, so habe ich das, was eventuell noch fehlte, schnell zwischen den Zeilen gefunden. Damontez war die schwierigste Figur in diesem Buch, vielleicht gerade deswegen, weil er keine eigene Erzählperspektive hat. Das habe ich aber bewusst so gewählt, denn so bleibt er geheimnisvoll, man erfährt nicht, was er denkt, und erlebt ihn nur aus Cocos Sicht. Auf alle Fälle wollte ich das Klischee des netten Vampirs von nebenan vermeiden. Die Seelenbeziehung von Remo und Damontez war die nächste Herausforderung. In Teil II wird Remo eine bedeutendere Rolle bekommen und mit ihm erfährt man gleich auch wieder etwas über seinen Seelenbruder Damontez. Sie sind für mich im Grunde nur als Einheit zu begreifen, was es für mich anfangs vielleicht auch so schwierig gemacht hat, die Figur des Damontez in Teil I zu verstehen.

spiegelblutscriba: In diesem Zusammenhang ist auch interessant: Hast du einen „Lieblingsvampir“ unter deinen Figuren?

Uta Maier: Ganz schwierige Frage! Anfangs war es sicherlich Pontus. Ich mag seine Art zu leiden und sich zu sehnen. Letztendlich wurde er aber irgendwann von Damontez überholt. Den Zeitpunkt, wann das passiert ist, weiß ich jedoch nicht mehr.

scriba: Coco Lavie ist im September erscheinen. Wie ist das Feedback der Leser?

Uta Maier: Eigentlich durchweg positiv. Ich kann es aber fast nur anhand von Rezensionen bei Amazon beurteilen, und die sind bislang gut. Natürlich wurde Coco das Stockholmsyndrom unterstellt, aber wenn man genau liest und sich auf Damontez und Coco einlässt, sollte man wissen, dass dem nicht so ist.

scriba: Coco Lavie ist nicht dein Debütroman, sondern du hast davor schon mehrere Bücher veröffentlicht. Was ist deiner Meinung nach die größte Herausforderung beim Schreiben eines Romans? Oder anders gesagt: Ist jedes Buch eine gleich große Herausforderung? Fällt dir das Schreiben mit wachsender Erfahrung immer leichter?

Uta Maier: Das Schreiben an sich wird definitiv leichter. Heute muss ich mir kaum noch Gedanken über Formulierungen machen und kann relativ schnell auch schwierige Szenen schreiben. Da meine Bücher immer sehr komplex sind, ist es jedes Mal eine der größten Herausforderungen, das Thema trotzdem verständlich an den Leser zu bringen. Jedes Buch hat natürlich andere Knackpunkte. Bei „Coco Lavie – Spiegelblut“ war es Damontez und seine Seelenbeziehung zu Remo, und natürlich das Thema der Seelentrennung an sich. Wenn etwas schon so wenig definierbar ist wie die Seele, ist es schwierig, Konkretes darüber zu schreiben, ohne dass es unglaubwürdig wirkt.
Ich merke mittlerweile auch, dass es mir zunehmend leichter fällt, die Geschichte sich selbst erzählen zu lassen. Ich brauche eine Grundidee und ein paar Fakten, den Schluss und natürlich ein oder zwei Hauptfiguren. Die Inspiration kommt beim Schreiben. Da bewirkt das Unterbewusstsein ganz viel. Die besten Ideen, solche bei denen man auf die Knie fallen möchte oder einfach das Fenster aufreißen will, um es hinauszuschreien, entstehen bei mir nur im Fluss. Allerdings muss ich gestehen, dass das Drei-Akt-Modell und Papyrus Autor, zusätzlich zum Unterbewusstsein, nennenswerte Hilfen sind.

scriba: Was für ein Schreibtyp bist du? Eher der intuitive Schreiber oder folgst du einem genauen Plan?

Uta Maier: Oh … da habe ich eben wohl vorgegriffen. Um es auf den Punkt zu bringen. Ich brauche beides. Intuition und Plan. Wobei der Plan nicht zu straff sein darf, denn sonst macht es keinen Spaß. Ich brauche die Figuren, den Konflikt, das Thema und vor allem das Ende. Was wie und wann passiert, entscheide ich meist nur grob, der Rest ergibt sich spontan beim Schreiben. Es muss nur auf das Ende hinarbeiten. Wenn jemand intuitiv schreibt, hält er das Drei-Akt-Modell oder die Heldenreise sowieso ein. Denn die ersten Geschichten dieser Erde entstanden auch ohne diese Schablonen und ganz sicher würde man diese Grundmuster auch in denen finden. Das hat wohl irgendwie mit den Archetypen zu tun, also den menschlichen Urbildern und Vorstellungen, die uns allen gemein sind, aber genau kann ich es auch nicht erklären, da müsste man wohl einen Psychologen fragen. Aber wer sich auf seine Intuition verlässt, liegt meist richtig.

scriba: Nehmen wir mal an, die Coco-Lavie-Reihe würde verfilmt: Wer sollten dann die Hauptdarsteller sein?

Uta Maier: Ich habe so lange gewartet, dass mich das jemand zu den Hauptfiguren von „Triklin“ fragt. Da hätte ich nämlich schon die komplette Besetzung parat. Für Coco Lavie könnte ich nur Damontez benennen: Ben Barnes – aber bitte nur mit langen Haaren!

scriba: Wie lange hast du an der Geschichte um Coco Lavie geschrieben? Gab es auch zähe Schreib-Episoden und gestrichene Szenen?

Uta Maier: Um ehrlich zu sein, habe ich für Coco Lavie zwei Manuskripte mit jeweils 400 Seiten wieder verworfen (was hauptsächlich Damontez‘ Schuld war, denn er war anfangs zu schnell zu nett). Deshalb hat es auch zwei Jahre gedauert, von denen man aber fast eineinhalb abziehen kann. Außerdem hatte ich zwischendurch auch einige Lektorate, sodass ich nie so zum Schreiben kam, wie ich wollte. Das Manuskript, so wie es jetzt ist, entstand dann relativ schnell. Ich glaube, die letzten 120 Seiten habe ich in zwei Wochen geschrieben. Allerdings bedurften die hinterher auch einer gründlichen Überarbeitung. Aber von der allerersten Idee bis zur Veröffentlichung waren es sicher zwei Jahre. Mein Problem war das Ende von Teil I. Ich hatte nur das Ende von Teil II im Kopf. Das war etwas schwierig, denn im Grunde ist es kein wirklicher Zweiteiler, ich habe die Geschichte künstlich unterbrochen.

scriba: Wo holst du dir die Motivation zum Durchhalten bei der langen und doch von der Außenwelt isolierenden Schreib-Phase eines Buchprojekts?

Uta Maier: Ich liebe das Isolieren eigentlich. An kaum einem Ort bin ich so entspannt wie vor meinem Laptop. Hier ruhe ich in mir selbst. Motivation hole ich mir wie Coco aus der Musik. Dabei höre ich auch wirklich alles. Klassik und Mainstream.

scriba: Am Ende des Romans findet der Leser eine Anzahl von Literaturtipps. Wir sind neugierig: Welches Buch hat dich 2013 am meisten beeindruckt?

Uta Maier: Ganz ehrlich? Es war das Kinderbuch „Ente, Tod und Tulpe“ von Wolf Erlbruch.

scriba: Zu guter Letzt die Frage, die viele Leser brennend interessieren dürfte: Wann erscheint „Coco Lavie – Nachtschattenherz“? Auf deiner Homepage steht, der 2. Teil ist bereits im Lektorat …

Uta Maier: Im Lektorat ist es noch nicht, aber auf dem Weg dorthin. Momentan liegt es bei meinem Verleger mehr oder weniger brach, aber dieses Wochenende wollte er es sich anschauen. Wenn er sein Okay gibt, geht es ins Lektorat. Daher kann ich leider kein konkretes Datum nennen. Ich hoffe natürlich, dass es so bald wie möglich ist.

Die gesamte scriba-Redaktion dankt Uta Maier herzlich für das interessante Interview! Hier könnt ihr die Rezension zu „Coco Lavie – Spiegelblut“, dem Auftaktroman des Zweiteilers, lesen.

 

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Coco Lavie – Spiegelblut

spiegelblutUta Maier
Format: Kindle Edition
Erscheinungstermin: 9. September 2013
Seitenzahl: 325 Seiten
Verlag: Aeternica Verlag

Kennst Du den Gesang von Farben? Den Geschmack von Zorn und Kummer? Weißt Du, welche Düfte Wörter haben? Hast Du jemals gefühlt, wie weich Freundschaft auf den Fingern kribbelt?

Was unsereins befremdlich, exotisch, gar übersinnlich anmutet, und noch am ehesten an die Fähigkeiten eines Synästhetikers erinnert, bestimmt seit Kindesalter Coco Lavies Leben – eines 18-jährigen elternlosen Mädchens im großen Glasgow. In früher Jugend auf blutigster Weise ihres Seelenbruders – ihres Zwillings – beraubt, führt die einsame Seele eine Kampf. Sie kämpft gegen die Dämonen der Erinnerung, kämpft für einen Neuanfang und vor allem kämpft sie dafür, sich endlich selbst zu verstehen, ihre Andersartigkeit zu begreifen und damit die Erinnerungslücken und die Fragezeichen der Vergangenheit zu füllen. Doch Coco Lavies Spurensuche bleibt nicht unbemerkt. In einer Welt von Vampiren, Engeln und Lichtträgern, von deren Existenz Coco weiß oder zumindest ahnt, ist bereits das zarte Summen ihrer Seele verräterisch. Noch verpuppt gleich einer Raupe, kann sie verstecken, was sie zu sein scheint: Ein Spiegelblut, eine Spiegelseele, ein Engelskind, eine Auserwählte, die zwischen Himmel und Erde reisen kann. Kurzum: die größte Waffe der grausamen Seelenlosen, die letzte Hoffnung eines Halbseelenträgers. Coco bleibt in dieser Situation nur eins: zu beten, dass sie die Schwingen ihrer schmetterlingsbunten Seele so lange wie möglich bändigen, ihr „über-sinnliches Blut“ – Aliquid Sanctuum –  schützen kann. Denn sollte sie ein Spiegelblut sein, dann ist ihr Schicksal besiegelt: Dann gehört sie den Dämonen.

Übersinnlich – so denke ich gerade – ist ein schönes Wort, ein passendes Wort, ein Wort wie geschaffen für Coco Lavie, für Uta Maiers Roman überhaupt, für die wunderbare Art der Autorin zu erzählen.

Übersinnlich deshalb, weil Coco Lavies Art, die Welt und ihr Gegenüber zu begreifen, zu erfühlen, zu ertasten, jenseits der herkömmlichen Sinneswahrnehmung ist. Coco nimmt den Leser mit auf eine sinnesberauschende Reise: Mit ihren Augen sieht man mehrdimensional, erlebt ein Feuerwerk an Reizen, ohne überreizt zu sein, lauscht einer nie gehörten Melodie aus singenden, manchmal klirrenden Worten, erschrickt ob des Gewichts der Stille, kann Farben blind erfühlen. Man ist berührt vom Duft nach Mondwind und Silberschnee, der von Liebe erzählt, überrascht vom Geschmack des Himmels und vom Odeur des Todes. Mit Coco Lavie ist man spiegelsichtig und erfasst die Seele der Dinge.

Damit soll jedoch kein falscher Eindruck erweckt werden: Uta Maiers Roman ist kein zartes sensibles Märchen, sondern klassische – in diesem Fall kann man wohl sagen „sinnliche“- Fantasy. Die Autorin schafft einen eigenen übersinnlichen Kosmos, der all jene begeistern wird, die sich wirklich auf Fantasy-Abenteuer einlassen und vor allem auch hineindenken wollen. Nicht verwechseln sollte man das Buch mit den bittersüßen, retortenhaften Vampir- und Engelsgeschichten, die in den vergangenen Jahren wie bis zur Übersäuerung konsumiert wurden. In „Coco Lavie – Spiegelblut“ findet man keine weichen und zartbesaiteten Bösewichter. Die Welt von Damontez Aspertu, dem Halbseelenträger, Pontus, dem Unsterblichen, und Luzifer, dem ersten gefallenen Engel, ist genauso hart, kalt und grausam wie deren leblose Körper. Gleichwohl verlangt der Roman dem Leser durchaus Aufmerksamkeit ab, ohne zu überfordern, so fein und hintergründung ist er komponiert. Und genau diese Mischung ist es, die meiner Meinung nach das Außergewöhnliche an der Geschichte um Coco Lavie ist. Ohne zu viel über den Inhalt verraten zu wollen, kann ich eins versprechen: Die komplexe, vielschichtige Welt, die die Autorin geschaffen hat und die ihresgleichen sucht, ist nicht nur dunkel, tief, spannungsgeladen und unvorhersehbar, sie ist dort sanft, wo man das Gegenteil vermutet.

Oder, um es mit den Worten Jochen Mariss‘ zu sagen, dessen Zitat man am Eingang des 10. Kapitel liest: „Nichts macht uns mehr Mut, nichts gibt uns mehr Nähe, nichts hat einen stärkeren Zauber als eine sanfte Berührung“: Die dunkelbunte, lichtlose Welt von Damontez Aspertu und seinem Nachtschattenherz, die wie Finsternis ohne Hoffnung erscheint, hat mich wider Erwarten verzaubert und nicht mehr losgelassen. Sie hat sich direkt in meine Seele gesungen!

Ich warte ungeduldig auf die Fortsetzung: Coco Lavie – Nachtschattenherz!

Mehr über Uta Maier und ihrer Fanatsy-Reihe um Coco erfahrt ihr im scriba-Interview.

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Fürchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer von April TucholkeApril Genevieve Tucholke
Klappenbroschur: 384 Seiten
Verlag: cbt
Originaltitel: Between the Devil and the Deep Blue Sea
Erscheinungstermin: 9. September 2013
ISBN: 978-3-570-30884-4

Dass April Genevieve Tucholkes Roman „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ an einem Septembertag erschienen ist, kann kein Zufall sein. Niemals zuvor habe ich ein Buch gelesen, dass so sehr zu einer Jahreszeit passt wie dieses. Die Autorin zaubert mit Worten eine Welt, die in so üppigen und intensiven Farben strahlt, welche gewöhnlich nur der Herbst hervorbringen kann. Doch jenseits dieser verschwenderischen Schönheit wittert der Leser Gefahr, spürt die drohende Düsternis, die unzweifelhaft folgt, wenn das bunte Laub faulig wird und der Winter erbarmungslos die Herrschaft übernimmt. Kurzum,  eine düstere, aber romantische Mischung: „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ ist das perfekte Buch für den Herbst.

Genauso morbide wie gleichsam leuchtend ist die Beziehung zwischen den Protagonisten, der naiven Violet und dem geheimnisvollen River: Diese hat beschlossen, sich unsterblich in den Teufel zu verlieben, in einen minderjährigen Jungen, der sich wie ein Panter bewegt und ganz offensichtlich ein notorischer Lügner ist – zu dem sie aber schon nach wenigen Stunden eine unerklärliche Nähe empfindet. Er, der Teufel, nistet sich nicht nur ein in Violets Herz, sondern auch in das Gästehaus des halb verfallenen Herrschaftssitzes, den sie und ihr Zwillingsbruder schon seit Monaten alleine bewohnen. Und fast zeitgleich mit seinem Erscheinen passiert Unfassbares. In dem verschlafenen und beschaulichen Nest ziehen Mord und Totschlag ein. Als sich die mysteriösen Ergebnisse häufen und die Albträume der Bewohner wahr zu werden drohen, keimt in Violet eine furchtbare Ahnung.  Welche Gefahr geht tatsächlich von dem vermeintlich harmlosen Untermieter aus, der ihren Geist und ihre Gefühle mehr und mehr in Besitz zu nehmen scheint?

„Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ ist ein Roman, der harmlos und träge daherkommt, unter der Oberfläche aber gefährlich brodelt. Ein typischer Mystery-Thriller für Jugendliche könnte man meinen: Die Figuren, die im Vordergrund stehen, sind allesamt Heranwachsende. Außergewöhnlich selbstständig, aber dennoch minderjährig. Der Schauplatz selbst ist märchenhaft, fast romantisch, denkt man an die eindrucksvolle Mischung aus herrschaftlichem Luxus, Verfall und exzentrischem Künstlertum. Nicht zu vergessen die stürmische, atemberaubende, fast gewaltige Natur, die während der Geschichte immerzu präsent ist. Dennoch trügt dieser Schein! Der Leser erlebt in „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“, wie gängige Moralvorstellungen, die man aus Jugendromanen kennt, auf den Kopf gestellt werden. Weder die märchenhafte Einteilung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß funktioniert bei Tucholke. Noch gibt es eine klares, erkennbares Ziel, auf das der Roman zusteuert, einen eindeutigen Gegner, ein bekanntes Muster.

Stattdessen geht die Geschichte bizarre, unvorhersehbare Wege. Langsam plätschert sie dahin – man schwimmt mit der Protagonistin beinahe durch vermeintlich harmlose Szenen, ohne zu bemerken, dass das Böse mehr und mehr das Geschehen bestimmt. Und genau das ist es, was den Leser tatsächlich schaudern lässt.

Genevieve Tucholkes Roman „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ hat mich fasziniert, denn mit ihrem Debüt hat die Autorin ein Genre bedient, dass längst in Vergessenheit geraten ist. Ihr Buch ist aus meiner Sicht das beste Beispiel für einen „Schauerroman“, ganz der Epoche der Romantik verpflichtet.

Leuchtende und wispernde Worte sind der Stoff, aus dem hier Kapitel gesponnen wurden, die allesamt ein eigenes kleines Kunstwerk darstellen – und welches den Leser aufgrund der bereits erwähnten sprühenden, üppigen Sprache und vor allem wegen der unverbrauchten Metaphorik staunen lässt. Zusammen ergeben diese Szenen ein exzentrisches Gesamtkunstwerk, hinter dem sich eine stürmische und gleichsam düstere, eine morbide und manchmal abstoßende, eine gefährliche, aber dennoch schmetterlingszarte Geschichte verbirgt.

Mir war es ein tiefes Bedürfnis eine Rezension über dieses ungewöhnliche Buch zu schreiben, das gewiss die Geister scheiden wird. Denn sicherlich könnte man kritisieren, dass die moralischen Gesichtspunkte, nach denen die Figuren handeln, höchst zweifelhaft sind, Grausamkeiten und Verbrechen verharmlost werden und das ganze Figurenkonstrukt seltsam unrealistisch ist, geben sich hier die Minderjährigen doch allesamt merkwürdig selbstständig – vollkommen unabhängig von jeglicher Erwachsenen Autorität.

Kurzum, entweder man lehnt diesen Roman von Grund auf ab, oder man lässt sich vom Teufel verführen. Ich habe entschlossen, mich verführen zu lassen. Und habe es nicht bereut!

Leseprobe: Fürchte nicht das tiefe blaue Meer

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Die wundersame Geschichte der Faye Archer

die wundersame Geschichte der Faye ArcherChristoph Marzi
Klappenbroschur: 384 Seiten
ISBN: 978-3-453-52992-2
Erscheinungstermin: 12. August 2013
Verlag: Heyne

„Bücher haben eine Seele“, heißt es in Christoph Marzis Roman „Die wundersame Geschichte der Faye Archer“. Und keiner müsse sie suchen. „Die Seele des Buches findet den Leser selbst.“ Schöne Worte in einem schönen Buch, könnte man denken. Aber seltsamer Weise wurden sie wahr. „Die wundersame Geschichte der Faye Archer“ hat mich auf wundersame Weise gefunden: Denn eigentlich kehre ich Büchern aus Papier den Rücken zu; stattdessen lese ich Geschichten „aus Bits und Bytes“, die laut Faye Archer gar keine richtigen Bücher sind. Das sollte sich eigentlich auch so schnell nicht ändern – hat es aber dennoch.

Es passierte zufällig in einer Buchhandlung, in nur wenigen Warteminuten. Ich hab meine Blick schweifen lassen, ein buntes Cover hat meine Augen gestreichelt und schon waren alle gute Vorsätze, nicht noch weitere Bücher in meiner Wohnung anzuhäufen, passé. Faye Archer hat mir ihre Seelenverwandtschaft angetragen und ich habe sie beglückt angenommen.

Und dieses Glücksgefühl hielt bei der Lektüre des 384-Seiten dicken Buches an.
„Warum genau? Fang endlich an zu rezensieren!“, drängeln die weniger geduldigen Leser bestimmt schon. Nun, ich versuche so nachvollziehbar wie möglich zu begründen, warum Sie dieses Buch unbedingt lesen sollten, habe aber die Befürchtung, dass es mit Worten nicht immer gelingen kann, alle Facetten, Farben und Formen einer Geschichte einzufangen.

Dennoch: Die Handlung, wie ich als Vielleserin schon so oft erlebt habe, ist es nicht, die „Die wundersame Geschichte der Faye Archer“ zu einem abenteuerlichen Leseerlebnis macht: Faye Archer verliebt sich in eine Satz bzw. eine Stimme. Manche Geschichten sind wie Melodien, sagt Alex Hobdon, und um Faye ist es geschehen. Sie muss ihn unbedingt kennenlernen und wagt es, ihn per Facebook zu kontaktieren. Daraus entsteht eine leidenschaftliche „Brieffreundschaft“, die Faye darauf hoffen lässt, den Richtigen gefunden zu haben. Nur blöd, dass sich Alex Mails nach und nach als Lügen herausstellen… und Faye trotzdem nicht von ihm lassen kann.

Warum ich nicht von der Geschichte lassen konnte, liegt wie gesagt nicht am Plot, sondern an Faye selbst und Alex und Mica und all den anderen. An Figuren einer Geschichte, die dir so nah und authentisch erscheinen, als würden sie nebenan wohnen. An einer Protagonistin, die nicht perfekt ist, aber dafür wunderbar, die „nicht so hübsch ist, dass sich die Männer auf der Straße reihenweise nach ihr umdrehen, aber auch nicht so unscheinbar, dass sie gar keinen Eindruck hinterlässt“. An Faye, die sich rot fühlt mit weißen Punkten, wenn sie glücklich ist, und tatsächlich überlegte, ob sie „mit den Staubkörnen, die träge im Licht schwebten, tanzen sollte“.

Kurzum, lieber Leser, es geht um die Melodie zwischen den Zeilen, um das Unausgesprochene, um Emotionen jenseits der Buchstaben, um die Seele eines Buches!

Aus diesem Grund wohl hat der Autor die Geschichte um Faye und Alex meilenweit entfernt von jeglicher Vernunft gipfeln lassen. Aber das ist nicht wichtig. Denn, um es mit den Worten von Christoph Marzi zu sagen: „Es gibt Momente, die so unwirklich sind, dass man sie nicht begreifen kann, nicht mit dem Verstand, sehr wohl aber mit dem Herzen. “ Die wundersame Geschichte der Faye Archer ist so ein Buch, dass man nur mit dem Herzen begreifen kann. Man muss sie nicht verstehen, um zu ihrer Melodie tanzen zu können! „Nein, man musste sie nur hören.“ – weiß Faye am Ende.

Leseprobe: Die wundersame Geschichte der Faye Archer von Christoph Marzi

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Im Land des Feuervogels

Im Land des FeuervogelsSusanna Kearsley
Kartoniert
: 544 Seiten
Erscheinungstermin: 13.08.2013
ISBN: 978-3-492-30285-2
Verlag: Piper

Die Welt der Märchen haben mich seit jeher fasziniert. Waren es in Kindertagen noch die gesammelten Hausmärchen der Brüder Grimm, die mich immer wieder von neuem bezaubern konnten, waren es später oftmals phantastische Romane. Oder Geschichten, die die Grundidee eines Märchen aufnehmen, jedoch für die Ohren von Erwachsenen erzählt werden.

„Im Land des Feuervogels“ von Susanne Kearsley ist genau so ein Buch. Die Autorin hat rund um das Motiv des Feuervogel, das aus dem russischen Volksglauben stammt, nicht nur eine, nein, sogar zwei Geschichten gesponnen:  Eine Rahmenhandlung in der Gegenwart, in der ein geschnitzter Feuervogel, der zufällig in die Hände der jungen Galeristin Nicola Marter gerät, zum Ausgangspunkt einer Abenteuerreise wird. Auf dieser Reise verschwimmen Zeit und Raum jedoch allmählich, und der Leser taucht ein in eine andere, Jahrhunderte alte Geschichte, mit dem Unterschied, dass der Feuervogel in der Vergangenheit nicht Ausgangspunkt der Abenteuerreise, sondern das Ziel ist. Und wie es in märchenhaften Geschichten wohl sein muss, hat Susanne Kearsley nicht nur zwei Handlungsebenen geflochten, sondern eine Sinnebene dahinter gestellt, die wiederum der Logik der Feuervogel-Märchen entspricht:

„Der Feuervogel verliert eine Feder. Und wenn man dumm genug ist, sie aufzuheben und den Vogel zu jagen, kriegt man richtig Probleme. […]  Und erlebt viele Abenteuer. […] Aber was man am Ende bekommt, ist eigentlich nicht das, was man gesucht hat.“

Was Nicola Marter am Ende bekommt, ist wahrlich nicht, was sie gesucht hat, sondern noch viel mehr. Die Suche nach dem Feuervogel in der Zeit Zarin Katharinas bringt die Protagonistin dazu, sich ihrer selbst zu stellen, ihrem wahren Wesen und einer Gabe, mit der sie nicht umzugehen weiß und die sie vor sich selbst versteckt.

„Im Land des Feuervogels“ ist sowohl Historienroman wie auch Märchen, Liebesgeschichte sowie Entwicklungsroman, mutet an manchen Stellen phantastisch an, ist aber keine Fantasy.

Vielmehr schlendert der Leser mit Susanne Kearsley durch Jahrhunderte und fremde Länder, gerät in die Wirren der Jakobitenaufstände, kämpft an Seiten der kleinen Anna und erlebt staunend das Russland unter Peter dem Großen und Katharina I.

Obwohl Susanne Kearsley in ihrem Roman „Im Land des Feuervogels“ geschichtlichen Stoff gekonnt zu einer mitreißenden Geschichte komponiert, ist es nicht das „Geschichtserlebnis“, das mir besonders in Erinnerung bleibt, sondern die Tatsache, dass ich problemlos von einem Handlungsstrang in den anderen getaucht bin und mich nicht entscheiden konnte, ob ich lieber auf den Spuren von Anna im historischen Sankt Peterburg wandelte oder gemeinsam mit Nicola im heutigen Russland dem Geheimnis des Feuervogels nachspürte. Dies zeigt, dass beide Geschichten ebenbürtig waren und sind.

Die Botschaft, die zwischen den Zeilen steht, ist jedoch jenseits von Zeit und Raum, Vergangenheit und Zukunft angesiedelt, sie ist zeitlos: Es ist kein Makel, anders zu sein, vielmehr ist es ein Geschenk.

Ich danke dem Piper Verlag und Lovelybooks für das Leseexemplar.

Leseprobe: Im Land des Feuervogels von Susanna Kearsley

 

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Wild

wildLena Klassen
Taschenbuch: 384 Seiten
Erscheinungstermin: 11. März 2013
Verlag: Drachenmond
ISBN: 978-3931989798

Lena Klassen ist mir nach der Lektüre von Magyria über Jahre hinweg in Erinnerung geblieben. Und das als Autorin, die aus meiner Sicht einen der besten Literaturküsse zu Papier gebracht hat, den ich als Leserin je miterleben durfte. Deshalb kam ich selbstverständlich nicht umhin, mir auch ihr neues Jugendbuch „Wild“ vorzunehmen. Anders als in Magyria, wo Klassens Protagonisten zwischen dem Hier und einer Fantasy-Welt pendeln, zeichnet sie mit „Wild“ eine furiose Dystopie:

Ein Leben auf einer rosa Wolke: Stets glücklich und zufrieden sein, nichts hinterfragen müssen, einfach nur das machen, was von einem erwartet wird und damit die Gesellschaft nicht mit wilden, gar animalischen Gefühlen gefährden. Die Welt dreht sich langsamer in Neustadt, die natürlichen Instinkte sind stumpf: Dank einer regelmäßigen Glücksinjektion, die die Menschheit vor ihrem unvorhersehbaren, rohen Verhalten verschont. Schmerz, Wut, Neid, Krankheit oder gar Kummer sind ein Fremdwort.  Wie könnte es auch anders sein, die Gesellschaft strebt nach Perfektion, nach Schönheit, nach Vollkommenheit. Auf den natürlichen genetischen Zufall zu setzten, wenn ein neues Leben entsteht, das müssen die Reichen deshalb schon lange nicht mehr. Denn so kann man wie in Peas Fall nur ein mittelmäßiges Ergebnis erzielen. Peas scheint nicht nur äußerlich mit den Gleichaltrigen kaum mithalten zu können, sie ist auch nicht so glücklich wie ihre Freunde, verfügt über wenig Talent. Wen wundert es da, dass ihr immer noch kein Partner zugeteilt wurde und ihre Liebe zu Lucky nur ein unerfülltes Sehnen bleibt. Doch als von einem Tag auf den anderen durch einen Zufall die Glücksdroge versagt und Peas Blick durch die rosarote Brille sich schärft, will sie ihr selbstbestimmtes Leben, in dem sie fühlt, schmeckt, atmet und vor allem klar denkt, nicht mehr aufgeben … Doch das bringt unvorstellbare Konsequenzen mit sich, den das System arbeitet anders, als den glücklichen Neustädtern vorgegaukelt wird.

Lena Klassen hat mit ihrem Roman „Wild“ das Rad nicht ganz neu erfunden. Parallelen zu anderen Dystopien wie z.B. Cassia & Ky fallen klar ins Auge. Dennoch hat sie es geschafft eine Zukunftsvision zu erschaffen, die in meinen Augen durchaus lesenswert ist und stolz den Vergleich mit den berühmten Vertreter des Genres standhält.

Das liegt vor allem an dem absolut unerwarteten und für Jugendromane unkonventionellen Schluss. Ohne hier vorzugreifen, kann ich den Lesern versprechen, dass sie mit solch einem Ende nicht rechnen werden. Überhaupt ist es der zweite Teil des Romans, der in den Bann zieht, der überrascht und immer wieder erschüttert. Die erste Hälfte des Buches ist aus meiner Sicht dagegen an manchen Stellen zu langatmig und auch nicht immer überzeugend. Vor allem die Liebesgeschichte zwischen Peas und Lucky ist es, die mich nicht einnehmen konnte, zu blass ist sie, zu wenig leidenschaftlich, zu wenig „wild“! (Ganz davon zu schweigen, dass meine Erwartungen nach dem eingangs erwähnten Mattim und Hanna-Kuss Welten höher liegen)

Mittlerweile denke ich jedoch, dass dies ein Kunstgriff von Frau Klassen war, um den verwirrenden Emotionen Peas – gerade was andere männliche Figuren angeht – mehr Zündstoff zu geben.

Dies ist Lena Klassen durchaus gelungen. Ich hungere nach einem zweiten Teil und würde liebend gerne lesen, ob die Geschichte aus ihrer Feder so weitererzählt wird, wie ich sie in meinem Kopf weitergesponnen habe. Denn, lieber Leser, das Ende von „Wild“ schreit nach einer Fortsetzung.

Leseprobe „Wild“ von Lena Klassen

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Wie Blüten im Wind

045060461-wie-blueten-im-windKristin Hannah
E-Book: Kindle Edition – 7,99 Euro
Verlag:
Ullstein
Erscheinungsdatum: 14. Januar 2013
Sprache:
Deutsch
ISBN-13: 978-3499267031
Originaltitel:
Night Road

Die Beziehung von Zwillingspärchen fasziniert seit jeher: Zwei Menschen, die zusammen aufwachsen, zwischen denen ein unausgesprochenens Einverständis herrscht, die von Beginn ihres Lebens an durch ein unsichtbares Band verbunden sind und kompromisslos für den anderen Einstehen – doch wie schmerzhaft muss es sein, wenn diese Geschwisterbeziehung durch einen tragischen Unfall gekappt wird und nur ein Zwilling überlebt? Wie verarbeiten Eltern einen solchen Verlust? Jeder Mensch, der Zwillinge in ihrer natürlichen Einheit erlebt hat, muss ahnen, dass sich damit ein unvorstellbarer Abgrund auftut und eine klaffende Wunde entsteht, die nie mehr wieder heilen kann.

Kristin Hannah spitzt die Tragik in ihrem Roman „Wie Blüten im Wind“ jedoch noch zu. Sie erzählt die Geschichte der 18-jährigen Lexi, die ihre Kindheit mutterlos und vernachlässigt erlebt und erst lernt, was Freundschaft und Liebe bedeutet, als sie das Zwillingspaar Mia und Zach kennenlernt. Mit dem Tod Mias verliert Lexi nicht nur ihre einzige Freundin und ihre große Liebe, sie muss ohmächtig mitansehen, wie ihr ihr Leben entgleitet und der Albtraum ihrer Kindheit sie einholt.

Schon nach wenigen Seiten des Romans, war ich unsicher, ob ich weiterlesen sollte. Nicht weil mir der Schreibstil und die Erzählweise Hannahs nicht zusagte – ganz im Gegenteil. Jedes ihrer wohl gewählten Worte nahm vorweg, dass sie das Leid der Protagonisten unbeindruckt und ungeschminkt offenlegen würde – doch genau das stellte mich vor die Frage: Will ich wirklich eintauchen in dieses Meer aus Schmerz und Tränen?

Ich habe mich dazu entschlossen, die Augen zuschließen und mich einfach kopfüber in die Geschichte zu stürzen, die weit vor dem Unfall einsetzt. Bevor Kristin Hannah die Bombe platzen lässt, baut sie vor den Augen ihrer Leser eine bunte Welt auf, fast perfekt, in der sich zwischen der vom Schicksal gebeutelten Lexi und der sensiblen Mia eine unum- stößliche Freundschaft entwickelt. Die zarten Gefühle, die Lexi für Mias Zwillingsbruder empfindet werden genauso glaubhaft dargestellt, wie die Liebe der Zwillingsmutter zu ihren Kindern.

Als in der Mitte des Buches das Unfassbare passiert, verkehrt sich die perfekte Welt und die Protagonisten fallen allesamt für sich in einen Abgrund aus Schuld und Sühe, Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Können Sie sich gegenseitig irgendwann verzeihen und sich mit der Vergangenheit versöhnen?

Mein Fazit: Kristin Hannah ist eine äußerst talentierte Geschichtenerzählerin. Immer wieder habe ich mir Stellen markiert, die so lautmalerisch und unkonventionell sind, dass ich nicht einfach darüber hinweglesen konnte. Die große Stärke des Romans liegt wohl auch darin, dass Hannah die Geschehnisse aus unterschiedlichen Perspektiven schildert, mal aus Sicht des Bruders, mal aus Lexis Sicht und immer wieder aus der Perspektive der trauernden Eltern. Auch hat mich als Zwilling die Thematik des Romans besonders gereizt. Dennoch ist die Geschichte für meinen Geschmack einen Hauch zu dramatisch und besitzt bisweilen Längen. Ich empfehle „Wie Blüten im Wind“ denjenigen, die sich nicht davor scheuen, Tränen zu vergießen. Am Ende wird das Durchalten belohnt.

Leseprobe: Wie Blüten im Wind

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Horus W. Odenthal: Blogtour zur Fantasy-Trilogie Ninragon

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Horus W. Odenthal

Wie schreibt mein eigentlich einen Fantasy-Roman? Keine Eintagsfliege, sondern einen richtig guten – Einen, der es vermag, Fantasy-Leser in ungeahnte Welten zu entführen, der magische Bilder heraufbeschwören kann, der einen verzaubert und fesselt und der den Leser ungeduldig warten lässt auf eine Fortsetzung? Ich weiß es nicht. Leider. Dafür Horus W. Odenthal. Der Indie-Schriftsteller und erfolgreiche Comic-Zeichner ist mit seinem dreiteiligen Epos Ninragon für den „Deutschen Phantastik Preis 2013“ nominiert, und das gleich in zwei Kategorien: als  „Bestes deutschsprachiges Romandebüt“ und als „Beste Serie“. scriba gratuliert ganz herzlich zu diesem Erfolg, der gerade für einen verlagsfreien Autor nicht selbstverständlich ist und beteiligt sich anläßlich der Nominierung an einer Ninragon-Blogtour. Wir haben uns mit Horus W. Odenthal darüber unterhalten, wie man eigentlich einen Fantasy-Roman schreibt.

Interview: Über das Schreiben

Scriba: Bevor wir mehr darüber erfahren, wie Du Deine Ninragon-Saga schreibst, möchten wir eine Frage vorwegnehmen: Wie bist du überhaupt zum Schreiben gekommen? Gehörst Du zu denjenigen, die schon von Kindesbeinen an Geschichten erfunden haben oder hast Du das Schreiben später für Dich entdeckt?

Horus: Ich habe mir schon immer Geschichten ausgedacht, aber ich glaube, das tut jedes Kind. Geschichten über die Ritter- und Indianerfiguren, die man hat, Geschichten um die Rennen, welche die Spielzeugautos fahren. Und es ist auch ganz normal für jemanden, den das dann später professionell packt, ziemlich bald, nachdem man ausreichend schreiben kann, auch damit anzufangen, diese Geschichten aufzuzeichnen bzw. den Büchern, die man liest etwas eigenes gegenüberzustellen. Bei mir fing das, kennzeichnend für meinen späteren Weg, zweigleisig an. Das heißt, ich zeichnete Illustrationen zu den Büchern, die ich las und ich fing auch bald an selber Geschichten zu schreiben (die ich dann auch illustrierte). Wie bei den meisten Anfängern in diesem Alter, waren diese Geschichten ziemlich unfertig und entsprangen neben dem Bedürfnis, etwas eigenes zu produzieren auch dem Bedürfnis mehr (und intensiver) von dem zu haben, was man selber gerne liest. Dieser Antrieb ist, wenn ich es mir recht überlege, bis heute erhalten geblieben.
Merkwürdigerweise hieß die erste Geschichte, die ich schrieb „Auric der Schwarze“ und zwei der Hauptcharaktere sind, zumindest mit ihrem Namen und auch rudimentär von der Anlage, in „Ninragon“ eingegangen. Mein Berufswunsch war immer Schriftsteller, doch dann, relativ spät eigentlich, habe ich intensiver die Comics für mich entdeckt. Das war in den Jahren vor dem Abi; damals kamen gerade die sogenannten Erwachsenencomics nach Deutschland, u. a. mit Schwermetall usw. Dadurch bin ich dann dazu gekommen, dass ich meine Geschichten selber als Comics erzählen wollte. Ich habe das dann erstmal gelernt und danach viele, viele Jahre praktiziert. Die Sachen wurden in den USA und Europa veröffentlicht. Das ging so lange gut, bis ich in diesem Medium an gewisse Grenzen gestoßen bin. Aber darüber habe ich an anderer Stelle, auch auf dieser Blogtour, schon einiges erzählt. Und damit tauchte dann mein alter Berufswunsch dunkel gärend aus dem Untergrund wieder auf. Heute bin ich wieder da, wo ich eigentlich angefangen habe und wo ich schon immer hin wollte. Merkwürdigerweise oder auch nicht.

scriba: Für dein dreiteiliges Ninragon-Epos hast Du eine komplexe phantastische Welt erschaffen. Welcher Entstehungsprozess geht dem Schreiben voraus? Wie lange hast Du geplottet, bis Du überhaupt den ersten Satz getextet hast?

Horus: Ich habe überhaupt nicht geplottet. Die erste Manuskriptseite von Ninragon war als Allererstes da. Von ihr ging alles andere aus. Ich habe mir vor dieser ersten Seite überhaupt keine Gedanken zu der Welt gemacht. Jedenfalls nicht konkret auf dieses Projekt bezogen. Ich habe mir viele Gedanken über das Genre Fantasy im Allgemeinen gemacht. Was ich daran mochte, was nicht. Mit dem Stand des Genres war ich für mich unzufrieden. Cover Ninragon 1Ich fand, da müsste dringend etwas passieren, damit es für mich interessant werden konnte. Die konkreten Details der Welt haben sich während des Schreibens entwickelt, am Schreibprozess selber und durch diese Fragen an das Genre. Ich musste dann immer wieder im Schreibprozess Pausen einlegen um zu „recherchieren“ bzw. Weltenbau zu betreiben und mir Dinge und Zusammenhänge auszudenken. So war für mich von Anfang an klar, dass es in dieser Welt nicht nur das Äquivalent zum europäischen Mittelalter geben sollte. Ich persönlich möchte wirklich nicht im Mittelalter leben. Ich kann daran für mich nicht Anheimelndes entdecken. Da bräuchte es schon etwas mehr Kultur und Annehmlichkeiten und Menschlichkeit. Also sollte die Welt, in der die Geschichte angesiedelt war, für mich eine Leitkultur haben, die wirklich kultur- und zivilisationsstiftend in einem moderneren Sinne ist. Und weil wir wissen , wie die Welt funktioniert, auch weil ich möglichst große Parallelen zu unserer heutigen Welt haben wollte, ist auch klar, dass das alles nicht so perfekt und ideal laufen kann. Dass auch solche Systeme fehler- und korruptionsanfällig sind. Dass sich überall, wo Menschen handeln, deren Schwächen ins System einschleichen und sich darin spiegeln. Außerdem war klar, dass ich keine Monarchie in dieser Leitkultur sondern dass ich eine Republik wollte. Um eine größere Relevanz für unsere Lebensverhältnisse herzustellen und um eine Welt zu entwerfen, die im Prinzip ihren Bürgern etwas in meinen Augen Lebenswertes bietet.
Viele andere Details entstammten meiner plötzlichen Erkenntnis, dass man im Genre der Fantasy eigentlich, – außer den üblichen Typen von Queststory usw. – eigentlich jeden Typ von Geschichte erzählen kann. Krimistories, Rachestories, Liebesgeschichten, einfach alles. Das sich jedes Storykonzept aus einem anderen Genre in Fantasy überführen lassen kann. Und dass auch alle Konzepte und Ideen in die Fantasy überführt werden können. Mit diesem Gedanken im Kopf begann ich einige meiner Lieblingskonzepte aus der Science Fiction in eine Fantasy-Welt zu übertragen. Ich stellte fest, dass sich meine Theorie bestätigte und das ohne Bruch ging. Es gibt also nicht wirklich SF-Elemente in „Ninragon“. Alles ist Fantasy. Aber vielleicht auf eine besondere Art. Es folgten Recherchen zu Religion, zur Staatstheorie, zum Militärwesen – so entstand während des Schreibens nach und nach die Welt von „Ninragon“.

scriba: Würdest Du dich generell als intuitiven Schreiber bezeichnen oder folgst Du einem genauen Plan?

Ich mache meiner Intuition folgend Pläne. Ich bin ein ziemlich instinktives Tier, wenn es ums Schreiben geht, und stelle dabei dann fest, dass sich dadurch sehr logische Strukturen ergeben. Wenn du im richtigen Zustand bist, kommt eins zum anderen. Dinge fallen dir zufällig in die Hand, du entdeckst, dass ein Wort, dass sich zufällig einschleicht, eine wichtige Bedeutung im großen Ganzen hat oder das Gesamtbild noch auf wichtige Art ergänzen kann. Alles wächst organisch wie ein Kristall, und es scheint keine Zufälligkeiten zu geben, während du doch irgendwo nur den Autopiloten eingeschaltet hast. Das ist wichtig, diesen Zustand des allertiefsten Vertrauens in die Geschichte und deinen Erzählprozess zu finden. Sich fallenlassen. Wie bei der Musik. Aus diesem Zustand entstehen die schönsten –  und strukturiertesten – Gebilde. Dein Unterbewusstsein ist oft so viel klüger als du. Es gibt mehr Gedanken im Universum als in deinen kleinen Verstand passen. Es geht darum, sich für sie offen zu machen. Und dann muss irgendwann der Verstand eingreifen und das alles jäten und ordnen. Papa Hemingway sagte einmal sinngemäß: „Schreibe betrunken, aber redigiere nüchtern.“ Ansonsten bewege ich mich irgendwo in der Mitte der Skala zwischen Architekt (jemandem, der seine Story minutiös durchplant, bevor er sie schreibt) und Gärtner (jemand der wachsen lässt und in den Prozess leitend eingreift), wobei ich mich immer mehr zum Architekten hinbewege. Auch planen kann man mit Intuition. Es gibt bei mir in der Regel ein Gerüst, das Platz zum Wachsen und Wuchern lassen hat. Aber ich neige in letzter Zeit dazu, den Architekturprozess im Vorhinein zu erledigen. Bei den letzten Planungen bin ich für einen bestimmten Zeitraum in den Planungsprozess des Projektes eingestiegen und habe in dieser Zeit dann das instinktive Tier auf den Themenkomplex losgelassen. Am Ende ist man erstaunt, was dabei herauskommt.

scriba: Manche Autoren schreiben am liebsten in belebten Cafés, andere brauchen die Stille des eigenen Schreibtisches. Wo schreibst Du am liebsten?

Horus: In meinem Arbeitszimmer. Am tiefsten Punkt des Hauses. Da habe ich die größte Verbindung zu meinem Unterbewusstsein. Unser Haus liegt am Hang. Dadurch habe ich gleichzeitig Licht und bin trotzdem von Erde umgeben. Aber ich schreibe auch anderswo. Große Teile des dritten Bandes von Ninragon habe ich in Arizona geschrieben, praktisch im Wüstenlicht schwimmend. Ich brauche Ruhe zum Schreiben. Damit ich die Melodie der Sprache hören kann. Vorher oder in Pausen höre ich manchmal Musik. Ich habe schon versucht, in Cafés zu schreiben, aber das klappt nicht so gut. Das war ein Ausprobieren; das war nicht wirklich ernsthaft und hat sich nicht bewährt.

Scriba: Gibt es ein tägliches Pensum an Seiten, das Du Dir bei deinem Schreibprozess auferlegt hast? Wie viel schreibst Du gewöhnlich pro Tag?

Horus: Es kommt, was kommt. Manche Stellen sind schwieriger, manche fließen schnell. Manche Tage sind schwieriger, manche fließen schnell. Es ist auch ein wenig wie beim Zeichnen: Je nach der Stimmung, dessen was man aufzeichnet, braucht man einen bestimmten Groove, damit die Linie oder die Worte den richtigen Charakter, Duktus oder Rhythmus kriegen. Manchen Stellen muss man schnell schreiben, manch in einem kontemplativen Dahingleiten. Ich liebe diese Zen-artigen ruhigen Stellen, die man langsam und gleitend schreibt und die vollkommen ohne Mühe entstehen. Mein Pensum. Das ändert sich, je nach Zeit die ich für das Schrieben aufbringen kann. In der Regel gilt für mich: 2000 Worte sind gut, 1000 sollte man schon schaffen. Alles über 3500 lässt einen hocherfreut aus dem Schreibzimmer rausgehen. Aber es gibt auch Tage und Stellen, die lassen einfach nicht zu, dass man viel schreibt. Und an manchen Tagen schafft man dagegen ungeheuer viel.

scriba: Gehst Du beim Schreiben chronologisch vor und beginnst mit der ersten Szene oder folgst Du einer Idee und setzt die Szenen später zusammen?

Horus: In der Regel gehe ich immer chronologisch von. Nur so ungefähr ab Band 2 und 3 von Ninragon habe ich eine Ausnahme gemacht. Ich habe die Szenen der Rahmenhandlung um Darachel und die Ninraé an einem Stück geschrieben, habe in einem zweiten Run die Szenen aus Aurics Erzählung geschrieben, bis zu dem Punkt, wo sich beide Erzählebenen treffen. Danach erst habe ich das Ende der Geschichte geschrieben. Es war mir an dieser Stelle wichtig, bei der Gedankenwelt und beim Ton dieser Plotlininen zu bleiben, um größeren Fluss und Einheitlichkeit zu schaffen.

scriba: Wie muss man sich als Laie den Schreibprozess vorstellen? Schreibst Du mehrere Szenen mehrmals und entscheidest Dich am Schluss für eine Fassung?

Horus: Ich lege los, schreibe anfangs sehr präzise. Irgendwann bricht diese Energie, dann wird man schneller und skizzenhafter, greift weiter vor. Am nächsten Tag kontrolliere ich das Geschriebene und mache erste Überarbeitungen, komme dann irgendwann zu dem Part wo es Fragmentarischer wird und arbeite ab da wieder alles präzise aus, bis die Arbeitsenergie wieder umschwingt. So mache ich die erste Fassung.
Dann, nach einer Pause, schaue ich mir die noch einmal an und überarbeite sie im Hinblick auf Lektor und Leser. Dabei schaue ich mir an, was funktioniert und was nicht. Gleiche den Ton an. In der Phase suche ich dann auch Szenen, die nicht funktionieren. Die überarbeite ich dann. Oder streiche sie – manchmal, aber eher selten. Es kommt auch selten vor, dass ich eine Szene komplett neu schreiben. Dann geht das Buch zum Lektor. Und danach kann ich unter Umständen das Buch umbauen oder noch einmal Szenen neu schreiben. „Hyperdrive“ habe ich intensiv umbauen müssen. Aber das lag auch daran, dass es mein erstes Buch war, nicht so recht wusste, wohin die Reise geht und noch viel ausprobiert habe. Der Lektor ist meine eigenes schlechtes Gewissen. Mein jetziges Lektor – nennen wir ihn Django – findet gnadenlos die Stellen, bei den ich auch noch irgendwie ein mieses Gefühl habe, das aber noch nicht wirklich wahrhaben wollte.

scriba: Hörst Du Musik beim Schreiben? Wenn ja, welche?

Horus: In der Regel höre ich, wie oben schon erwähnt, beim Schreiben selber keine Musik. Manchmal höre ich vorher und in Pausen Musik, um mich einzustimmen. Aber es gibt diese seltenen Gelegenheiten, wo man Musik während des Schreibens braucht, um eine Mauer zu durchbrechen. Was höre ich dann? Ich letzter Zeit war das der Soundtrack zu „Sons of Anarchy“, den ich selber ergänzt und erweitert habe, die letzte Springsteen „Wrecking Ball“, Chris Whitley „Living with the Law“. Was gerade passt und anliegt. Manchmal Härteres, wenn die Mauer, die man durchbrechen muss, ziemlich dick ist.

scriba: Hast Du einen geregelten Schreibplan? Das heißt, schreibst Du zum Beispiel täglich zu einer bestimmten Zeit?

Horus: Ich versuche immer, so bald wie möglich ans Schreiben zu kommen. Als wir noch keine Kinder hatten, war das natürlich früher am Tag. Heute müssen unsere Mädels zuerst fertig gemacht und in den Kindergarten gebracht werden. Oder es sind andere Sachen dringend zu erledigen. Aber in der Regel gilt: So früh wie möglich. Im Gegensatz zu vielen kreativen Menschen bin ich überhaupt kein Nachtarbeiter. Ich bin ein Lichtmensch und habe am liebsten ganz viel Licht, das ich in mich aufsaugen kann. Ich spüre es, wenn draußen Licht ist, auch wenn alle Luken geschlossen sind. Ich habe das Gefühl, Licht strömt wie eine kreative Kraft durch mich hindurch.

scriba: Zu den Charakteren: Die Protagonisten glaubhaft zu erschaffen, ist sicherlich eine besondere Herausforderung, gerade in einem Fantasy-Roman. Legst Du Charaktereigenschaften, das Aussehen oder den jeweiligen Hintergrund deiner Figuren von Beginn an fest, oder verselbstständigen sich deine Charaktere beim Schreiben?

Horus: Ja, ich habe das mal versucht mit dem Figuren entwerfen. Charaktereigenschaften anlegen, aufzeichnen. Charakterbögen. Das funktioniert aber nicht für mich. Ich muss eine Figur fühlen. Ich muss wissen, wie sie geht, wie ihr Körpergefühl ist. Wenn ich die Figur habe, dann habe ich sie. Kleine Details halte ich natürlich fest, wie, auf welcher Seite er eine Narbe hat, solche banalen Dinge, die man leicht vergisst und ansonsten immer mühsam nachschlagen muss.

scriba: Was ist Deiner Meinung nach die größte Herausforderung beim Schreiben eines Romans?

Horus: Über die ganze Strecke durchzuhalten. Vertrauen in den Roman zu haben. Es auch über die ganze Strecke zu behalten. Nicht in Technik zu verfallen. Sich immer frisch und neu, an jedem Schreibtag, rückhaltlos in den Roman hineinzuwerfen.
Irgendjemand hat einmal geschrieben, für einen Roman bräuchte man die Kraft eines Langstreckenläufers. Zähigkeit. Noch einmal: das Vertrauen in den Roman bewahren.

scriba: Wie hast Du Dich gefühlt, als du das letzte Wort des Ninragon-Epos geschrieben hast?

„Wie, war’s das schon?“ Einerseits habe ich gewusst, dass ich nur für eine bestimmte Zeit von dem Thema Abschied nehme, da die Geschichte dieser Welt weitergehen soll. Wer den Epilog von „Ninragon“ gelesen hat weiß, dass zwar dieser Roman aber die große Geschichte noch nicht zu Ende ist. Zum anderen hatte ich zum Schluss hin Zweifel, ob ich mich in der nächsten Zeit noch einmal so tief auf einen Geschichte einlassen könnte. „Ninragon“ hat mir viel abgefordert. Das war in Teilen sehr intensiv und sehr nah. Ich wusste nicht, ob ich das so bald wieder wollte. „Ninragon“ hat in bestimmten Phasen des Schreibens mein Leben ausgefüllt und mir einige der schlimmsten Alpträume bereitet. Aber aus einigen Alpträumen sind auch die stärksten Szenen geworden. Ich war also irgendwie gleichzeitig erleichtert, das geschafft zu haben, und überrascht.

scriba: Was findest Du als Autor am schwierigsten am gesamten Schreibprozess: Einen richtigen Einstieg zu finden, der die Leser mitreißt, den roten Faden und die Spannung zu halten, die Charaktere glaubhaft darzustellen oder ein befriedigendes Ende zu schaffen?

Horus: Das schwierigste ist, in einem Roman das Vertrauen zu halten, dass alles zusammenfindet. Und es findet alles zusammen. Damit wäre keiner dieser Punkte wirklich schwierig. Es ist aber besonders schwierig, in einem langen, komplexen Projekt die Logik der Zusammenhänge im Auge zu behalten, die Plausibilität über all die verschiedenen Ebenen und ineinander verschränkten Handlungen hinweg. Wer was weiß und aufgrund dessen wie handelt. Wie die Informations- und Motivationslage ist. Wie das alles richtig ineinandergreift. Dagegen ist alles andere ein Klacks. Deswegen neige ich in letzter Zeit eher dem Architekten zu. Wenn das geklärt ist, bleibt viel Platz für kreative Entscheidungen. Es ist nicht schwer, einen guten Romananfang zu finden. Es ist allerdings eine Herausforderung einen zu finden, der publikumswirksam und zugleich gut ist. Das gilt auch für das Ende. Lesegewohnheiten verändern sich. Qualitätsmaßstäbe nicht. Als schwierig würde ich es nicht bezeichnen, aber es ist eine Herausforderung. Das gehört zum Handwerk des Erzählers. Shakespeare war ein Meister darin.

Die Blogtour geht morgen weiter bei Blücher. Wir drücken Horus W. Odenthal fest die Daumen bis zur Bekanntgabe der Gewinner des Deutschen Phantastik Preises!

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Liebe unter Fischen

René Freund
Hardcover: 208 Seiten
Erscheinungsdatum: 28.01.2013
Deuticke Verlag
ISBN: 978-3-552-06209-2

Fred Firneis ist ein Schöngeist wie er im Buche steht. Er beschäftigt sich nicht nur mit existentiellen Fragen, sondern steckt selbst fest in einer Existenz- und Schaffenskrise. Früher sprudelten die Worte des Erfolg-Lyrikers nur so, heute sprudelt vor allem der Alkohol. Firneis hat sich verloren, im Überfluss, in der Schnelligkeit, in der Tristesse des Alltags. Das ist ein Problem – nicht allein für Fred. Denn nicht nur der Markt lechzt nach Poesie-Nachschub des Dichters, auch seine Verlegerin, die kurz vor dem finanziellen Ruin steht. Doch wie nur kann die Schreibkrise des österreichischen Berliners überwunden werden? Wie nur kann schnellstmöglich ein neuer Gedichtband entstehen?

Die Antwort ist klar: Nur mit rabiaten Mitteln. Mehr oder weniger in die Wildnis der österreichischen Alpen ausgesetzt, soll Fred zu sich finden. Abgeschnitten von der Außenwelt findet er jedoch viel mehr. Die vermeintliche Einöde entpuppt sich als Naturparadies, verschlossene und einsilbige Einheimische als neue Freunde und eine hübsche Biologin als eine wahre Muse. Doch kann sich der Schöngeist vom bleiernen Ballast des Alltags wirklich befreien und wieder lernen richtig zu „Atmen“?

René Freunds Roman „Liebe unter Fischen“ ist ein Kleinod für diejenigen, die zusammen mit Fred Firneis die Uhren ausstellen wollen und sich treiben lassen von Gedanken und Gefühlen,  vom natürlichen Rhythmus des Tages und den Kräften der Natur – ein Buch also für Leser, die sich Zeit nehmen möchten, die Welt mit Kinderaugen neu zu entdecken, das Wunder des Gewöhnlichen zu bestaunen und in der Langsamkeit das Leben – das sonst rasend schnell vorbeizieht – wieder zu spüren.

Aus meiner Sicht ist es weniger der Plot, von dem „Liebe unter Fischen“ lebt, sondern der einzigartige Erzählrythmus und die wunderschönen Bilder, die Fred in seinen Briefen an seine Verlegerin festhält: Ist der Ton und der Rhythmus zu Beginn des Romans noch dem Großstadtleben des Schriftstellers angeglichen, klingt alles schrill, schnell, laut. Da sind die vielen SMS der Verlegerin, die unzähligen Anrufe auf dem AB, das ungeduldige Klopfen an der Tür, der maßlose Alkoholkonsum – alles wirkt übersättigt, der Kopf dröhnt. Spätestens in der Einfachheit und Kargheit der Berghütte wechselt der Ton. Der Erzählfluss erscheint plötzlich langsamer, gemächlicher und reiner. Je mehr sich das Gemüt des Lyrikers klärt, umso länger und tiefgründiger werden seine Briefe, in denen er offen seine Gedanken, Ängste und Wünsche kommuniziert. Der Leser kann sich zurücklehnen, mit Fred Firneis das Jodeln lernen, eintauchen in die Farbe des „Juchitzers“ und sich überwältigen lassen von den erst kitzelnden und später überschäumenden Gefühlen einer jungen Liebe. Und freilich gewinnt der Roman wieder an Fahrt, Schnelligkeit und Esprit, wenn die Schauplätze wiederum wechseln und Fred kopfüber eintaucht in sein „neues Leben“.

Den Vergleich mit „Gut gegen Nordwind“, der auf dem Buchcover gezogen wird, hält „Liebe unter Fischen“ aber nicht stand – oder besser ausgedrückt: Die beiden Romane sind schlichtweg nicht vergleichbar. „Gut Gegen Nordwind“ ist ein moderner Liebesroman. In „Liebe unter Fischen“ steht dagegen die Entwicklung des Autors Fred im Mittelpunkt: Die Suche nach sich selbst, die Suche nach einem Rettungsanker in einem übersättigten und von den Reizen des Technologiezeitalters überfluteten Leben, die Suche nach einem Sinn, die Suche nach dem Glück. Freilich ist auch Fred verliebt, quillt über vor Emotionen beim Gedanken an seine Mara. Dieses zarte Verliebtsein ist jedoch nie dominierend, sondern ein Baustein in des Dichters Neuanfang.

Aus meiner Sicht steht „Liebe unter Fischen“ für sich und wird alle diejenigen begeistern, die die Augen öffnen für wunderschöne Bilder und sich begeistern lassen vom Witz und den ausgefeilten, zuweilen komischen Charakteren.

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Qindie – Qualität für Leser und Chance für Schreiber!

Die Suche nach dem guten Buch, dem neuen Buch, nach einem Buch gegen die Wiederholung, gegen die Langweile – das ist für den anspruchsvollen Leser gestern wie heute eine mühselige Angelegenheit. Und daran ist nichts verkehrt. Vielleicht gehört die Jagd nach und das erfolgreiche Aufspüren einer Geschichte fernab vom wiedergekäuten Mainstream zum befriedigenden Akt des besonderen Leseerlebens. Mit einer Einschränkung jedoch: Qualität zwischen den Buchdeckeln zu finden, sollte nicht zum leidigen Geduldsspiel werden.

Dass dies leider raue Wirklichkeit geworden ist, liegt an profitorientierten, risikoscheuen Verlagen und Literaturagenturen, die Gleiches in neuer Verpackung präsentieren, an erschrockenen Buchhändlern, die ihr Angebot anhand der Bestsellerliste sortieren und seit neuestem auch am schier unübersichtlichen E-book-Markt, den Self-Publisher regelrecht überschwemmen.

Was somit als Segen für den Buchmarkt begonnen hat, wird immer mehr zur Plage für den Leser und insbesondere für Indie-Autoren selbst: Denn die großartige und längst überfällige Möglichkeit, dass ein jeder, der schreibt, das auch feilbieten kann, bietet nicht nur Raum für mehr Vielfalt, für Neues, für Unverbrauchtes, sondern auch für böse Überraschungen: Immer öfter ist der zurecht verärgerte Leser auf seinem Reader mit minderwertigen Schreibergüssen ohne Stil, ohne logische Zusammenhänge und mit bescheidenem Unterhaltungswert konfrontiert. Und wenn das nicht schon genug wäre, wird das Auge zudem durch eine vollkommene Abwesenheit eines Mindestmaßes an orthographischem und formalem Anspruch vergewaltigt. Kein Wunder also, dass das Image selbstständig publizierender Autoren leidet. Und das gilt unglücklicherweise für die ganze Zunft, obwohl dies doch vielmals absolut unbegründet ist: Im Gegenteil – es waren immer wieder gerade die erfrischend anderen Geschichten und Gesichter von Newcomern, die uns überzeugt haben.

Damit das auch weiterhin so bleibt, gibt es jetzt geprüfte Qualität fürs E-book! Qindie, so heißt das neue Qualitätssiegel, möchte dem Leser eine Orientierungshilfe im Bücherdschungel sein. Und wir von scriba finden das nicht nur eine fantastische Idee, sondern unterstützen die Plattform aus Autoren, Lektoren, Korrektoren, Rezensenten und Buchbloggern aktiv mit den uns möglichen Mitteln: Wir geben guten, lesbaren Büchern von Selfpublishern in Form einer Besprechung ein Echo.

Aber zu Recht stellt sich die Frage, wann verdient es ein Buch, das „Q“ für Qualität und Indie zu tragen? Da sich das „letztlich nur subjektiv entscheiden lässt, vertraut Qindie auf die vielgeschmähte Schwarmintelligenz“ aller beteiligten professionellen Büchermenschen, die in einem basisdemokratischen Abstimmungsverfahren versuchen, „gute Bücher von solchen zu trennen, die unter dem von uns angestrebten Standard liegen“.

Ziel ist dabei die „Erschaffung eines Netzwerks aus AutorInnen und Blogger- und Literaturseiten, das qualitativ hochwertige Indie-Bücher erschafft, unterstützt oder einfach nur liest.“

In diesem Sinne, unser Appell: Schaut vorbei und macht euch selbst ein Bild!

www.qindie.de

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