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scriba im Gespräch mit Uta Maier

Spiegelblut, Spiegelseele, Engelskind: alles unterschiedliche Bezeichnungen ein und desselben Phänomens. Und dieses Phänomen ist Coco Lavie, Protagonistin in Uta Maiers gleichnamigen Roman-Neuling. Ein Buch, das überrascht und begeistert mit seiner geheimnisvollen und unerwartet komplexen Fantasy-Welt. Für scriba das Lese-Highlight des Herbstes. Im Interview verrät uns die Autorin mehr über sich und ihr zweiteiliges Werk.

Uta Maier
Uta Maier

scriba: Coco Lavie – Spiegelblut“ ist bisher ausschließlich als E-book durch den Aeternica Verlag veröffentlicht worden. Ist eine Printversion geplant? Wenn nicht, warum hast du dich für diesen eher ungewöhnlichen Weg entschieden?

Uta Maier: Die Printversion ist mittlerweile erschienen. Mir war es wichtig, dass man das Buch auch als Printausgabe bekommen kann, denn es gibt immer noch Kindle-Verweigerer. Obwohl Aeternica sich hauptsächlich auf E-Books spezialisiert hat, bietet der Verleger, Michael Till-Lambrecht, einigen Autoren auch die Möglichkeit einer Printausgabe an. Wie das im Einzelfall gehandhabt wird, hängt allerdings auch vom Autor ab. Mein wichtigstes Kriterium an die Printausgabe war der Preis. Die Printausgabe sollte nicht zu teuer sein.

scriba: Die Vampir-Thematik ist nicht neu. Ungewöhnlich ist jedoch die ausgefeilte Fantasy-Welt, die du in Coco Lavie erschaffen hast. Der Leser bestaunt und erlebt einen eigenen bis aufs Kleinste ausgearbeiteten Kosmos, bei dem es sich durchaus empfiehlt, aufmerksam zu lesen, um die Zusammenhänge zu verstehen. Wie ist diese komplexe Welt entstanden? Hast du im Vorfeld lange recherchiert und sie beim Schreiben nach und nach ausgearbeitet? Was war die zündende Idee?

Uta Maier: Mir ist erst im Nachhinein aufgefallen, dass die Welt, die ich gestrickt habe, sehr komplex ist. Das ergab sich einfach beim Schreiben, außerdem wollte ich es irgendwie schaffen, Engel und Vampire logisch zu verknüpfen. Dafür waren eben viele Ausfeilungen nötig. Meine größte Befürchtung war anschließend, dass die Leser diese Welt nicht verstehen und daher der Geschichte nicht folgen können. An dieser Stelle muss ich meinen vier Testlesern noch einmal danken. Anhand ihrer Reaktionen habe ich gesehen, wo es zu viel des Guten war. Eine zündende Idee als solche gab es nicht.

scriba: Auch die Figuren in deiner Geschichte sind durchweg ausgefeilt und bunt, ob das jetzt Coco oder die einzelnen Vampire wie Pontus, Damontez oder Remo sind. Legst du bestimmte Charaktereigenschaften von Beginn an fest oder verselbständigen sich die Charaktere beim Schreiben?

Uta Maier: Das fragt man Autoren im Allgemeinen gerne. Und ich würde wirklich gerne außergewöhnlich darauf antworten, aber ich denke, es ist bei mir ähnlich wie bei meinen Kollegen. Manches ist von vornherein festgelegt, manches ergibt sich. Coco zum Beispiel machte mir überhaupt keine Probleme. Ihr Charakter war sofort klar, auch ihre Art zu handeln. Vieles ergab sich auch aufgrund ihrer Vergangenheit. Auch Pontus, der sehnsuchtsvolle und vom ewigen Leben geplagte Vampir, hat sich mir relativ schnell erschlossen. Vielleicht waren diese beiden Figuren auch deshalb so klar, weil sie jeweils eine eigene Perspektive haben, so habe ich das, was eventuell noch fehlte, schnell zwischen den Zeilen gefunden. Damontez war die schwierigste Figur in diesem Buch, vielleicht gerade deswegen, weil er keine eigene Erzählperspektive hat. Das habe ich aber bewusst so gewählt, denn so bleibt er geheimnisvoll, man erfährt nicht, was er denkt, und erlebt ihn nur aus Cocos Sicht. Auf alle Fälle wollte ich das Klischee des netten Vampirs von nebenan vermeiden. Die Seelenbeziehung von Remo und Damontez war die nächste Herausforderung. In Teil II wird Remo eine bedeutendere Rolle bekommen und mit ihm erfährt man gleich auch wieder etwas über seinen Seelenbruder Damontez. Sie sind für mich im Grunde nur als Einheit zu begreifen, was es für mich anfangs vielleicht auch so schwierig gemacht hat, die Figur des Damontez in Teil I zu verstehen.

spiegelblutscriba: In diesem Zusammenhang ist auch interessant: Hast du einen „Lieblingsvampir“ unter deinen Figuren?

Uta Maier: Ganz schwierige Frage! Anfangs war es sicherlich Pontus. Ich mag seine Art zu leiden und sich zu sehnen. Letztendlich wurde er aber irgendwann von Damontez überholt. Den Zeitpunkt, wann das passiert ist, weiß ich jedoch nicht mehr.

scriba: Coco Lavie ist im September erscheinen. Wie ist das Feedback der Leser?

Uta Maier: Eigentlich durchweg positiv. Ich kann es aber fast nur anhand von Rezensionen bei Amazon beurteilen, und die sind bislang gut. Natürlich wurde Coco das Stockholmsyndrom unterstellt, aber wenn man genau liest und sich auf Damontez und Coco einlässt, sollte man wissen, dass dem nicht so ist.

scriba: Coco Lavie ist nicht dein Debütroman, sondern du hast davor schon mehrere Bücher veröffentlicht. Was ist deiner Meinung nach die größte Herausforderung beim Schreiben eines Romans? Oder anders gesagt: Ist jedes Buch eine gleich große Herausforderung? Fällt dir das Schreiben mit wachsender Erfahrung immer leichter?

Uta Maier: Das Schreiben an sich wird definitiv leichter. Heute muss ich mir kaum noch Gedanken über Formulierungen machen und kann relativ schnell auch schwierige Szenen schreiben. Da meine Bücher immer sehr komplex sind, ist es jedes Mal eine der größten Herausforderungen, das Thema trotzdem verständlich an den Leser zu bringen. Jedes Buch hat natürlich andere Knackpunkte. Bei „Coco Lavie – Spiegelblut“ war es Damontez und seine Seelenbeziehung zu Remo, und natürlich das Thema der Seelentrennung an sich. Wenn etwas schon so wenig definierbar ist wie die Seele, ist es schwierig, Konkretes darüber zu schreiben, ohne dass es unglaubwürdig wirkt.
Ich merke mittlerweile auch, dass es mir zunehmend leichter fällt, die Geschichte sich selbst erzählen zu lassen. Ich brauche eine Grundidee und ein paar Fakten, den Schluss und natürlich ein oder zwei Hauptfiguren. Die Inspiration kommt beim Schreiben. Da bewirkt das Unterbewusstsein ganz viel. Die besten Ideen, solche bei denen man auf die Knie fallen möchte oder einfach das Fenster aufreißen will, um es hinauszuschreien, entstehen bei mir nur im Fluss. Allerdings muss ich gestehen, dass das Drei-Akt-Modell und Papyrus Autor, zusätzlich zum Unterbewusstsein, nennenswerte Hilfen sind.

scriba: Was für ein Schreibtyp bist du? Eher der intuitive Schreiber oder folgst du einem genauen Plan?

Uta Maier: Oh … da habe ich eben wohl vorgegriffen. Um es auf den Punkt zu bringen. Ich brauche beides. Intuition und Plan. Wobei der Plan nicht zu straff sein darf, denn sonst macht es keinen Spaß. Ich brauche die Figuren, den Konflikt, das Thema und vor allem das Ende. Was wie und wann passiert, entscheide ich meist nur grob, der Rest ergibt sich spontan beim Schreiben. Es muss nur auf das Ende hinarbeiten. Wenn jemand intuitiv schreibt, hält er das Drei-Akt-Modell oder die Heldenreise sowieso ein. Denn die ersten Geschichten dieser Erde entstanden auch ohne diese Schablonen und ganz sicher würde man diese Grundmuster auch in denen finden. Das hat wohl irgendwie mit den Archetypen zu tun, also den menschlichen Urbildern und Vorstellungen, die uns allen gemein sind, aber genau kann ich es auch nicht erklären, da müsste man wohl einen Psychologen fragen. Aber wer sich auf seine Intuition verlässt, liegt meist richtig.

scriba: Nehmen wir mal an, die Coco-Lavie-Reihe würde verfilmt: Wer sollten dann die Hauptdarsteller sein?

Uta Maier: Ich habe so lange gewartet, dass mich das jemand zu den Hauptfiguren von „Triklin“ fragt. Da hätte ich nämlich schon die komplette Besetzung parat. Für Coco Lavie könnte ich nur Damontez benennen: Ben Barnes – aber bitte nur mit langen Haaren!

scriba: Wie lange hast du an der Geschichte um Coco Lavie geschrieben? Gab es auch zähe Schreib-Episoden und gestrichene Szenen?

Uta Maier: Um ehrlich zu sein, habe ich für Coco Lavie zwei Manuskripte mit jeweils 400 Seiten wieder verworfen (was hauptsächlich Damontez‘ Schuld war, denn er war anfangs zu schnell zu nett). Deshalb hat es auch zwei Jahre gedauert, von denen man aber fast eineinhalb abziehen kann. Außerdem hatte ich zwischendurch auch einige Lektorate, sodass ich nie so zum Schreiben kam, wie ich wollte. Das Manuskript, so wie es jetzt ist, entstand dann relativ schnell. Ich glaube, die letzten 120 Seiten habe ich in zwei Wochen geschrieben. Allerdings bedurften die hinterher auch einer gründlichen Überarbeitung. Aber von der allerersten Idee bis zur Veröffentlichung waren es sicher zwei Jahre. Mein Problem war das Ende von Teil I. Ich hatte nur das Ende von Teil II im Kopf. Das war etwas schwierig, denn im Grunde ist es kein wirklicher Zweiteiler, ich habe die Geschichte künstlich unterbrochen.

scriba: Wo holst du dir die Motivation zum Durchhalten bei der langen und doch von der Außenwelt isolierenden Schreib-Phase eines Buchprojekts?

Uta Maier: Ich liebe das Isolieren eigentlich. An kaum einem Ort bin ich so entspannt wie vor meinem Laptop. Hier ruhe ich in mir selbst. Motivation hole ich mir wie Coco aus der Musik. Dabei höre ich auch wirklich alles. Klassik und Mainstream.

scriba: Am Ende des Romans findet der Leser eine Anzahl von Literaturtipps. Wir sind neugierig: Welches Buch hat dich 2013 am meisten beeindruckt?

Uta Maier: Ganz ehrlich? Es war das Kinderbuch „Ente, Tod und Tulpe“ von Wolf Erlbruch.

scriba: Zu guter Letzt die Frage, die viele Leser brennend interessieren dürfte: Wann erscheint „Coco Lavie – Nachtschattenherz“? Auf deiner Homepage steht, der 2. Teil ist bereits im Lektorat …

Uta Maier: Im Lektorat ist es noch nicht, aber auf dem Weg dorthin. Momentan liegt es bei meinem Verleger mehr oder weniger brach, aber dieses Wochenende wollte er es sich anschauen. Wenn er sein Okay gibt, geht es ins Lektorat. Daher kann ich leider kein konkretes Datum nennen. Ich hoffe natürlich, dass es so bald wie möglich ist.

Die gesamte scriba-Redaktion dankt Uta Maier herzlich für das interessante Interview! Hier könnt ihr die Rezension zu „Coco Lavie – Spiegelblut“, dem Auftaktroman des Zweiteilers, lesen.

 

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Qindie – Qualität für Leser und Chance für Schreiber!

Die Suche nach dem guten Buch, dem neuen Buch, nach einem Buch gegen die Wiederholung, gegen die Langweile – das ist für den anspruchsvollen Leser gestern wie heute eine mühselige Angelegenheit. Und daran ist nichts verkehrt. Vielleicht gehört die Jagd nach und das erfolgreiche Aufspüren einer Geschichte fernab vom wiedergekäuten Mainstream zum befriedigenden Akt des besonderen Leseerlebens. Mit einer Einschränkung jedoch: Qualität zwischen den Buchdeckeln zu finden, sollte nicht zum leidigen Geduldsspiel werden.

Dass dies leider raue Wirklichkeit geworden ist, liegt an profitorientierten, risikoscheuen Verlagen und Literaturagenturen, die Gleiches in neuer Verpackung präsentieren, an erschrockenen Buchhändlern, die ihr Angebot anhand der Bestsellerliste sortieren und seit neuestem auch am schier unübersichtlichen E-book-Markt, den Self-Publisher regelrecht überschwemmen.

Was somit als Segen für den Buchmarkt begonnen hat, wird immer mehr zur Plage für den Leser und insbesondere für Indie-Autoren selbst: Denn die großartige und längst überfällige Möglichkeit, dass ein jeder, der schreibt, das auch feilbieten kann, bietet nicht nur Raum für mehr Vielfalt, für Neues, für Unverbrauchtes, sondern auch für böse Überraschungen: Immer öfter ist der zurecht verärgerte Leser auf seinem Reader mit minderwertigen Schreibergüssen ohne Stil, ohne logische Zusammenhänge und mit bescheidenem Unterhaltungswert konfrontiert. Und wenn das nicht schon genug wäre, wird das Auge zudem durch eine vollkommene Abwesenheit eines Mindestmaßes an orthographischem und formalem Anspruch vergewaltigt. Kein Wunder also, dass das Image selbstständig publizierender Autoren leidet. Und das gilt unglücklicherweise für die ganze Zunft, obwohl dies doch vielmals absolut unbegründet ist: Im Gegenteil – es waren immer wieder gerade die erfrischend anderen Geschichten und Gesichter von Newcomern, die uns überzeugt haben.

Damit das auch weiterhin so bleibt, gibt es jetzt geprüfte Qualität fürs E-book! Qindie, so heißt das neue Qualitätssiegel, möchte dem Leser eine Orientierungshilfe im Bücherdschungel sein. Und wir von scriba finden das nicht nur eine fantastische Idee, sondern unterstützen die Plattform aus Autoren, Lektoren, Korrektoren, Rezensenten und Buchbloggern aktiv mit den uns möglichen Mitteln: Wir geben guten, lesbaren Büchern von Selfpublishern in Form einer Besprechung ein Echo.

Aber zu Recht stellt sich die Frage, wann verdient es ein Buch, das „Q“ für Qualität und Indie zu tragen? Da sich das „letztlich nur subjektiv entscheiden lässt, vertraut Qindie auf die vielgeschmähte Schwarmintelligenz“ aller beteiligten professionellen Büchermenschen, die in einem basisdemokratischen Abstimmungsverfahren versuchen, „gute Bücher von solchen zu trennen, die unter dem von uns angestrebten Standard liegen“.

Ziel ist dabei die „Erschaffung eines Netzwerks aus AutorInnen und Blogger- und Literaturseiten, das qualitativ hochwertige Indie-Bücher erschafft, unterstützt oder einfach nur liest.“

In diesem Sinne, unser Appell: Schaut vorbei und macht euch selbst ein Bild!

www.qindie.de

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scriba-Autorin des Monats Februar

Sie heißt Nikola Hotel, liebt Prag und Musik von Rachmaninov, holt sich durch den Wald laufend Inspiration und nennt sich auf ihrem Autoren-Blog selbst „Blauträumerin“. Wenn sie nicht gerade liest, dann schreibt sie, und das einfach fabelhaft. Im scriba-Interview stellt die Autorin nun ihren Debütroman „Rabenblut drängt“ vor. 

Nikola Hotel
Nikola Hotel

scriba: Eher zufällig sind wir auf das E-Book „Rabenblut drängt“ gestoßen, haben aber bereits nach ziemlich kurzer Zeit bemerkt, was für einen außergewöhnlichen Lese-Schatz wir in Händen halten. Wie kann es sein, dass die deutsche Verlagswelt das noch nicht gemerkt hat?

Nikola Hotel: Vielen Dank erst einmal für diese nette Einschätzung! Die deutsche Verlagswelt wartet leider nicht auf junge, unbekannte Autoren. Ich habe meinen Roman natürlich auch den großen Verlagen angeboten, aber meist nicht einmal eine Absage erhalten. Zwar gab es nach der Veröffentlichung Interesse von kleinen Verlagen, aber die waren wiederum für mich nicht interessant. Der Weg, direkt über die Verlage zu gehen, hat sich also als falsch herausgestellt. Ich würde deshalb immer empfehlen, sich an eine Agentur zu wenden. Für mich persönlich hoffe ich aber, dass nach oben hin noch alles offen ist.

scriba: Neben der Liebe zur Natur und der Musik bestimmt vor allem auch eine große Portion Humor dein Romandebüt. Würdest du sagen, dass diese Motive auch deinen eigenen Charakter auszeichnen?

Nikola Hotel: Das ist eine schöne Frage, weil mein Liebster immer behauptet, ich hätte gar keinen Humor. Auf weitere Nachfragen musste er aber zugeben, dass ich sehr wohl Humor besitze, nur eben keinen »kölschen«. Das ist fürs Rheinland ungewöhnlich, muss aber an meiner österreichischen Mutter liegen. Ich neige eher zur Melancholie. Seltsamerweise bringen mich aber gerade Bücher zum Lachen. Das geht so weit, dass ich meine Familie nachts mit Gelächter aufwecke, weil ich noch lese. Humor finde ich in meinen Kindern wieder, den Tieren (man beobachte nur mal die Vögel am Futterhäuschen) und in der Musik. Ja, auch Musik kann mich zum Lachen bringen. Zum Beispiel, wenn David Fray ganz verspielt Bach interpretiert.

scriba: Wie sieht es mit dem biographischen Anteil in der Rabenblut-Saga aus? Haben deine Figuren reale Vorbilder?

Nikola Hotel: Es gibt einige Künstler, die mich inspiriert haben, so z. B. Maksim Mrvica, der für Alexej Pate stehen könnte, oder David Garrett für den Charakter des Nikolaus. Dann zog ich viele Ideen aus Biographien über den böhmischen Adel. Allen voran Karl Fürst zu Schwarzenberg, amtierender Außenminister Tschechiens und in diesem Jahr leider unterlegener Präsidentschaftskandidat. Seine Lebensgeschichte bietet genug Stoff für mehrere Romane.

scriba: Wie ist das Feedback der Leser zu deinem Debüt-Roman? Gibt es mittlerweile so was wie eine „Rabenblut-Fangemeinschaft“?

Nikola Hotel: Es erreichen mich sehr viele E-Mails von Lesern, die auf eine Fortsetzung warten und mir erzählen, dass ich sie zum Träumen brachte. Das ist ein großes Kompliment, und ich bemühe mich, alle Nachrichten persönlich und zeitnah zu beantworten. Auch die Rezensionen von Buchbloggern sind ausschließlich positiv. Von einer richtigen Fangemeinde traue ich mich aber noch nicht zu sprechen. So etwas entwickelt sich vielleicht, wenn es weitere Bände geben wird.

scriba: Was für ein Schreibtyp bist du? Eher der Typ Autor mit festem Konzept, der die Geschichte von Anfang bis Ende durchplant oder der intuitive Schreiber, der anfangs nur einen vagen Handlungsverlauf im Kopf hat?

Nikola Hotel: Ich schreibe (leider) einfach drauflos und habe kein ausgefeiltes Gerüst, an dem ich mich entlanghangeln könnte. Das ist meist ein Fehler, weil man hängen bleibt. Aber es gibt mir auch die nötige Freiheit, meinen Charakteren ihren Willen zu lassen. Sie haben definitiv das Zepter in der Hand. Trotzdem habe ich einige Schlüsselszenen fertig im Kopf. Das Ende ist für mich also schon zu Beginn völlig klar, und das ist ein Ziel, dem ich entgegenfiebere. Ich möchte nicht alles durchplanen, sondern mich auch noch von der Geschichte, den Personen überraschen lassen.

scriba: Wie lange hast du an Alexejs und Isabeaus Geschichte geschrieben? Musstest du viele Szenen nachträglich wieder umschreiben, überarbeiten oder streichen?

Nikola Hotel: Die ursprüngliche Fassung von über 700 Seiten hatte ich exzessiv in vier Monaten geschrieben. Aber danach folgten viele Monate der Überarbeitung. Das bedeutete kürzen, kürzen, kürzen. Szenen umschreiben musste ich nicht, sondern  hauptsächlich am Stil feilen. Es wurde also keine einzige Szene komplett gestrichen. Insgesamt dauerte es (vom ersten Entwurf bis zur Veröffentlichung) drei Jahre. Allerdings mit Unterbrechungen, bei denen ich an anderen Projekten arbeitete.

scriba: Du hast „Rabenblut drängt“ in der Ich-Perspektive verfassst, jedoch im Wechsel aus der Sicht der beiden Hauptfiguren – was eher ungewöhnlich ist. Warum hast du dich für diese besondere Technik entschieden?

Nikola Hotel: Mich reizte es, die Unterschiede in der Wahrnehmung darzustellen. Alexej ist ein sehr sinnlicher Charakter und Isabeau eher pragmatisch. Sie haben ganz verschiedene Erzählstimmen. Auch fand ich es spannend, wie sich das, was man sagt und das, was man denkt, doch unterscheidet. Dazu kommt noch, dass ich mich in meine Helden immer rettungslos verliebe und ihnen so eben besonders nahe komme.

scriba: In diesem Zusammenhang ist auch interessant: Wer ist deine persönliche Lieblingsfigur?

Nikola Hotel: Das wechselt im Laufe des Schreibprozesses. Zu Beginn war es natürlich der Held Alexej. Meine liebsten Szenen waren seine Dialoge und Streitgespräche mit Nikolaus oder seiner Großmutter, genannt „der General“. Mittlerweile ist es Sergius, der zwar auch zu den „Guten“ gehört, aber ein sehr zerrissener und manchmal auch grausamer Charakter ist. Er ist für mich die spannendste Persönlichkeit, weil er ungehobelt ist, ehrgeizig, lüstern, ungesund, gemein, manchmal aber auch müde, verloren und verletzt. Er bringt mein Schreiberherz zum Glühen.

scriba: Nehmen wir mal an, deine Buchreihe würde verfilmt: Wer sollten dann die Hauptdarsteller sein?

Nikola Hotel: Am schönsten wäre die Vorstellung, wenn jeder Charakter aus dem Buch mit einem Schauspieler besetzt würde, der aus dem jeweiligen Land kommt. Rabenblut drängt ist ein europäisches Buch. Die Protagonisten kommen aus Tschechien, Ungarn, Polen, Österreich, Russland und Deutschland. Sie auch genau so dargestellt zu wissen, wäre mein Traum, wenn auch kein populärer. Denn Osteuropa gehört leider nicht zu den Lieblingsschauplätzen der Deutschen.

scriba: Zu guter Letzt noch die Frage, die uns alle brennend interessiert: Wie geht es mit der Rabenblut-Saga weiter? Wann dürfen wir uns auf die Fortsetzung von Alexejs und Isabeaus Geschichte freuen?

Nikola Hotel: Meine ursprüngliche Aussage, dass es noch im Frühjahr erscheint, muss ich leider revidieren. Ich brauchte einfach eine kleine Pause und schreibe zur Entspannung an einer Komödie. Danach werde ich aber meine ganze Kraft wieder in die Rabenwelt stecken. Verraten kann ich aber so viel, dass Sergius eine viel größere Rolle einnehmen wird und es rabenblütigen Nachwuchs gibt. Bis dahin kann ich aber den Lesern anbieten, sich auf rabenblut.com umzusehen. Dort findet man alles über die Saga und erfährt die Neuigkeiten zuerst.

Die gesamte scriba-Redaktion dankt Nikola Hotel herzlich für das interessante Interview! Hier könnt ihr die Rezension zu „Rabenblut drängt“, dem Auftaktroman der Rabenblut-Saga, lesen.

 

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Autorin des Monats Oktober

Erin Hunter mit Warrior Cats

Warrior Cats„Warrior Cats“ – so heißt die Buchreihe um vier Katzenclans unserer Oktober-Autorin Erin Hunter, die weltweit nicht nur in aller Munde, sondern bereits mehr als 10 Millionen mal über den Ladentisch gegangen ist.  Korrekterweise müsste die Rubrik dieses Mal jedoch „Autorinnen des Monats“ heißen. Denn hinter dem Namen Erin Hunter verbirgt sich ein ganzes Schriftsteller-Quartett. Das Pseudonym ausgedacht hat sich Viktoria Holmes, der kreative Kopf und Chef der Gruppe. Sie alleine entwirft die Handlung, schreibt sie nieder und gibt die Geschichten ihrem Team zur Ausformulierung. So ist die Katzen-Serie eigentlich der Erfolg der Britin, die nur aus einem pragmatischen Grund die Romane nicht komplett selbst verfasst: schlichtweg Zeitmangel.

Viktoria Holmes ist nämlich nicht nur Autorin, sondern auch vielbeschäftigte Lektorin. Und weil auch etwas von einer Geschäftsfrau in ihr schlummerte, hat sie kurzerhand mit Kate Cary, Cherith Baldry und Tui Sutherland andere Texter engagiert, um zu garantieren, dass ihre Bücher in atemberaubenden Abstand erscheinen.

Viktoria HolmesEine neue Art des Schreibens also ist es, was unter dem Künstlernamen Erin Hunter zelebriert wird. Vielleicht ein klein wenig leidenschaftsloser, als es üblicherweise bei Vertretern dieser Zunft der Fall ist, dafür aber umso mehr ziel- bzw. publikumsorientiert. Denn Viktoria Holmes selbst – die Erfinderin der Katzen-Reihe – ist allergisch gegen die Haare der Vierbeiner und mag eigentlich lieber Hunde, Pferde und Otter. Selbst hätte die Britin kaum Wildkatzen zum Thema gewählt, der Verlag wollte es so. Vielmehr sei es ihr Antrieb über Sachen zu schreiben, die sie bewegen: „Mobbing, Vorurteile, Altern, Rassismus. Ob das dann Katzen sind, die die Dinge erleben, ist nicht so wichtig.“

Ob die Warrior-Cats-Fangemeinde das genauso sieht, sei dahin gestellt. Das Konzept von Viktoria Holmes  jedenfalls geht auf: Inzwischen ist das Autorenteam bei der dritten Reihe um die Wildkatzen angekommen, die Bände bereits in 27 Sprachen übersetzt. Wie lange das Quartett jedoch noch bestehen bleibt, ist dennoch ungewiss: Die Katzenclan-Schöpferin sieht ihre Zukunft nicht unbedingt in der Schriftstellerei; diese sei nur ein Schritt auf ihrem Weg, nicht das Ziel.

Aktuell kann sich die Erin-Hunter-Lesergemeinde erst einmal entspannt zurücklehnen und genießen: Im November erscheint unter dem Titel „Fluss der Finternis“ der 2. Band der dritten Reihe.

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scriba-Autor des Monats Juli

Michael Zandt – im scriba-Interview stellt der Autor seinen brandneuen Roman „Das schwarze Kollektiv“ vor 

scriba: Mit „Das schwarze Kollektiv“ erscheint noch diesen Monat die Fortsetzung zu deinem Debütroman „Hapu – Teufel im Leib“. Was uns bei der Vorankündigung sehr überrascht hat: Mit Ariko ist nicht Hapu selbst, sondern ein männlicher Protagonist im Zentrum der Handlung. Warum das?

Michael Zandt: „Das Schwarze Kollektiv“ wird aus einer Perspektive heraus erzählt, die Hapu nicht einnehmen kann.  Während Hapus Handeln oft (nicht immer) ein egoistisches Motiv zugrunde liegt, dient Ariko Idealen. Er glaubt an das Schicksal, die Liebe und die Existenz eines göttlichen Plans.

scriba: Was unterscheidet den Roman noch von seinem Vorgänger? Gibt es wieder viel Action oder ist dieses Mal mehr Platz für leisere Töne, wie z.B. eine Liebesgeschichte?

Michael Zandt: Die Beziehung Arikos zu der Kriegerin Lamis’jala steht im Mittelpunkt des Buches. Eine Liebe zwischen Traum und Albtraum.

scriba: War die Fortsetzung von Anfang an geplant oder hat dich erst die positive Resonanz auf „Hapu“ dazu bewogen, weiterzuschreiben? In diesem Zusammenhang ist es auch interessant zu wissen, wie das Feedback der Leser ist? Gibt es mittlerweile so was wie eine „Hapu-Fangemeinschaft“?

Michael Zandt: Die Geschichte war tatsächlich so geplant, wie sie jetzt veröffentlicht wird. Der Ehrlichkeit halber will ich aber zugeben, dass ich zwischenzeitlich versucht war, diesen Plan zu ändern und direkt mit Hapu weiter zu machen. Heute bin ich froh, dass ich das nicht getan habe. Ich bekomme immer wieder nette Briefe was Hapu angeht. Einige sehr nette sogar, wobei ich nicht verschweigen möchte, dass es auch Leute gibt die glauben, dass Hapu ein so abscheuliches Wesen ist, dass sie eigentlich nie ihren Weg zwischen zwei Buchdeckel hätte finden dürfen. Aber das ist ok. Eine Meinung ist eine Meinung und jeder soll seine eigene haben.

scriba: „Das schwarze Kollektiv“ erscheint gerade mal acht Monate nach deinem Debütroman – eine ziemlich kurze Zeit, wie wir finden. Bist du mittlerweile Vollzeitschriftsteller?

Michael Zandt: „Vollzeitschriftsteller?“ Möchtest Du, dass ich mich von Quellwasser und Wurzeln ernähre? *lach* Nein, ich gehe „nebenbei“ noch einem Beruf nach. Die Erklärung für den relativ rasch erscheinenden Nachfolger ist die, dass ich mit der Arbeit an „Das Schwarze Kollektiv“ bereits begonnen hatte, noch bevor für „Hapu“ ein Verlag gefunden war.

scriba: Was für ein Schreibtyp bist du? Eher der Typ Autor mit festem Konzept, der die Geschichte von Anfang bis Ende durchplant oder der intuitive Schreiber, der anfangs nur einen vagen Handlungsverlauf im Kopf hat?

Michael Zandt: Unterschiedlich. Während Hapu von Anfang an starken Einfluss auf „ihre“ Geschichte genommen hat, ist es mir beim „Kollektiv“ leichter gefallen, dem vorgesehenen Handlungsstrang zu folgen. Grundsätzlich denke ich, dass man den Mut haben sollte den eingeschlagenen Kurs zu ändern, wenn sich zeigt, dass er in eine erzählerische Sackgasse führt.

scriba: Wie bist du bei deinem Verlag gelandet? Hattest du Hilfe durch eine Agentur oder musstest du dein Manuskript an viele Häuser schicken?

Michael Zandt: Eine Textprobe von „Hapu“ habe ich an eine auf unterhaltende Belletristik spezialisierte deutsche Literaturagentur gesandt. Die Absage der beiden Damen bekam ich noch am selben Tag. Danach habe ich mein Glück bei einem Publikumsverlag versucht. Der zuständige Lektor dort war so freundlich mir auf knapp zwei Seiten auseinanderzusetzen, warum ein zweifelhafter Charakter wie Hapu auf dem Buchmarkt keine Chance hat.
Kleinere Verlage waren aber glücklicherweise für „Hapu – Teufel im Leib“ zu interessieren. Nach einigen Irrungen und Wirrungen (ein Verlag hat über Nacht alle neuen Projekte eingestellt, ein anderer ging Pleite) kam meine schwierige Schwäbin schließlich bei Candela unter.
Anders als „Hapu“, wird das „Kollektiv“ übrigens nicht mehr bei Candela, sondern beim Art Skript Phantastik Verlag erscheinen. Ich bin dem Candela-Verlag für die gewährte Unterstützung dankbar, habe mich aber von dem Konzept einer Verlegerin überzeugen lassen, die sich ganz auf die deutschsprachige Phantastik konzentrieren möchte.

scriba: Warum hast du dich sowohl bei „Hapu“ als auch bei „Das schwarze Kollektiv“ für die Ich-Perspektive entschieden, die man heute nicht mehr so oft findet?

Michael Zandt: Eine Geschichte aus der Sicht des allwissenden Erzählers heraus zu entwickeln, hat ein paar unbestreitbare Vorzüge. Eine davon ist, dass der Leser sich auf die Objektivität dessen was er liest, verlassen kann. Diese Verlässlichkeit aber wollte ich nicht bieten. Gerade Ariko gibt dem Leser ab und zu Gelegenheit sich zu fragen, ob der Junge Dinge so sieht wie sie wirklich sind, oder vielleicht doch eher so, wie er sie gerne haben möchte.

scriba: Nehmen wir mal an, deine Buchreihe würde verfilmt: Wer sollten dann die Hauptdarsteller sein?

Hapu-CoverMichael Zandt: Wenn ich eine ernste Antwort auf Deine Frage geben möchte (und ich bin gerade genau in der richtigen Stimmung das zu tun), dann muss ich gestehen, dass es mir nicht leicht fallen würde Filmrechte zu vergeben. Hollywood scheidet aus. Der Gedanke, Hapu in ein amerikanisches Kaff verpflanzt zu sehen, bereitet mir Übelkeit.
Und was das deutsche Kino angeht, da verhält es sich ähnlich wie mit der hiesigen Literaturszene. Man flaniert zwar gerne auf dem roten Teppich und verleiht sich ständig irgendwelche Preise, was über die internationale Bedeutungslosigkeit aber nicht hinwegtäuschen kann. In London, Rom oder Paris käme kein Mensch auf die Idee in einen deutschen Film zu gehen. Völlig zu Recht. Diesen Betroffenheits- und/oder Komödienscheiß braucht kein Mensch. Und außerdem: Ich habe Moritz Bleibtreu bereits in „Soul Kitchen“, in „Der Baader Meinhof Komplex“ und in „Goethe“ ertragen. Ich finde das reicht.

scriba: „Hapu“ war nicht deine erste Veröffentlichung, sondern du wurdest 2011 bereits in der Kategorie „Beste deutschsprachige Kurzgeschichte“ für den Deutschen Phantastik Preis nominiert. Seit wann schreibst du? Und haben deine Geschichten schon immer ein Fantasy-Setting?

Michael Zandt: Ich habe erst relativ spät damit begonnen, meine Freizeit dem Schreiben zu widmen. Ich denke, das war so um die Jahreswende 2006/07. Nein, zwingend ein phantastisches Setting brauchen meine Geschichten nicht. Allerdings … warum sollte ich auf die Macht des Unglaublichen verzichten? Das haben weder Goethe noch Kafka noch  Jünger getan. Was ich damit sagen will: Es gibt eine phantastische Tradition in der deutschen Literatur.

scriba: Wie schaut es mit dem biographischen Anteil in deinen Büchern aus? Haben deine Figuren reale Vorbilder und wie kommst du auf deine doch sehr kreativen Namen?

Michael Zandt: Hier und da leiste ich mir tatsächlich einen kleinen Rückgriff in die eigene Biographie. Aber ich denke, das aufzuschlüsseln, wäre eher langweilig. Ach, ein kleines Beispiel erzähle ich euch doch: Hapu erinnert sich einmal daran, dass ihre Bewerbungsunterlagen mit dem Vermerk „Erfüllt die Einstellungsvoraussetzungen nicht“ aus dem Rathaus ihres Heimatortes zurück kamen. Im „wahren Leben“ ist das natürlich nicht ihr, sondern ihrem Schöpfer passiert.
Die „kreativen Namen“ in Hapu entstammen der (realen) Mythenwelt des alten Ägypten, oder der (fiktiven) der Asartu. Wie ich darauf komme? Nun, ich habe mir ein kleines „System“ zurechtgelegt und den Rest hat allein der „Klang“ entschieden.

scriba: In diesem Zusammenhang ist auch interessant: Wer ist deine persönliche Lieblingsfigur?

Michael Zandt: Das ist wie mit Kindern. Wenn es diese Lieblingsfigur gäbe, dann würde ich nicht sagen, dass es sie gibt.

scriba: Wie lange schreibst du durchschnittlich an deinen Büchern? Musst du viele Szenen nachträglich wieder umschreiben, überarbeiten oder streichen?

Michael Zandt: Wenn ich die Erfahrung meiner bisherigen beiden Bücher zugrunde lege, würde ich sagen, dass ich von der Idee bis zum fertigen Buch etwa ein Jahr brauche. Kaum eine Zeile, die ich in dieser Zeit nicht einmal ergänzen, ändern oder eben streichen würde.

scriba: Wie kommst du überhaupt auf deine Geschichten? Woher holst du dir Inspiration? Ist es der schnelle Geistesblitz oder doch eher ein langer Denkprozess, bis die Idee für ein Buch steht?

Michael Zandt: Das ist bei mir vermutlich nicht anders, als bei den meisten anderen Autoren auch. Ich beziehe meine Inspiration aus Bildern, Büchern, Filmen … oder auch einfach aus dem, was ich den Tag über sehe. Ein hinkender Hund, ein im Müll nach Pfandflaschen suchender Rentner … Das Leben steckt voller Geschichten.

scriba: Zu guter Letzt noch die Frage, wie es mit der Zukunft aussieht. Geht die Geschichte um Hapu und Ariko weiter? Oder widmest du dich nun anderen Schreib-Projekten?

Michael Zandt: Ich würde die Geschichte um Hapu und Ariko gerne in einem dritten Band zum Abschluss bringen. Wohin die Reise danach gehen könnte, zeige ich in meiner Kurzgeschichte „Unter dem Nebelmond“, die in der Anthologie „Vampire Cocktail“ zu lesen sein wird. „Vampire Cocktail“ erscheint ebenfalls im Art Skript Phantastik Verlag und wird etwa zur gleichen Zeit wie „Das Schwarze Kollektiv“ auf den Markt kommen.

Die gesamte scriba-Redaktion dankt Michael Zandt herzlich für das interessante Interview! In Kürze könnt ihr hier die Rezension zu seiner Neuerscheinung „Das schwarze Kollektiv“ lesen. 

Wer mehr über den Autor erfahren möchte, folgt bitte diesem Link: http://artscriptphantastik.de/die-autoren/michaelzandt/

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bergwehen

Monika Bittl
Droemer Verlag
Gebunde Ausgabe: 312 Seiten
Erscheinungsdatum: September 2008
ISBN: 978-3-426-19801-8

„Bergwehen“ – was versteckt sich hinter diesem Titel? Etwa ein seichter Roman im Stile einer Heimatfilmromanze? Mitnichten! Am Ende der Lektüre angekommen, wundere ich mich, wie sehr ich mich mit meiner Assoziation getäuscht habe. Jetzt weiß ich: Der Titel ist mit Bedacht gewählt, und beschreibt Monika Bittls kluges Buch inhaltlich in doppelter Hinsicht.

Denn die Protagonistin Lucilie Vinzenz hat in ihrer Funktion als Oberhebamme einer Gebäranstalt in München Anfang des 19. Jahrhunderts täglich mit „Wehen“ zu tun. Zu Lucilies Verdruss jedoch immer häufiger auch mit dem tückischen Kindbettfieber, das die „Kreißenden“ in ihrer Einrichtung neuerdings zu Dutzenden das Leben kostet – vor allem nachdem die Ärzte und Medizinstudenten aus Landshut allmonatlich ihren Besuch abgestattet haben. Lucilie entdeckt den Zusammenhang und entwickelt eine Theorie über die Ursache, die jedoch ungeheuerlich ist, und die Hebamme in höchste Gefahr bringt …

Medizinisch bahnbrechende Entdeckungen sind also das tragende Thema des Romans – in Lucilies Fall die Bedeutung der Hygiene. Zu Zeiten von Aderlass und schlechten Säften ist diese Theorie ein heikles Thema, besonders wenn sie von einer Frau kommt und noch dazu die Reputation der Ärzte in Frage stellt. Schließlich hatte es „in der Medizin […] noch nie genügt, Unerhörtes zu denken und etwas Neues zu wagen. Man müsste es auch politisch geschickt durchsetzten und den Anfeindungen trotzen können.“

Dies erkennt im Gegensatz zu Lucilie Doktor Denaro, der zweite Protagonist des Romans. Auch er beschäftigt sich fieberhaft mit medizinischen Problemen. Dabei ist die Suche nach einem Mittel für schmerzfreies Operieren sein persönliches Forschungsgebiet.

Damit hören jedoch die Gemeinsamkeiten zu Lucilie schon auf. Denaro, seines Zeichens sowohl Schwerenöter als auch anerkannter Arzt mit ausgezeichnetem Ruf unter Kollegen sowie besten Beziehungen zu Adelskreisen, hat sich ein kleines Tiroler Bergdorf als Lebensmittelpunkt gesucht. Neben der medizinischen Behandlung der Dorfbewohner frönt er dort der Jagd, klettert auf Berge, genießt die Natur, treibt seine Spielchen mit dem erzkonservativen Pfarrer, um zwischendurch  immer wieder nach Salzburg oder Bologna zu reiten und sich seiner Freiheit, dem weiblichen Geschlecht und den Stadtwirren hinzugeben.

Monika Bittl wechselt mit jedem Kapitel zwischen ihren zwei Hauptfiguren und lässt den Leser also parallel in die Entwicklungen des Lebens beider blicken.  Die große Stärke dabei: Die Autorin erzählt nicht nur die Handlung, sondern vermittelt ihren Lesern unaufdringlich nebenbei umfassendes Wissen aus anderen Bereichen: Sehr detailreich – aber keineswegs anstrengend –  werden sowohl zeitgeschichtliche Ereignisse um Napoleon als auch die Stadtentwicklung Münchens und Salzburgs beschrieben. Tiefe Einblicke in die Hebammenkunst werden ebenso gewährt, wie schon fast mit kulturwissenschaftlichem Auge das authentisch-traditionelle Tiroler Dorfleben geschildert. Was zudem nicht fehlt ist Gesellschaftskritik: So sind es auf der einen Seite nicht nur die Männer – sondern auch die Frauen selbst – die Lucile als weiblicher „Gelehrten“ das Leben schwer machen. Mit Kritik spart die Autorin auch bei ihren eignen Protagonisten nicht: So wird gerade exemplarisch an der Figur Denaros gezeigt, wie vermeintlich höher gestellte Männer die Frauen der niederen Schichten ohne jegliches Verantwortungsgefühl zu ihrer Triebbefriedigung missbrauchten.

Selten wurden die Konsequenzen aus diesen kurzen Verbindungen zum Verhängnis für den männlichen Part – anders in dieser Geschichte.

Es wird also in mehrfacher Hinsicht spannend, wenn sich wie vorauszusehen, die Wege der beiden Protagonisten treffen. Nicht zu sagen sogar turbulent, da sich nach und nach herausstellt, dass die zwei deutlich mehr Berührungspunkte haben, als ihnen lieb sein kann. Wo wir wieder beim Buchttitel angelangt sind, der mit „Wehen“ auch die sich überschlagenden Ereignisse beschreibt: Natürlich inklusive der recht unkonventionellen Liebesgeschichte, die nicht fehlen darf.

Ein letzter Kunstgriff: Obwohl die erste Buchszene das beinahe ironische Ende eigentlich vorwegnimmt, bleibt der Überraschungseffekt dennoch nicht aus und der Leser damit entzückt und erschüttert zugleich zurück. Bergwehen ist eben keine 0815-Baukasten Heimatschnulze!!!

Anmerkung der Redaktion: Dass Monika Bittl vor ihrer Schriftstellerkarriere preisgekrönte Drehbuchautorin war, spiegelt sich im Szenenaufbau ihres Schreibstils wider. So ist es nicht verwunderlich, dass Bergwehen bereits 2009 verfilmt wurde.

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scriba-Autorin des Monats Juni

Kim Winter mit ihrem neuen Roman Sternensturm

© Claudia Geipel

Sie ist jung, steht erst am Anfang ihrer Schriftstellerkarriere und ihr Name ist vielen Lesern noch kein Begriff: Kim Winter. Somit entspricht unsere Autorin des Monats Juni nicht unbedingt dem bisher in dieser Rubrik vorgestellten Personenkreis.

Kein Problem – schließlich hat Kim Winter bereits mit ihrem Erstlingswerk „Sternenschimmer“ die scriba-Redaktion angenehm überrascht (siehe Rezension). Jetzt ist der zweite Band ihrer beim meist jugendlichen Publikum erfolgreichen Sternentrilogie erschienen. Grund genug, die Autorin  näher vorzustellen …

Sternensturm: Teil 2 der "Sternentrilogie"

Eigentlich ist Kim Winter ausgebildete Sozialarbeiterin; doch heute findet man die Enddreißigerin nicht mehr im Pflegekinderdienst oder Waldkinderkindergarten, sondern meistens mit Musik im Ohr vor der Computertastatur. Die Verbundenheit  zum Wald hat sie sich jedoch nach wie vor bewahrt, schreibt sie doch ihre „Sternenromane“ vornehmlich in einem am Waldrand gelegenen Wiesbadener Cáfe.

Auch wenn die Schriftstellerei erst jetzt zum Beruf geworden ist, war sie schon lange Kim Winters Berufung. So entstanden erste Gedichte und Geschichten mit der Unterstützung ihrer Großmutter bereits im führen Kindesalter. Kim Winters Großmutter war es dann auch, die fest an das Talent ihrer Enkelin glaubte und sie motiviert hat, an einen Verlag heranzutreten. Dabei ist die Jungautorin aber den indirekten Weg über eine Agentur gegangen, da ihr Skript nicht unter tausenden anderen ungelesen bei Verlagen stranden sollte. Die Strategie ist aufgegangen, heute ist Kim Winter feste Autorin des Thienemann Verlags, und das obwohl sie als intuitiver Schreibtyp vorab kein fertiges Konzept für ihre Romane vorlegen kann. Vielmehr machen sich ihre Figuren im Laufe des Schreibprozesses selbständig, was beispielsweise dazu führt, dass der brandneue Band „Sternensturm“ anfangs fast 2000 Seiten umfasste und verschiedene Szenen häufig in unterschiedlichen  Varianten vorlagen. Grundsätzlich ist es der Autorin ein Anliegen, jedem Band der Reihe eine ganz eigene Atmosphäre zu verleihen. So folgt nach dem eher ruhigen Auftakt jetzt der deutlich actionreichere Teil.

Privat gelesen hat die Autorin, deren Werk in der Zukunft spielt und im Bereich Science-Fiction angesiedelt ist, bisher noch nie einen Roman des Genres.  Auch die bekannten Star-Wars-Filme kennt sie erst seit Kurzem. Vielleicht erklärt dies auch ihren frisch-unverbrauchten Umgang mit der Thematik. Momentan schreibt Kim Winter bereits am dritten und letzten Band der Reihe mit dem ehrgeizigen Ziel, dass dieser zum Besten der Trilogie werden solle.

Wir sind gespannt, und werden mit Sicherheit mit unserem Urteil nicht lange auf uns warten lassen!

Wer mehr über unsere Autorin des Monats erfahren möchte, dem sei ihre Facebookseite empfohlen, auf der Kim Winter selbst alles Wissenswerte und alle Neuigkeiten zu ihrer Sternentrilogie veröffentlicht.

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Das Land der verlorenen Träume

Caragh O ‚ Brien
Gebundene Ausgabe:
464 Seiten
Verlag:
Heyne Verlag
Erscheinungsdatum: 20. Februar 2012
ISBN: 978-3453528000
Originaltitel:
Prized

Hier gibt es „alles was sich der … Leser wünscht“, so lautete die scriba-Zusammenfassung zum ersten Teil von Caragh O’Briens Jugendbuchtrilogie: atemberaubende Spannung, bunte, fulminante Bilder, unverdaute Ideen sowie eine tatkräftige Ausnahme-Protagonistin, die nicht wegsieht, sondern entschlossen gegen die unmenschliche Gesetze des unbarmherzigen Herrschaftssystems der Enklave aufbegehrt – mit allen Konsequenzen.

Wie diese letztlich aussehen, erfährt der Leser gleich zu Beginn des Nachfolgeromans „Das Land der verlorenen Träume“:  Gaia ist auf der Flucht. Sie hat alles verloren, was ihr wichtig war; ihre Eltern, ihr Zuhause und Leon. Im menschenfeindlichen Ödland sucht sie nun verzweifelt mit ihrer neugeborenen Schwester den Weg zum sagenumwobenen Toten Wald – eine zivilisierte Gesellschaft fernab der Enklave – und findet ihn in letzter Sekunde … Das sogenannte Sylum wird für die Schwestern, vor allem für den halbverhungerten Säugling Maya, zur letzten Rettung – doch wie groß kann der Preis für das Überleben sein?

Denn auch das vermeintliche Paradies Sylum entpuppt sich als Welt zweifelhafter Gerechtigkeit. Sylum ist ein von Frauen beherrschter Ort, an dem Männer keine Rechte besitzen. Aber auch die weiblichen Bürger sind nicht wirklich frei, sondern strengen Regeln unterworfen. Beugen sie sich den alles bestimmenden Gesetzen nicht, sind auch ihre Rechte verwirkt.

So sieht sich Gaia abermals Repressalien ausgesetzt, wenn auch auf vollkommen andere Weise. Dass in Sylum jedoch nicht nur das System krankt, sondern auch biologisch einiges im Argen liegt, macht es zum Pulverfass: In dem Matriarchat werden seit Jahren kaum mehr Mädchen geboren …

In ihrem zweiten Buch geht die Autorin einen gänzlich anderen Weg und lässt die bisher so starke Protagonistin Schwächen zeigen: Gaia ist im Gegensatz zum Vorgängerband Teil der Unrechts-Gesellschaft, und nicht Beobachterin von außen. Sie sieht zwar die verworrenen Zustände, doch ist sie befangen. Sich gegen die Anweisungen der Matrarch aufzulehnen, bedeutet vertrieben zu werden und somit Maya zu verlieren; sich dem Druck zu beugen hingegen, die eigenen Ideale – in diesem Fall ungewollt schwangeren Frauen zu helfen – aufzugeben. Widerstand zu leisten erscheint nun in einem anderen Licht.

Die Protagonistin versucht trotz ihrer verzweifelten Lage sich sprichwörtlich zwischen Pest oder Cholera zu entscheiden zu müssen, das Richtige zu tun, verrennt sich aber und übersieht in ihrem Kampf das Wesentliche. Sie opfert das Wohl und das Vertrauen des Menschen, der ihr Leben gerettet hat. Denn Leon ist ihr gefolgt und wartet vergeblich in Not auf ihren Beistand.  Dass sie das Machtspiel mit der Matrach längst verloren hat, merkt sie zu spät. Letztlich ist sie gebrochen, akzeptiert die Gesetze und handelt systemtreu.

Der Titel „Land der verlorenen Träume“ hat somit eine doppelte Intention. Gaias Traum von einem Leben ohne Oktroyierung und Ungerechtigkeit erweist sich als Illusion. Gleichzeitig scheint die Beziehung zu Leon verloren, bevor sie beginnen konnte.

Caragh O‘ Brien beweist hier Mut. Denn so mancher Leser fährt sicher aus der Haut und verzweifelt am Handeln bzw. Nicht-Handeln der Protagonistin. So sind es dieses Mal nicht Spannung und rasante Szenen, die das Buch charakterisieren. Vielmehr beherrschen hier leisere Töne, ruhige Bilder,  intensive Dialoge und innere Zustände das Bühnenbild.

So passt es sehr gut, dass auch der Liebe im 2. Band ein weitaus größerer Raum als im Auftaktroman gewährt wird – sicher anders jedoch als der Leser es erwarten wird

Die Liebe ist es auch, die Gaia schließlich die Augen öffnet und dazu führt, dass sich der Kreis zum 1. Teil schließt und uns nun doch ein spannendes Ende beschert, das sogleich wieder ungeheure Leselust auf die Fortsetzung schürt.

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Rezension „Die Stadt der verschwundenen Kinder“
Teil 1 von Caragh O‘ Briens Trilogie

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scriba-Autor des Monats Mai

Gerhard Polt: scriba gratuliert zum 70sten

Gerhard PoltAutoren werden üblicherweise für ihre literarischen Erzeugnisse in Buchform geschätzt. Dabei muss sich die Präsentation eines Werkes nicht unbedingt auf die Publikation zwischen den Buchdeckeln beschränken. Dies beweist Gerhard Polt überaus erfolgreich seit mehr als 3 Jahrzehnten. Seinen 70. Geburtstag am 7. Mai nehmen wir deshalb zum Anlass, um den „Satiriker und Moralisten“ zu würdigen.

Berühmt ist Gerhard Polt weit über die bajuwarischen Grenzen hinweg für sein kabarettistisches Schaffen. Dies zeigt sich dieser Tage ganz besonders.  Lauscht man dem Radio, schlägt man die Zeitung auf oder macht man es sich abends vor dem Fernseher gemütlich:

"Dichterling in beinah würdiger Pose"

Die Medienwelt feiert den Satiriker regelrecht wie einen Popstar. Zum 70. Geburtstag gratuliert alles, was in Kultur und Politik Rang und Namen hat. Freuen wird sich der Jubilar darüber wahrscheinlich weniger. Im Gegenteil, diese Aufmerksamkeitsschwemme dürfte Polt, von dem kaum Interviews existieren, der die Öffentlichkeit konsequent meidet und sein Privatleben regelrecht unter Verschluss hält, äußerst zuwider sein. Da wundert es nicht, dass der Kabarettist nach Skandinavien geflüchtet ist, um dem ganzen Wirbel um seine Person zu entgehen.

Nichtsdestotrotz reiht sich scriba in die lange Liste der Laudationen ein, und zwar aus dem einfachen Grund, dass Gerhard Polt mit seinem Werk aus drei Schaffensperioden ein unerreicht leuchtender Stern am bayerischen Kabaretthimmel ist, der es verdient, geehrt zu werden:

Von „Gemütlichkeitsvollzugsanstalten“ und „Old Schwurhand“

Polt-Ausstellung im Münchner Literaturhaus

Feinsinnig, Hintergründig,  weit entfernt von plumpem Comedy, vielmehr durchsetzt von kritischem Weitblick und mitunter auch bitterbösem Humor zeichnet sich sein Stil aus. Polt verurteilt nicht, er stellt den engstirnigen und unreflektierten Normalbürger, Beamten, Politiker, Intellektuellen oder auch Geistlichen wie kürzlich Papst Benedikt einfach nur pointiert dar. Deutlichstes Merkmal dabei ist, dass seine Satire die Wirklichkeit nicht überzogen widerspiegelt. Vielmehr spricht laut dem Poltschen Verständnis das für sich, was die Leute so sagen. Da brauche man gar nix mehr dazu sagen, meint der Sprachphilosoph Polt, beobachtet und stellt dar. Nicht mehr und nicht weniger. Seine Anregungen hole er sich oftmals von Stammtischen, sagt Polt.

Polt-Ausstellung im Münchner Literaturhaus

Sein ambivalentes Verhältnis dazu drückt er vielsagend mit dem Begriff „Gemütlichkeitsvollzugsanstalten“ aus. Was letztlich aus diesen Beobachtungen wird, präsentiert er dem Publikum auf vielfältige Weise, aber in stets gleicher „Strickjoppe“-Montur: Auf der Kino-Leinwand, als Fernsehsketsch wie am Anfang seiner Karriere in den „Fast wia im richtigen Leben“-Folgen, natürlich auf der Kabarett-Bühne oder auch in großen Häusern wir der Staatsoper oder den Münchener Kammerspielen. Unterstützt wurde er dabei vielmals von Gisela Schneeberger als Spielpartnerin und Hans-Christian Mueller als Regisseur und Co-Autor. Seit 1986 kaum aus den Polt-Programmen wegzudenken sind zudem die Biermösl-Blosn, mit denen er gemeinsam sogar einmal mit den Toten Hosen auf Tour ging.

Polt ist eben immer für Überraschungen gut: Das hat auch ein ZDF-Redakteur bei der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises deutlich zu spüren bekommen, als er verlangte, dass der Kabarettist den CSU-Politiker Zimmermann in Anspielung an dessen Meineid im Bundestag nicht als „Old Schwurhand“ bezeichnen darf. Aus Protest auf die Zensur versucht Polt bei der Live-Übertragung 10 Minuten einfach nichts zu sagen.

Gerhard Polt zum 70sten: Braucht’s des?!

Polt-Ausstellung im Münchner Literaturhaus
Polt-Ausstellung im Münchner Literaturhaus

Diese Szene, die heute zu den großen des Kabaretts gehört,  ist in voller Länge in der aktuellen Polt-Ausstellung  zu sehen, die im Münchner Literaturhaus noch bis zum 10. Juni läuft.  Der Titel „Braucht’s des?! Gerhard Polt zum 70sten“ steht charakteristisch für den 1942 in München geborenen und später in Altötting aufgewachsenen Polt, der der Meinung ist: „Ein Mensch, der lebt, braucht keine Biographie.“ Konsequenterweise ist die Ausstellung in Form von Filmausschnitten hauptsächlich ein Parcours durch die deutsche Karbarettgeschichte. Der private Polt bleibt weitestgehend auch einer; Dass es Polt nach seinem geisteswissenschaftlichen Studium in München, nach Göteborg verschlägt, erfährt man aber trotzdem. Dort studiert er nicht nur ein weiteres Mal (Skandinavistik und Altgermanisch), sondern lernt auch seine spätere Frau kennen, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat. Heute lebt Polt, der nach eignen Angaben schon immer Bootsverleiher werden wollte, am Schliersee mit Zweitwohnsitz Teraccina in Italien, was kein geringerer Ort ist, als der Schauplatz von dessen bekanntem Film „Man spricht deutsch“. Sie sehen, der Kreis schließt sich; wer nun noch mehr über das Leben und Werk Polts erfahren möchte, dem sei die Ausstellung im Literturhaus München wärmstens empfohlen. Wir haben uns von deren Qualität selbst überzeugt  (siehe Fotos) …

Wir haltens nun ganz wie Polt selbst und stimmen zum Schluss unserer Laudatio ein:
Wann i nimma meng dad, gangad i hoam! (Gerhard Polt: Wia im richtigen Leben, Folge 1)

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Das Mädchen mit den gläsernen Füßen

Ali Shaw
Verlag:
script5
Erscheinungstermin: 9. Januar 2012
Gebundene Ausgabe:
400 Seiten
ISBN:
978-3-8390-0131-8
Originaltitel:
The Girl With Glass Feet

Greift der Leser auf Bucherscheinungen aus dem Imprint Scrpit5 des Hauses Loewe zurück, tut er dies mit einer gewissen Erwartungshaltung. Mir zumindest geht es so, als ich nach Titeln von den script5-Autoren Belitz und Stiefvater nun Ali Shaws Debütroman „Das Mädchen mit den gläsernen Füßen“ in Händen halte.  Ein Blick auf das Cover, das selbst ein eigenes Kunstwerk ist und sich dieses Mal sogar durch einen silbernen Schnitt hervorhebt, bestätigt sogleich meine Erfahrung:  Hier wird mich eine typische Mädchen-Fantasybuch-Variation erwarten.

Die verschnörkelte, poetische Sprache, die sich hingebungsvoll und ungestört einer ausgeschmückten Beschreibung der Natur widmet, beirrt mich noch nicht in meiner zugegebenermaßen vorschnell getroffen Genre-Einordnung,  und siehe da! Nach wenigen Seiten lassen sich bereits die ersten erwarteten phantastischen Spuren entdecken:  Ida, die junge weibliche Hauptfigur erfährt, dass auf der Insel St. Hauda’s Land auf dem Grund der Sümpfe gläserne Körper verborgen liegen sollen, während im Moor geheimnisvolle Ochsenmotten, Kühe mit Schmetterlingsflügel, umherschwirren.  Diese Information ist für Ida sehr bedeutungsvoll, den sie sucht beim Hüter dieser Geheimnisse Hilfe – schließlich beginnen ihre Füße sich selbst in Glas zu verwandeln. Und der männliche Held, der bei einer solchen Geschichte immer mit von der Partie ist, ist mit dem Einzelgänger Midas – Idas einheimische Unterstützung bei ihrem schwierigen Unterfangen, denn die Suche entpuppt sich als Nadel im Heuhaufen – auch gefunden.

Doch hier mache ich abrupt Schluss mit meinem Schubladendenken; denn zu meinem angenehmen Erstaunen wird nach weiteren Seiten deutlich, dass die Geschichte um das gläserne Mädchen Ida nicht ins Raster der Jugendbuchwelle á la Stephenie Meyer passt:

Den Leser erwarten kein spannungsreiches Abenteuer, keine rasanten Wendungen, keine eigentliche Romanze gewürzt mit Neckerei, Witz, zärtlichen Momenten und Action-Szenen und ganz bestimmt auch kein attraktiver, aber gefährlicher Mädchenschwarm! Die Handlung ist mit Idas Suche nach Heilung bereits erklärt.

Aber wie das Sprichwort schon sagt, kann weniger manchmal viel mehr sein. Und so verhält es sich auf großartige Weise bei Ali Shaws Roman. Was der junge Autor niedergeschrieben hat, ist kein großes Kino, sondern sind leise Zwischentöne. Eine stille, unaufgeregte Geschichte, die ohne, dass es der Leser merkt, zu den Tiefen der menschlichen Seele vordringt und somit einen unvergesslichen Eindruck hinterlässt.

Tragende Elemente sind dabei die Natur, geheimnisvolle Märchenelemente und die inneren Gefühle, Zustände und Prozesse der Figuren. Dabei ist es wider Erwarten nicht Idas, sondern Midas verlorenes Seelengemälde, das in langsamen Pinselstrichen gezeichnet wird. Midas ist die Hauptfigur des Romans, und nur vordergründig geht es darum, Ida vor der Verwandlung zum Glas zu retten. Die eigentliche Geschichte hinter der Geschichte ist die Rettung Midas durch Ida, die Befreiung desselben von seinen inneren Dämonen.

Der verschrobene Midas sieht die Welt nur durch sein Kameraobjektiv: kleine Ausschnitte, scharf gezeichnet. Der Blick auf das große Ganze, auf das, was nicht eingefangen werden kann, ist ihm fremd. Er versteckt sich hinter seinen Bildern. Warum das so ist, erfährt der Leser indirekt und Schritt für Schritt durch Episoden –  teils aus  anderen Zeitebenen  – über vier weitere Personen: Midas Eltern, dem Liebhaber seiner Mutter und dem früheren Kommilitonen und Verehrer von Idas Mutter. Diese Figuren haben viel Raum im Geschehen, dienen letztlich jedoch nur dazu, den Ursprung von Midas Problem und seine Weiterentwicklung zu skizzieren und charakterisieren. Midas ist gefangen im Jetzt, jedoch begibt sich Ida durch ihre ehrliche Annäherung an ihn auf die Suche nach seinem Innersten. Midas hingegen sucht parallel – und immer verzweifelter – nach einem Heilmittel für Idas Verwandlung, die wie ein Symbol für den Kampf gegen eine unheilbare Krankheit anmutet. Je weiter die Handlung verläuft, wird deutlich, dass nur einer der beiden, die ineinander ihr Glück gefunden haben, erfolgreich sein wird. Denn während Midas Seele durch Ida gesundet, scheint bei Idas Verwandlung der Kampf gegen die Zeit verloren zu gehen …

Kern des Romans ist jedoch alleine Midas langwieriger und schwieriger Weg zur Selbstfindung, geführt und angeleitet durch Ida. Und nun lässt sich dieses besondere Buch doch eindeutig in ein Genre einordnen, aber ganz anders als erwartet. „Das Mädchen mit den gläsernen Füßen“ ist ein Juwel  jenseits seiner Zeit, ein Werk, gemeißelt in der Tradition der längst vergessenen Epoche der Romantik :

Übersinnliche Märchen-Elemente, gewaltige Naturbeschreibungen und kunstvolle Sprache bilden den Rahmen für die Geschichte um die männliche Hauptfigur, auf dem inneren Weg zu sich Selbst. Das Heil bringt letztlich ein Mädchen … und zwar auf solch untypische und anrührende Weise, dass der Leser am Ende des Buches aufgewühlt und  ungläubig zurückbleibt.

Ob dies jedermanns Geschmack trifft (meinen definitiv ungemein), bleibt ungewiss, garantiert jedoch vergisst niemand die ungewöhnliche Geschichte wieder!!!!

Anmerkung zur Epoche Romatik (1795-1848):
Die Epoche der Romantik wird von Sehnsuchtsmotiven und den Themen Liebe und Natur geprägt. Die Grundthemen der Romantik sind Gefühle, Individualität, Leidenschaft und die Seele als Gegesatz zur vernuftbetonten Aufklärung.
Zudem haben die deutschen Romantiker (besonders die Gebrüder Grimm) die Wissenschaft der deutschsprachigen Philologie (die Sprach- und Literaturwissenschaft) gegründet, da sie sich für volkstümliche Literatur und Kultur interessierten und erklären wollten, wie sich die deutsche Sprache seit den frühsten Zeiten entwickelt hat.
Die wichtigsten Vetrter sind E.T.A. Hoffmann, Joseph von Eichendorff, Novalis, Brentano und Heinrich von Kleist. Deutlich geprägt von der Romatik ist jedoch auch das Werk späterer Dichter wie beispielsweise Hermann Hesse.

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