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Fürchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer von April TucholkeApril Genevieve Tucholke
Klappenbroschur: 384 Seiten
Verlag: cbt
Originaltitel: Between the Devil and the Deep Blue Sea
Erscheinungstermin: 9. September 2013
ISBN: 978-3-570-30884-4

Dass April Genevieve Tucholkes Roman „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ an einem Septembertag erschienen ist, kann kein Zufall sein. Niemals zuvor habe ich ein Buch gelesen, dass so sehr zu einer Jahreszeit passt wie dieses. Die Autorin zaubert mit Worten eine Welt, die in so üppigen und intensiven Farben strahlt, welche gewöhnlich nur der Herbst hervorbringen kann. Doch jenseits dieser verschwenderischen Schönheit wittert der Leser Gefahr, spürt die drohende Düsternis, die unzweifelhaft folgt, wenn das bunte Laub faulig wird und der Winter erbarmungslos die Herrschaft übernimmt. Kurzum,  eine düstere, aber romantische Mischung: „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ ist das perfekte Buch für den Herbst.

Genauso morbide wie gleichsam leuchtend ist die Beziehung zwischen den Protagonisten, der naiven Violet und dem geheimnisvollen River: Diese hat beschlossen, sich unsterblich in den Teufel zu verlieben, in einen minderjährigen Jungen, der sich wie ein Panter bewegt und ganz offensichtlich ein notorischer Lügner ist – zu dem sie aber schon nach wenigen Stunden eine unerklärliche Nähe empfindet. Er, der Teufel, nistet sich nicht nur ein in Violets Herz, sondern auch in das Gästehaus des halb verfallenen Herrschaftssitzes, den sie und ihr Zwillingsbruder schon seit Monaten alleine bewohnen. Und fast zeitgleich mit seinem Erscheinen passiert Unfassbares. In dem verschlafenen und beschaulichen Nest ziehen Mord und Totschlag ein. Als sich die mysteriösen Ergebnisse häufen und die Albträume der Bewohner wahr zu werden drohen, keimt in Violet eine furchtbare Ahnung.  Welche Gefahr geht tatsächlich von dem vermeintlich harmlosen Untermieter aus, der ihren Geist und ihre Gefühle mehr und mehr in Besitz zu nehmen scheint?

„Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ ist ein Roman, der harmlos und träge daherkommt, unter der Oberfläche aber gefährlich brodelt. Ein typischer Mystery-Thriller für Jugendliche könnte man meinen: Die Figuren, die im Vordergrund stehen, sind allesamt Heranwachsende. Außergewöhnlich selbstständig, aber dennoch minderjährig. Der Schauplatz selbst ist märchenhaft, fast romantisch, denkt man an die eindrucksvolle Mischung aus herrschaftlichem Luxus, Verfall und exzentrischem Künstlertum. Nicht zu vergessen die stürmische, atemberaubende, fast gewaltige Natur, die während der Geschichte immerzu präsent ist. Dennoch trügt dieser Schein! Der Leser erlebt in „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“, wie gängige Moralvorstellungen, die man aus Jugendromanen kennt, auf den Kopf gestellt werden. Weder die märchenhafte Einteilung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß funktioniert bei Tucholke. Noch gibt es eine klares, erkennbares Ziel, auf das der Roman zusteuert, einen eindeutigen Gegner, ein bekanntes Muster.

Stattdessen geht die Geschichte bizarre, unvorhersehbare Wege. Langsam plätschert sie dahin – man schwimmt mit der Protagonistin beinahe durch vermeintlich harmlose Szenen, ohne zu bemerken, dass das Böse mehr und mehr das Geschehen bestimmt. Und genau das ist es, was den Leser tatsächlich schaudern lässt.

Genevieve Tucholkes Roman „Fürchte nicht das tiefe blaue Meer“ hat mich fasziniert, denn mit ihrem Debüt hat die Autorin ein Genre bedient, dass längst in Vergessenheit geraten ist. Ihr Buch ist aus meiner Sicht das beste Beispiel für einen „Schauerroman“, ganz der Epoche der Romantik verpflichtet.

Leuchtende und wispernde Worte sind der Stoff, aus dem hier Kapitel gesponnen wurden, die allesamt ein eigenes kleines Kunstwerk darstellen – und welches den Leser aufgrund der bereits erwähnten sprühenden, üppigen Sprache und vor allem wegen der unverbrauchten Metaphorik staunen lässt. Zusammen ergeben diese Szenen ein exzentrisches Gesamtkunstwerk, hinter dem sich eine stürmische und gleichsam düstere, eine morbide und manchmal abstoßende, eine gefährliche, aber dennoch schmetterlingszarte Geschichte verbirgt.

Mir war es ein tiefes Bedürfnis eine Rezension über dieses ungewöhnliche Buch zu schreiben, das gewiss die Geister scheiden wird. Denn sicherlich könnte man kritisieren, dass die moralischen Gesichtspunkte, nach denen die Figuren handeln, höchst zweifelhaft sind, Grausamkeiten und Verbrechen verharmlost werden und das ganze Figurenkonstrukt seltsam unrealistisch ist, geben sich hier die Minderjährigen doch allesamt merkwürdig selbstständig – vollkommen unabhängig von jeglicher Erwachsenen Autorität.

Kurzum, entweder man lehnt diesen Roman von Grund auf ab, oder man lässt sich vom Teufel verführen. Ich habe entschlossen, mich verführen zu lassen. Und habe es nicht bereut!

Leseprobe: Fürchte nicht das tiefe blaue Meer

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