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Die Stadt der verschwundenen Kinder

Caragh O ‚ Brien
Gebundene Ausgabe:
464 Seiten
Verlag:
Heyne Verlag
Erscheinungsdatum: 24. Januar 2011
ISBN: 978-3453528000
Originaltitel:
 Birthmarked

Ich habe das Bild einer Gebärenden vor Augen, schweißüberströmt in einer Hütte liegend. Sie ist unendlich erschöpft, doch gleich hat sie es geschafft. Nur noch die letzen Wehen, dann der erlösende Schrei des Babys. Dann ein neues Bild. Gaia, die Hebamme mit dem kleinen Bündel im Arm, das Klappern ihrer Sohlen in den Gassen. Schnell, schneller, nur noch 10 Minuten. Sie hastet dahin, fliegt der Mauer entgegen, das neue Leben geborgen an ihrem Herzen. Der Mond geht auf, schon sieht sie die Lichter der Stadt. Die Minuten verrinnen, kaum noch Zeit. Doch dann erreicht sie die Wache. Ein Blick auf die Uhr. Das warme Bündel wandert in offene Arme, ein Augenblick, dann schließt sich das Tor.

So fulminant erlebt man den Einstieg des Romans „Die Stadt der verschwundenen Kinder“ – hier mit wenigen Worten aus meiner Erinnerung zusammengefasst. Nach diesem verheißungsvollem Auftakt war ich in Hochstimmung und äußert gespannt, ob auch der weitere Teil der Geschichte die hohe Messlatte halten kann – Kurzum: Der erste Roman aus Caragh O´Briens Jugendbuchtriologie hat meine Erwartungen übertroffen.  Selten  hat man ein Buch in der Hand, bei dem schon die ersten Zeilen nachklingen und im Handumdrehen für Kopfkino der Extraklasse sorgen. Der Leser ist von Beginn an mitten im Geschehen, ahnt, dass sich bereits in der eben geschilderten ersten Szene Bedeutendes ereignet. Gleichzeitig ist er jedoch verunsichert und liest wachsam weiter. Man kann sich nur schwer verorten, glaubt sich im Mittelalter. Doch weit gefehlt! Erst im Kontext lassen sich Zeit und Raum erschließen.

Die junge Hebamme Gaia lebt zwar in mittelalterlichen Verhältnissen, doch in ferner Zukunft. Aufgrund von Klimakatastrophen hat sich die Welt verändert. Kaum Vegetation, die Rohstoffe sind denkbar knapp, fließendes Wasser und Strom ist Luxus einer längst vergangenen Zeit. Zumindest für die Bewohner außerhalb der Mauern. Die Stadt selbst ist als Enklave organsiert: Abgeschlossen und auf einem vermeintlich höheren Entwicklungsstand. Doch trotzdem sind die privilegierten Stadtbewohner auf die Neugeborenen außerhalb der Mauer angewiesen. Jeden Monat müssen Gaia und ihre Mutter auf Anordnung der Enklave die ersten drei Neugeborenen abgeben – innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne von ein bisschen mehr als einer Stunde nach der jeweiligen Geburt. Gaias Mutter erfüllt diese Pflicht gewissenhaft – auch wenn es nicht einfach ist, den Müttern ihre Kinder zu entreißen. Doch trotzdem werden Gaias Eltern plötzlich ohne Vorwarnung verhaftet und in die Enklave verschleppt. Ab diesem Zeitpunkt beginnt Gaias  rasante und abenteuerliche Suche nach ihren Eltern, bei der sie mehr als einmal nur knapp dem Tod entrinnt. Doch um ihre Eltern zu befreien, muss sie den brisanten Geheimnissen auf die Spur kommen, die ihre Mutter mit allen Mitteln vor der Enklave zu verhüten versucht…

Die Stadt der verwunschenen Kinder hat alles, was sich der passionierte Dystopie-Leser wünscht: Einen spannungsgeladenen Plot und natürlich eine Protagonistin, die in einer überkommenen und sich entfremdeten Gesellschaft mit all ihren Kräften gegen die sozialen Repressionen und für ein letztes bisschen Menschlichkeit kämpft – Das Leben zuerst! Der Leser verfolgt außer Atem jeden Schritt Gaias und erlebt dabei eine Ausnahme-Heldin. Wie üblich eine Schönheit? Nein, O´Brien sei Dank lesen wir endlich einmal, dass man nicht perfekt sein muss – in Gaias Fall durch ein vernarbtes Gesicht entstellt – um auf der Jugendbuchbühne die Hauptrolle zu ergattern und – ein Herz zu erobern. Denn natürlich gehört zu einer guten Geschichte  auch ein Hauch Romantik.

Caragh O´ Briens Roman „Die Stadt der verschwundenen Kinder“ ist das vielleicht beste Jugendbuch, das ich seit Langem gelesen habe. Ich freue mich auf jeden Satz des Nachfolgeromans „Das Land der verlorenen Träume“ !

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Rezension „Das Land der verlorenen Träume
Teil 2 von Caragh O’ Briens Trilogie

 

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