Schlagwort-Archiv: Rezension Seelenkuss

Seelenkuss

Seelenkuss von Lynn RavenLynn Raven
Kindle Edition
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 577 Seiten
Erscheinungstermin: 6. Dezember 2013
ISBN: 978-3-570-16295-8
Verlag: cbt

Atemlos bin ich angekommen am Ende dieses Buches, muss mich zwingen durchzuatmen, mich zu beruhigen und zu entspannen nach diesem rasenden Ritt durch die nebelverhangenen, dunklen und gleichzeitig so leuchtenden und lebendigen Welten, die Lynn Raven mit Buchstaben geschaffen hat.

Ich bin mit großen Erwartungen an diesen Roman herangegangen, hatte ihn vorbestellt und habe noch am gleichen Abend, nachdem er auf meinen Kindle übertragen war, angefangen zu lesen. Schon allzu lange habe ich auf einen neuen High-Fantasy-Roman aus der Feder Lynn Ravens gewartet, waren für mich ihre Urban-Fantasy Romane wie „Hexenfluch“ eher ein unbefriedigendes Zwischenspiel. Und nun, nach nur wenigen glühenden Lesestunden, in denen ich die Seiten regelrecht verschlungen habe, weiß ich eins – dies ist endlich wieder ein Stoff, mit dem Lynn Raven dem gerecht wird, was sie vor Jahren in „Der Kuss des Kjer“ geschaffen hat, dies ist High-Fantasy vom Feinsten.

Dennoch kann man „Der Kuss des Kjer“ und „Seelenkuss“ nicht wirklich vergleichen. Ersterer war in meinen Augen vor allem eine abenteuerliche Fantasy-Liebesgeschichte, das ist ist Lynn Ravens Neuerscheinung nicht.

In „Seelenkuss“ hat die Autorin eine unvergleichliche, komplexe und bis ins letzte Detail ausgearbeitet Fantasy-Welt erschaffen, die mich immer wieder an den Kosmos von „Herr der Ringe“ denken ließ. Hier unternimmt der Leser nicht nur einen lockere, vergnügliche Tagesreise, in die man sich ganz nach Belieben wieder ein- und ausklinken kann – nein. Dieser Roman verlangt einem die volle Aufmerksamkeit ab, belohnt dafür mit einem absolut ausgefeilten Fantasy-Universum: Da sind nicht nur die verschiedensten Völker, die detailverliebt beschrieben werden – die Jarhaal, die Korun, die Reiter-Krieger der Isarden, um nur einige wenige zu nennen – da sind Zauberer, Hexen, Seelenklingen, Nekromanten, stürmische Meere, tränende Wälder, zerklüftete Riffe, geschäftige Städte. Die Autorin hat ihren Roman mit einer Kreation an Tieren und Pflanzen belebt – die Cay Adesh mit ihrem Federschweif, die Sonnenfische, die Sisraweiden und Cinjantannen und und und, und hat mit ihren Neologismen, Legenden und Mythen ein ganz eigenes Leben geschaffen.

Vor allem aber sind da die Protagonisten, der namenlose Jarhaal, mit den Edelsteintätowierungen und den silbernen Dämonenaugen, und Darejan, die Königstochter der Korun, die sich auf einen Gewaltmarsch begeben, auf eine Flucht vor dem Bösen, den Legionen der Seelenlosen, auf der der Leser das Grauen kennenlernt. Ich höre noch immer die Stimmen der Verfolger, das Kläffen der Hunde, das Rascheln des Schilfgrases. Spüre die Dornenfesseln an meinen Händen, die ewig klammen und nassen Füße und vor allem immer wieder die Furcht, „die auf unzähligen dünnen Beinen durch die Adern stakst“. Darejan und der „Verrückte“, so nennt sie ihren Begleiter, der an seinem Gedächtnisverlust zu verzweifeln droht, kämpfen Seite um Seite gegen einen mächtigen Zauberer und das pure Grauen, gegen Söldner und gegen das Vergessen, gegen Feinde im Diesseits und Gefahren im Jenseits und vor allem auch gegeneinander.

Denn Zweifel, Misstrauen und Hass gegenüber Darejan, gar der Verdacht des Mordes ist es, der die wenigen Erinnerungssplitter des gefolterten und tief verzweifelten Jarhaal beherrschen. Können sie es trotzdem gemeinsam schaffen, dem Schmerz und dem Horror zu trotzen und zusammen den Untergang ihrer Welt verhindern?

Aber wo ist die Liebe geblieben in dieser Rezension? – Das könnte man sich an dieser Stelle zurecht fragen. Nun, die Liebe ist in Lynn Ravens „Seelenkuss“ wie Darejans Magie, also „wie ein schwaches Glitzern in der Tiefe des Brunnens“. Manchmal taucht sie kurz auf unter der Decke der Kälte, der Verzweiflung, des Schluchzens und des Schmerzes. Doch sie ist schwach und gewinnt nur langsam an Kraft. Und meiner Meinung nach bleibt sie auch am Ende ein Kompromiss. Dennoch – auch wenn sie kraftlos und flackernd ist und nur selten aufscheint, hält man über Kapitel hinweg an ihr fest – ist doch der kleinste Funke Gefühl im ewigen Dunkel wie ein Leuchtfeuer.

Dies sollte diejenigen, die sich nach mehr Romantik sehen, aber nicht davon abhalten, die atemberaubend spannende Geschichte um Darejan und den Jahaal zu lesen. Für Liebhaber der High-Fantasy ist sie ein Muss.

Leseprobe – Lynn Raven: Seelenkuss
Scriba-Tipp: Der ctb-Verlag bietet ein Personen-, Ort- und Begriffsverzeichnis für Seelenkuss an

VN:F [1.9.22_1171]
Rating: 5.0/5 (3 votes cast)