Das geheime Prinzip der Liebe

Héléne Grémillon
Verlag:
Hoffmann und Campe
Erscheinungstermin: 22. Februar 2012
Gebundene Ausgabe:
255 Seiten
ISBN:
978-3-455-40096-0
Originaltitel:
 Le confident

Stille Wasser sind tief – diese Volksweisheit kennt wohl jeder. Man denkt dabei an einen Menschen – oftmals ruhig und zurückhaltend – den man glaubt, schnell einordnen zu können. Doch beim näheren Hinsehen merkt man, dass man einer Fehleinschätzung unterlegen ist. Genauso ging es mir mit Hélène Grémillons Roman „Das geheime Prinzip der Liebe“. Als ich das ansprechende Cover und den Titel gelesen habe, vermutete ich, einen Liebesroman in den Händen zu halten. Keine Schnulze, das war klar, sondern in bekannt französischer Manier eine tragisch-schicksalshafte Erzählung, sprachlich souverän und ironisch. Selten habe ich mich so grundlegend getäuscht.

„Das geheime Prinzip der Liebe“ erzählt die Geschichte  der schwangeren Camille, die nach dem Tod ihrer Mutter mysteriöse Briefe von einem Unbekannten erhält. Er schreibt darin vor der Kulisse des beginnenden 2. Weltkriegs von seiner bedingungslosen Liebe zu einer jungen Malerin. Diese wiederum lässt sich seinen Schilderungen zufolge auf eine diabolische Abmachung mit ihrer unfruchtbaren Gönnerin ein und will ihr ein Kind schenken. Diese wahnwitzige Idee löst eine zerstörerische Kettenreaktion aus und beeinflusst das Schicksal aller im Roman beteiligten Personen, seien es die sorgenden Eltern der Schwangeren, die unschuldige Dienerin der Gönnerin, oder der liebende Autor der mysteriösen Briefe. Und selbst Camille ergreift ein unvorstellbarerer Verdacht: Ist auch sie Teil dieser düsteren Geheimnisse?

„Das geheime Prinzip der  Liebe“ ist aus meiner Sicht kein Liebesroman, sondern vielmehr ein Psychogramm: Der Roman zeigt auf, welche unvorstellbaren Abgründe in Menschen schlummern, wie nachhaltig individuelle Entscheidungen das gesamte Umfeld beeinflussen und welche unaufhaltsamen Kettenreaktionen damit ausgelöst werden. Hélène Grémillon spielt dabei meisterhaft und mit einer bedrückenden Eindringlichkeit mit dem Leitmotiv der Ambivalenz: Denn ob „Schuld und Sühne“, „Glück und Unglück“, „Opfer und Täter“, „Liebe und Hass“ – Grémillon führt unmissverständlich vor Augen, dass Opfer im Nu zu Tätern werden können und dass aus dem Glück des einen das Unglück des anderen erwachsen kann. Und manchmal bedeutet das eigene Glück gleichzeitig das eigene Verderben… Kurzum, sie beschreibt die zerstörerische Kraft der Liebe.

Ambivalent ist auch die Sprache Grémillons: einerseits wunderbar poetisch, jedoch auffallend schnörkellos, fast schlicht. Der Roman beginnt zart, fast zerbrechlich, später wird er rasant und bedrückend: Der Leser erlebt eine Achterbahn der Gefühle. Mehrmals musste ich durchatmen, das Gelesene sich setzen lassen. Fast wie eine Ertrinkende fühlte ich mich ab Mitte des Buches, hineingezogen in einen Sog- in einen sich immer stärker verdichtenden Alptraum – aus dem es jedoch kein Entrinnen gibt. Denn wie im Wahn muss man weiterlesen, Stück für Stück jedes noch so unbarmherzige Geheimnis lüften, bis man am Ende angekommen ist, fassungslos, ungläubig, voller Entsetzen, aber auch beglückt und erleichtert. Denn man weiß eins: Hélène Gémillons Debüt-Roman „Das geheime Prinzip der Liebe“ ist ein Meisterwerk: düster, unvorhersehbar, eindringlich, berührend!

Ausdrücklich gelobt sei Claudia Steinitz, die den Roman aus dem Französischen übersetzt hat: Sie hat genau die richtigen Worte gefunden, um die poetische Sprache Grémillons auch im Deutschen klingen zu lassen wie ein fein gestimmtes Instrument!

Mein Dank gilt dem Hoffmann und Campe Verlag, der mir als Teilnehmerin der Leserunde bei Lovelybooks, das Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat!

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