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Zwei_an_einem_Tag_Nicolls

Zwei an einem Tag

David Nicolls
Taschenbuch:
544 Seiten
Verlag:
Heyne
Erscheinungstermin: 14. März 2011
ISBN:
3453811844
Originaltitel:
 One Day

Es gibt Bücher, bei denen man schon nach den ersten Seiten erahnt, dass man eines dieser seltenen Exemplare gefunden hat, das dir mit jedem Wort ein Versprechen ins Ohr flüstert, dich lockt und deine Gier entfacht, so dass du weißt, dass in den nächsten Tagen nichts anderes zählen wird als diese eine Geschichte. „Zwei an einem Tag“ von David Nicolls ist so ein Buch. Schon nach dem ersten Kapitel war ich überrascht, aufgeregt und in Vorfreude auf das, was mich erwartet. In der Mitte habe ich das Buch geliebt, war aufgekratzt und ungläubig. Am Ende war mir klar, dass es zu den wenigen seiner Art gehören wird, an die ich mich auch nach Jahren noch gut und gerne erinnern werde und wo ich in Gedanken in sekundenschnelle wieder diese ganz besondere und eigene Gefühls-Note auferstehen lassen kann – ähnlich wie das Bouquet eines guten Weines.

Der Plot der Geschichte ist schnell erzählt: Emma und Dexter, beide Studenten, kommen zufällig am Abend ihrer Abschlussfeier ins Gespräch und verbringen die Nacht miteinander.  Dann verlieren sich ihre Wege, schlagen unterschiedliche Richtungen ein. Dennoch verlieren sie sich nicht ganz aus den Augen. Über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg erhält der Leser immer am Tag ihres Kennenlernens Einblick in das Leben sowie die wechselseitigen Verwicklungen von Emma und Dexter.

Meiner Meinung nach ist es aber nicht der Plot, der das Buch zu dem macht, was es ist, sondern die Art, wie David Nicolls Geschichten erzählt: im Vordergrund steht nämlich kein handlungsreiches uns spannungsgeladenes Geschehen, sondern die Ausformung und Entwicklung seiner Charaktere, die er 20 Jahre lang begleitet. Zum Staunen hat mich bereits in der Schlüsselszene, dem ersten Kapitel, das Beobachterauge des Autors gebracht, wenn er seine Figuren zum ersten Mal beschreibt: Die Spitze von Emmas hübscher kleiner Nase „glänzte leicht fettig“, heißt es da und dass sie die ungeschminkten, himbeerroten Lippen beim Lächeln fest zusammenpresse. Dies – so vermutet Dexter, als er sie betrachtet – vermittle den Eindruck als unterdrücke sie ein Lachen oder irgendeinen tollen Witz und dies ist es auch, was ihn bleiben lässt in ihrem Bett an jenem besagtem Abend. Für mich bringt diese Sequenz auf den Punkt, was den besonderen Zauber des Romans ausmacht: Nicolls setzt auf das Unscheinbare, inszeniert das Unperfekte, überrascht mit dem Unerwarteten, denn wo sonst wäre es möglich, eine kleine fettige Nasenspitze zärtlich ins Rampenlicht zu rücken. Auch im weiteren Verlauf des Buches erhascht der Leser immer wieder gnadenlos unkonventionelle Blicke auf seine Protagonisten. Nicolls zeichnet beide mit all ihren Stärken uns Schwächen, mal liebenswürdig, mal weniger sympathisch, aber durchgängig nachvollziehbar, echt, spürbar.

Besonders überrascht hat mich dabei die Fähigkeit des Autors, einen weiblichen Charakter völlig glaubhaft darzustellen. Immer wieder habe ich mich dabei erwischt, dass ich mich mit Emmas Handlungen und Gefühlen identifizieren konnte, ich sie verstehen konnte und das, obwohl ein Mann die Entwicklung dieser Figur angelegt hat. Dies spricht wiederum für die besondere Beobachtungsgabe Nicolls: Er hat das Gesamtbild vor Augen, stellt aber die Dinge, die gewöhnlich nicht auffallen in den Mittelpunkt, die kleinen Nebensächlichkeiten, die aber eine Persönlichkeit ausmachen.

Mehr will ich nicht verraten –nur eins– der Leser, egal ob 20 oder 40, wird diese Figuren bis zum Schluss lieben und das Buch am Ende der letzten Seite fassungslos, aber auch glücklich schließen.

Kurzum: Zwei an einem Tag ist für mich die Entdeckung des Jahres 2011!

Völlig abraten würde ich jedoch von der aktuellen Verfilmung mit Anne Hathaway. Ich bin zufällig darauf gestoßen und – wie soll man sagen – beruhigt, dass es scheinbar unmöglich ist, literarischen Zwischentöne auf die Leinwand zu bringen!

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