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scriba-Autor des Monats März

Péter Nádas: Schlussstein des Romans des 2o. Jahrhunderts?

18 Jahre Arbeit stecken in seinem gerade eben in deutscher Übersetzung erschienenen Opus Magnum, gar Opus Maximum, das von der Literaturkritik bereits als „Schlussstein des Romans des 20. Jahrhunderts“ und „europäisches Ereignis“ gefeiert wird. Seit Jahren gilt er als heißer Anwärter auf den Literaturnobelpreis, zahlreiche Auszeichnungen hat er entgegennehmen dürfen und die Übersetzerin seines jüngsten Werkes Christina Viragh ist für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung nominiert.

Das ist auch für scriba Grund genug, Péter Nádas zum Autor des Monats zu küren.

Die der deutschen Fassung ganze 1724 Seiten starken „Parallelgeschichten“ beginnen wie ein Kriminalroman mit einem Tod. Ein Mann wird in Berlin im denkwürdigen Jahr 1989 ermordet aufgefunden. Von hier aus überblickt Nádas anhand der Geschichte einer Budapester Familie ein ganzes Jahrhundert.

Bei Erscheinen des Buches in Ungarn 2005 sagte Nádas die „zwanghafte geometrische Ordnung“ die seinen Geschichten zugrunde liege, sei der schwache Versuch, „des riesigen Durcheinanders Herr zu werden“. Das „Durcheinander“ ist das Leben selbst. Er entwirrt das Chaos jedoch nicht, dagegen hat er sich bewusst entschieden, nein, er zeigt es. Er schafft eine Form, die das Chaos ausdrücken kann und distanziert sich von Geschichten, die einen Anfang und ein Ende haben, von, wie er im Interview mit der Zeitschrift „Cicero“ sagt, „schulmeisterlichen“ Romanen „in denen die Figuren geboren werden, heiraten, ihre ehelichen Konflikte haben und sterben, als ob dies ein kausaler Zusammenhang wäre“ denn dies, so Nádas, sei „todlangweilig“. Und er wollte sich bei der 18 Jahre währenden Arbeit an seinen Parallelgeschichten eben nicht langweilen. Die Literaturkritik ist sich jedenfalls einig, dass auch die Lektüre bereichert. Laut der Jury der Leipziger Buchmesse ist auch die Sprache des Romans etwas ganz Besonderes: Christina Viragh habe „eine atmosphärisch sehr dichte und genaue, vom Düsteren ins Helle schwingende Sprache gefunden.“

Schwankungen vom Dunklen ins Licht prägen auch das Leben des Autors. Geboren 1942 in Budapest flieht die Mutter, Jüdin und kommunistische Aktivistin, als die Pfeilkreuzler 1944 die Macht in Ungarn übernehmen mit Peter nach Novi Sad. Kurz vor der Schlacht um Budapest kehren sie jedoch wieder zurück. Die Kämpfe überleben sie in der Wohnung von Péters Onkel, dem Journalisten Pál Aranyossi. Obwohl die Eltern in der kommunistischen Resistance in Ungarn tätig waren, lassen sie die Söhne Péter und Pál calvinistisch taufen. Der junge Péter Nádas steht denn auch bald mit Gott alleine da. Als er 13 Jahre alt ist, erkrankt seine Mutter schwer und stirbt. Der Vater, Abteilungsleiter in einem Ministerium, wird 1958 der Untreue angeklagt und inhaftiert. Als er kurz darauf wieder freigelassen und von allen Punkten freigesprochen wird, begeht László Nádas Selbstmord. Péter ist also gerade 16 Jahre alt, als er Vollwaise wird. Er und sein Bruder kommen in die Obhut ihrer Tante. Nádas bricht in diesem Jahr das Gymnasium ab, studiert kurze Zeit Chemie und beginnt eine Ausbildung als Journalist und Fotograf. Einige Jahre ist er für eine Budapester Tageszeitung tätig. Seine Berichterstattung gerät mit der Zeit immer stärker in Konflikt mit den offiziellen Leitlinien. So zieht er sich zusammen mit seiner Frau 1968 aufs Land zurück und widmet sich primär dem Schreiben. Auch hier hat er seine Probleme mit dem Regime: Das Erscheinen seines ersten Romans „Familiengeschichten“ – übrigens auch ein Mammutwerk mit 1300 Seiten – wurde von der ungarischen Zensur bis 1977 verhindert. Leitmotiv dieses, wie auch der meisten Folgewerke Nádas‘ ist die Auseinandersetzung mit der Herrschaft des Kommunismus und Nazismus. Anfang der achtziger Jahre verbringt Nádas auf Einladung des DAAD ein Jahr in Berlin und auch in den Jahren davor war sein Bezug zu Deutschland recht stark. Er verbringt immer wieder längere Zeit hier.

1993 erlebt Péter Nádas einen der wohl wichtigsten Momente in seinem Leben. Auf offener Straße erleidet er in Budapest einen Herzinfarkt. Er überlebt und beschreibt seine Nahtod-Erfahrung im Buch „Der eigene Tod“. „Der Tod“, sagt Nádas in einem Interview, „war das schönste Erlebnis, das ich im Leben hatte.“

Wir freuen uns jedoch, dass Péter Nádas dem Tod von der Schippe gesprungen ist, denn sein Werk ist in jedem Fall eine Bereicherung. Auch wenn gängige Lesekonventionen seine Sache nicht sind, lesen sich seine Werke leicht und sein Stil ist stets klar und durchdringend.

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