Alle Artikel von Irma

Ein ganzes halbes Jahr

Jojo Moyes
E-Book:
Kindle Edition – 12,99 Euro
Verlag:
rororo
Erscheinungsdatum: 21. März 2013
Sprache:
Deutsch
ISBN-13: 978-3499267031
Originaltitel:
 Me Before You

Mark Twain sagte einmal – so heißt es – dass der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen derselbe Unterschied sei, wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen. Ich habe dieses Zitat lange nicht wirklich verstanden. Doch jetzt tu ich es. Ich verstehe seine Worte, seit ich Jojo Moyes Roman „Ein ganzes halbes Jahr“ gelesen habe. Ihre Geschichte hat mich wie ein Blitz getroffen, ihre einfachen, aber umso treffenderen Worte hallen wie Donnerschläge in meinem Kopf nach und haben mir die Augen geöffnet auf ein sensibles und stilles Thema, vor dem ich bisher gut und gerne meine Ohren verschlossen habe.

Genauso geht es der schusseligen und liebenswürdigen Louisa Clark, die ein denkbar unspektakuläres Leben in einer englischen Kleinstadt führt. Louisa weiß weder ob sie ihren von Körperfettwerten besessenen Freund eigentlich liebt, noch was sie überhaupt vom Leben will, bis die Suche nach einem neuen Job sie zufällig an Will Traynor geraten lässt: Einen C5/C6 Tetraplegiker, von der oberen Brust ab gelähmt, ein Mann mit einem leeren Blick, der sich fest entschlossen hat nicht mehr dem energiegeladenen und lebensbejahenden Senkrechtstarter zu ähneln, der er vor seinem Unfall mal war.

Dieser Roman, der mit Louisas Arbeit als Pflegekraft und Aufpasserin  für den „von seiner Krankheit ermatteten und vom Leben ermüdeten“ Will beginnt, ist die berührende Geschichte zweier Menschen, die sich unter normalen Umständen niemals begegnet wären, die unterschiedlicher nicht sein könnten, doch deren Seelen sich auf unergründliche Weise berühren. Die Geschichte von zwei Menschen, die ein stilles Glück in einem Meer aus Schmerz erleben, die sich herausfordern, trösten und heilen und dennoch lernen müssen Entscheidungen aus Liebe zu akzeptieren, auch wenn sich alles in einem dagegen sträubt.

Nachhaltig beeindruckt hat mich aber nicht nur das Beziehungsgeflecht zwischen dem „nervenden, launenhaften, schlauen, humorvollen Will, der den Professor Higgins spielen wollte“ während Lou die Eliza Doolittle gab, sondern die schonungslose und befreiend mehrdimensionale Darstellung all der unvorstellbaren Herausforderungen, mit denen Tetraplegiker täglich zu kämpfen haben.  Da ist nicht nur die Rede von fehlender Bewegungsfreiheit, man liest von einer „unendlichen Serie von Demütigungen und Gesundheitsproblemen, von Risiken und Schmerzen“, von Ängsten und falschem Mitleid. Man erfährt, dass ein solcher Unfall nicht nur das Leben des Betroffenen ändert, sondern ganze Familien in ihren Grundfesten wanken lässt, man liest von der mehr als wichtigen Arbeit von Pflegern wie dem unerschütterlichen Nathan, man liest ebenso von einem seltenen Lächeln, so wertvoll wie ein ganzes Königreich, und vor allem liest man von Sinnlichkeit, da wo man sie nie erwartet hätte!

Denn gerade diese Sinnlichkeit, die aufkommt, wenn Louisa Wills rosafarbene Nägel betrachtet, die nur mehr von anderen geschnitten werden können, die aufkommt beim männlichen Geruch seiner Haut oder bei der Berührung seiner Finger, lässt sich nicht ignorieren und darüber hinwegtäuschen, dass jenseits des Rollstuhls immer noch ein Mensch mit Gefühlen und Bedürfnissen sitzt.

Mir fiele noch so viel mehr ein, was es über dieses stille, handlungsarme (in Bezug auf die wenigen Ortswechsel, was die Geschichte in Anbetracht von Wills Bewegungsunfähigkeit nur noch eindringlicher macht), aber dafür umso tiefere Buch zu sagen gibt, doch nur noch eins: Auch wenn bei Jojo Moyes Roman „Ein ganzes halbes Jahr“ kein Auge trocken bleibt, ist die Geschichte von Will und Lou absolut lebensbejahend – mehr noch: eine Laudatio darauf, nicht im Stillstand zu verharren, sich täglich aufs neue herauszufordern und hoch erhobenen Hauptes ein „unerschrockenes Leben“ zu führen – denn es ist zu wertvoll, um nur eine Sekunde zu vergeuden!

Dieses eindringliche Buch über den unerschrockenen Will und die leuchtende Lou hat mich wahrhaft bereichert!

Leseprobe: Ein ganzes halbes Jahr

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Osteuropa auf der Leipziger Buchmesse 2013

Am Donnerstag wurde das Programm der diesjährigen Leipziger Buchmesse veröffentlicht, die vom 14. bis zum 17. März ihre Tore öffnet. Und siehe da! Nachdem im letzten Jahr Südosteuropa bereits im Fokus der Buchmesse stand, kommen auch 2013 Osteuropa-Fans auf ihre Kosten! Neben in Deutschland noch eher unbekannten AutorInnen wie beispielsweise Lindita Arapi aus Albanien, sind Schriftstellergrößen wie der Ungar Péter Esterházy zu Gast in Leipzig.

Hier eine kurze Zusammenstellung einiger meiner persönlichen Höhepunkte:

Techno der Jaguare – Neue Erzählungen aus Georgien
Datum: 14. März, 10.30 Uhr – 11.00 Uhr
Autorinnen:
Ekaterine Togonidze, Tamta Melaschwili, Nino Haratischwili
Aus dem Programm: Nicht nur die sprachliche Kraft und der Erfolg der Autorinnen zeigen, dass Georgien ein Land ist, das literarisch im Aufbruch begriffen ist. In den letzten Jahren hat sich dort eine lebendige und vielstimmige Literatur herausgebildet, die vor allem von jungen Autorinnen bestimmt wird. Mit Lakonie, Scharfsinn und ungeheurer Erzählfreude porträtieren sie Leben und gesellschaftliche Umbrüche in ihrem Land.

Kroatien vor dem EU-Beitritt: Auftakt zum Festival der kroatischen Kultur „Kroatien Kreativ 2013″
Datum: 14. März, 11:00 – 12:00 Uhr
Veranstalter: Traduki
Aus dem Programm: Die Leipziger Buchmesse ist seit Jahren ein Ort, an dem sich nicht nur die kroatische Literatur, sondern auch das Land Kroatien als eine spannende Kulturlandschaft präsentiert. Deshalb hat das Festival-Team „Kroatien Kreativ 2013″ die diesjährige Leipziger Buchmesse gewählt, um hier das bevorstehende kroatische Kulturjahr in Deutschland anzukündigen.

ÜBER GRENZEN SPRECHEN – Internationaler Dramenwettbewerb für Osteuropa des Österreichischen Außenministeriums; UKRAINE 2012
Datum: 14. März, 12:00 – 13.00 Uhr
Aus dem Programm: Der Dramenwettbewerb entstand 2005 aus der Idee heraus, die Situation der unweit von Österreich beheimateten Menschen in Osteuropa besser kennen zu lernen und zwar über ihre zeitgenössischen, künstlerischen Leistungen. Das Projekt entspricht somit einer Einladung zu Gedankenaustausch, Dialog und Begegnung.

Mit Tempo und Esprit erzählt: Junge Autoren aus Ungarn
Datum: 4. März 2013, 13:00 – 14:00 Uhr
AutorInnen:
Zsolt Koppány-Nagy, Ildikó Noémi Nagy
Aus dem Programm: Aus Vancouver über Budapest und Tîrgu Mureṣ nach Stuttgart: Junge Autoren im Gespräch. Lesung und Gespräch mit zwei jungen AutorInnen aus Ungarn.

Dreimal Kindheit im Süden Europas: Romanautorinnen aus Kroatien, Albanien und Montenegro lesen und erzählen
Datum: 14. März 2013, 13:00 – 14:00 Uhr
Autorinnen: Lindita Arapi, Ksenija Popović, Mascha Dabić, Maša Kolanović
Aus dem Programm: Schlüsselmädchen und andere Kinder – Kindheitserfahrungen werden zu beeindruckender Literatur.

Esti
Datum:
14. März 2013 | 13:00 – 13:30 Uhr
Autor: Péter Esterházy
Aus dem Programm: Esterházy stellt auf der Leipziger Buchmesse sein neuen Buch vor. Wie in seinem gefeierten Roman „Harmonia Caelestis“ spielt Péter Esterházy mit der Identität und treibt sein Spiel hier auf die Spitze. Er wird zu Kornél Esti, dem charmantesten Romanhelden der Literatur aus Ungarn, einer Erfindung des großen Schriftstellers Dezsö Kosztolányi.

tranzyt. Literatur aus Polen, der Ukraine und Belarus
Datum: 14. März – 17. März
Themenschwerpunkt der Leipziger Buchmesse 2013: Veranstaltungsübersicht
Aus dem Programm: Die Programmreihe „tranzyt.Literatur aus Polen, der Ukraine und Belarus“ zeigt die literarische Vielfalt entlang der EU-Ostgrenze. Mit dem dreijährigen Programmschwerpunkt folgt die Leipziger Buchmesse weiter ihrer generellen Zielstellung, neue, interessante Autoren aus der Region Mittel- und Osteuropa einem breiteren Publikum vorzustellen und ihre Veröffentlichung bei deutschsprachigen Verlagen zu befördern. Denn alle drei Länder haben eine reiche Literaturszene mit exzellenten Autoren, die es lohnt, einer breiteren Öffentlichkeit hierzulande vorzustellen.

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Ich wünschte, ich könnte dich hassen

Lucy Christopher
Verlag:
Carlsen Verlag; Februar 2011
Taschenbuch:
368 Seiten
Originaltitel: Stolen
ISBN-13:
978-3551520081
Leseprobe

Noch immer klingen die einzelnen Sätze von Lucy Christophers Roman „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“  in meinen Ohren und machen mich sprachlos. Ich bin sprachlos darüber, was ich in den letzten 24 Stunden gelesen, nein, vielmehr gierig in mich aufgesogen habe: Die Geschichte einer Entführung, deren Plot, so schrecklich, so unvorstellbar wie er ist, nur weniger Worte bedarf: Ein junges Mädchen, Gemma,  gerät am Flughafen in die Hände ihres Häschers. Alles ist von langer Hand geplant. Bevor sie sich versieht, strandet sie im australischen Nirgendwo, gerissen aus der ihr bekannten Welt. Dort wo sie nun festgehalten wird gibt es kein Entrinnen, es gibt keine Hoffnung, nur Verzweiflung, karges, tödliches Land und Ty…

Wie kann es also dennoch sein, dass Gemmas Hassgefühle umschlagen in so etwas wie Liebe? Wie kann es sein, dass das todbringende Land ihrer Gefangenschaft sich spürbar wandelt in eine lebendige Oase? Und wie kann es sein, dass der Leser in Ty, Gemmas Entführer, nicht zwingend ein Monster sieht, sondern die Augen richtet auf den gebrochenen, sensiblen Teil seiner Seele? Ich bin wie betäubt von den schmerzhaften Wegen, die diese Geschichte und ihre Protagonisten gehen. Und gleichzeitig bin ich sprachlos, dass ich diese Entwicklung völlig glaubhaft empfinde und jeden ihrer Gedanken verstehen kann.

Aber wie soll ich das in nachvollziehbare Worte fassen?  Wie soll ich eine Rezension über ein Buch schreiben, dass so anders ist, sich so grundlegend von bekannten Mustern unterscheidet, dass man selbst nicht glauben kann, was man da gelesen hat? Wie soll ich dem Leser klar machen, dass „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ein mehr als lesenswertes Buch ist, obwohl es von Dingen erzählt, die sich kein Mensch auf dieser Welt wünscht, die verstörend und furchtbar sind? Wie kann ich ihm vermitteln, dass die Geschichte um Gemma und Ty hart, grausam und traurig, aber gleichzeitig sanft, zart und wunderbar leuchtend ist – sanft wie der Flügelschlag des Nachtfalters in Gemmas Händen, zart wie der kühl die Haut liebkosende Morgen in Sandy Desert, leuchtend wie die Abertausend Sterne über dem einsamen Haus im Nirgendwo, in dem Gemma sich aufgegeben und neu erfinden musste.

Ich bin fassungslos über die Idee, die diesem Buch zugrunde liegt. Über die Geschichte, die Lucy Christopher erzählt, eine Geschichte, die ich mir in den kühnsten Träumen nicht hätte ausdenken können. Ich bin fassungslos darüber, was diese Geschichte mit mir gemacht hat. Ich bin fassungslos, welch unvermutetes Leben, welch unerwartete Schönheit Lucy Christopher dem Leser in der kargen Landschaft der australischen Wüste offenbart.  Ich bin fassungslos, weil ich genau weiß, was krank und falsch ist, und trotzdem spüre, was Gemma spürt und weil sich Böse und Gut vor meinen Augen vermischen. Ich bin fassungslos über das Ende der Geschichte, das gut und richtig war und weil ich mir insgeheim genauso wie Gemma ein anderes Ende hätte vorstellen können. Ich bin fassungslos, was geschriebene Worte auslösen können. Ich bin fassungslos weil ich bunte Farben vor meinen Augen sehe, Kringel, Punkte, bin fassungslos, weil ich wie ein Vogel über Sandy Desert fliege. Ich bin verstört, atemlos, vor allem aber bin ich froh Gemmas und Tys Geschichte gelesen zu haben.

Lieber Leser, ich weiß nicht, ob diese Geschichte das gleiche mit Dir macht, wie mit mir. Aber eins verspreche ich Dir – sie wird Dich berühren!

Zu guter Letzt sei eins gesagt: „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ ist mitnichten ein Jugendbuch. Erwachsene Leser sollen sich nicht davon abhalten lassen, in die Geschichte von Gemmas Entführung einzutauchen.

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Rabenblut drängt

Nikola Hotel
E-Book:
Kindle Edition
Dateigröße:
599 KB
Sprache: Deutsch
ASIN:
B008CQYYQK
Leseprobe: Rabenblut drängt

Manchmal dauert es Wochen, Monate, gar Jahre, bis es wieder passiert: Bis man ein Buch in Händen hält, bei dem man Wort für Wort, Zeile für Zeile, spürt, dass man ein Kleinod aufgetan hat – einen Leseschatz, der vor dem inneren Auge eine Parallelwelt eröffnet, in der man atmet und leidenschaftlich lebt, bis man die letzten Buchstaben in sich aufgesogen hat. „Rabenblut drängt“ von Nikola Hotel gehört zu diesen einzigartigen Büchern.

Nur durch Zufall bin ich auf das E-Book aufmerksam geworden, das für gerade mal  3,99 Euro feilgeboten wird – ein Preis, der einem nahezu lächerlich gering vorkommt, hat man erst einmal bemerkt, welch außergewöhnliches Buch man in Händen hält.

Die Autorin erzählt die Geschichte eines Raben, halb Mensch, halb Tier, auf dem seit Generationen ein Blutfluch lastet. Tief in den urwüchsigen Wäldern des Böhmerwaldes zurückgezogen, versucht der Protagonist Alexej sich und seinen Schwarm zu schützen und dem Schicksal zu trotzen, das den Vätern bereits zum Verhängnis geworden ist – jedoch vergeblich. Als sich die Ereignisse überschlagen, und der Fluch nicht nur den Schwarm, sondern auch das Leben von Isabeau gefährdet, einer jungen Frau, die in Alexej längst begrabene Hoffnungen weckt, muss er sich seinen Widersachern stellen.

Liest man diesen Plot, könnte man denken: Nikola Hotel bedient sich im Auftaktroman ihrer Rabensaga einem altbekannten Erfolgsrezept. Mystische Elemente werden geschickt zu einem Cocktail mit köstlichen Zutaten wie Spannung, Herzschmerz und Liebe gemischt, den jede leidenschaftliche Romantasy-Leserin gierig und nur allzu gerne verschlingt. Nun, mit dieser Einschätzung hat man nicht unrecht: „Rabenblut drängt“ ist mystisch, romantisch, herzzerreißend und höllisch spannend – Die Geschichte um Alexej und Isabeau ist aber noch viel mehr.  Im Gegensatz zum Romantasy-Mainstram hat es Nikola Hotels Geschichte geschafft, mich tief zu berühren.

Ihre Erzählweise hat Töne in mir angeschlagen, die bis heute nachklingen. Schon nach wenigen Seiten hat die bildhafte und lautmalerische Sprache meine Sinne geschärft und so nachhaltig zum Schwingen gebracht, dass ich nicht mehr nur Hotels Worten über ihren atmosphärischen Schauplatz gelauscht habe, sondern selbst knirschend Schritt für Schritt durch den Böhmerwald gewandelt bin. Bei jedem Flügelschlag Alexejs hab ich die „wispernden Winde“ um meine Ohren gespürt und immer wieder Bilder vor mir gesehen – völlig unkonventionell, völlig neu – die mich dazu verleitet haben, innezuhalten und darüber nachzudenken und mich schließlich mit einem Lächeln auf den Lippen wieder eintauchen ließen in diese Welt, die mit Worten geschaffen wurde, aber einen so lebendig fühlen lässt, als wäre man selbst vor Ort.

Dieses völlige Eintauchen in die Geschichte wird jedoch nicht nur durch die bildhaften Naturbeschreibungen möglich, sondern auch durch die Musik. Der Leser lauscht nicht einfach den Klängen beim Spiel Alexejs auf dem Piano: bunt schwirrt vor dem inneren Auge jeder Ton durch die Luft, mal sanft, mal kreischend, bis man sich selbst mehrmals schelten muss, warum man eigentlich – ähnlich wie Isabeau – bis jetzt der klassischen Musik eine Absage erteilt hat.

Jenseits der sprachlichen Finesse sind es aber vor allem die eigensinnigen und authentischen Charaktere, die „Rabenblut drängt“ auszeichnen (und immer wieder zum Schmunzeln bringen): Wer wünscht sich nicht eine solch lebendige Freundin wie Lara? Wen berührt nicht das tollpatschige, aber so herzliche Auftreten von Jaro, dem Raben-Neuling? Wer lässt sich nicht allzugerne anstecken von der sprudelnden Energie von Nikolaus? Und wer ist nicht gebannt von der bedrohlichen Präsenz, die von Sergius ausgeht?

Über „Rabenblut drängt“ gibt es so viel zu sagen, dass es den Rahmen einer Rezension sprengt. Deshalb nur folgendes: Lest dieses bezaubernde Buch, in dem ihr längst vergessenen Worten der Bildungssprache begegnen werdet (zum Beispiel „genant“), in dem ihr Musik atmen werdet  (zum Beispiel von Dvořák , Liszt und Rachmaninov), in dem ihr das wilde, lebendige und leider vielen immer noch so fremde Osteuropa erleben werdet. Lest dieses Buch und spürt, was es bedeutet, wenn einem durch die Brille der Literatur eine sinnliche Welt erschlossen wird. Von Nikola Hotels Rabensaga wird man– so hoffe ich – noch sehr viel mehr hören.

Ich für meinen Teil wähle nun ausschließlich den längeren Weg durch den angrenzenden Park, bei dem mich schon von Weitem das laute „Kroak“ meiner neuen Rabenfreunde begrüßt…

Interview mit der Autorin Nikola Hotel lesen

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Neuerscheinungen: „Dark Destiny“ von Jennifer Benkau und „Der Weg der gefallenen Sterne“ von Caragh O’Brien

Mittlerweile kann man die Tage zählen, bis die Fortsetzungen von Jennifer Benkaus‘ und Caragh O’Briens Jugendromanen erscheinen – zwei Dystopien die ich wärmstens empfehlen kann und ihr auch unbedingt lesen solltet!

Jennifer Benkau hat mit ihrer Dystopie „Dark Canopy“ einen fulminanten Auftakt geliefert. Noch immer läuft mir ein eiskalter Schauer über den Rücken, wenn ich an das Ende des Romans denke! Die große Frage lautet: Haben Joy und Neel eine Zukunft? Überlebt er die Folter „Licht“? Eigentlich unmöglich, wenn man sich das verzweifelte Ende von Dark Canopy in Erinnerung ruft! Doch die Geschichte um Neel und Joy kann noch nicht enden – das sagt mit zumindest mein Bauchgefühl… Denn oftmals – so hoffe ich – entwickeln sich die Dinge anders, als sie scheinen! Im März, wenn Dark Destiny erscheint, werde ich euch hier schnellstmöglich berichten.

Jennifer Benkau: Dark Destiny
Sript 5
Erscheinungsdatum: 18. März 2013
464 Seiten, 15.0 x 22.0 cm
ISBN 978-3-8390-0145-5
Hardcover : 18,95 €

Inhaltsangabe:
Hilflos musste Joy mit ansehen, wie Neél von ihren eigenen Leuten gefangen genommen und gefoltert wurde. Ihre große Liebe, all ihre Hoffnungen und Zukunftspläne zersplittern zu einem Scherbenhaufen, als sie schließlich von Neéls Tod erfährt. Trotz ihrer unendlichen Trauer fasst Joy einen folgenschweren Entschluss: Sie will nicht länger zu Matthials Clan gehören. Also macht sie sich allein und schlecht ausgerüstet auf den Weg durch Bomberland und von feindlichen Clans besetztes Gebiet. Es ist eine Suche nach Antworten: Wie starb Neél? Und warum? Doch es ist auch eine Suche, an deren Ende Hoffnung steht. Hoffnung auf eine zweite Chance. Dark Destiny ist der letzte von zwei Bänden. Der Titel des ersten Bandes lautet Dark Canopy .

Und auch bei Caragh O’Briens Fortsetzung um die Hebamme Gaia wird es spannend. Anders als bei Dark Destiny erscheint mit „Der Weg der gefallenen Sterne“ bereits der letzte Teil der Trilogie! Allerdings ist hier Vorsicht angesagt: Auch wenn ich den ersten Teil „Die Stadt der verschwundenen Kinder“ aufgesogen habe und der zweite Teil „Die Stadt der verschwunden Kinder“ auch durchaus lesenswert war (Allerdings konnte er das hohe Niveau leider nicht halten), bin ich skeptisch, was Teil 3 „Der Weg der gefallenen Sterne“ angeht. Den Rezensionen der englischen Ausgabe „Prized“, die bereits im Oktober 2012 erschienen ist, lässt sich unglaubliches vernehmen: Wird Gaia – so wie die Leser ihren Eindruck schildern – gar selbst zur Despotin? Und was wird aus Leon, ihrem Geliebten? Stimmt es, dass er sein Leben verliert?

Caragh O’Brien: Der Weg der gefallenen Sterne
Erscheinungsdatum: 1. April 2013
Heyne Velag
ISBN-10: 345326743
ISBN-13: 978-3453267435

Inhaltsangabe:

Die junge Gaia Stone ist Hebamme. Doch in einer zerstörten Welt kann auch sie den verlorenen Kindern nicht mehr helfen, und so trifft Gaia eine schwere Entscheidung. Gemeinsam mit einer Gruppe junger Siedler verlässt sie das Ödland, um zur Stadt hinter der Mauer zurückzukehren und um Hilfe zu bitten. Werden sie die gefährliche Reise überstehen? Und wird sich Gaias Hoffnung auf eine bessere Zukunft endlich erfüllen?

Gerade hat Gaia in der Siedlung Sylum eine neue Heimat gefunden, da steht sie schon wieder vor großen Veränderungen. Denn die Menschen von Sylum leiden an einer sonderbaren Krankheit: Sie können den Ort nur um wenige Meilen verlassen, bevor sie lebensgefährliche Schwächeanfälle erleiden. Ein Hinweis in den Aufzeichnungen ihrer Großmutter zeigt Gaia jedoch, wie sie dieser großen Gefahr entfliehen können. Und so begibt sie sich mit einer Gruppe Siedler auf die gefährliche Reise zurück zu dem Ort, dem sie einst entflohen ist – der Enklave, der Stadt hinter der Mauer. Weder die junge Gaia noch ihre Gefährten wissen, was sie dort erwartet …

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Autor des Monats Januar

Lepold von Sacher-Masoch: Von „Venus im Pelz“ zum Masochismus

Leopold von Sacher-Masoch

Unterwerfung und Erniedrigung – zwei Worte, die gemeinhin negativ konnotiert sind, setzten sie doch Gewalt und mangelnde Gleichberechtigung zwischen zwei Personen voraus; zwei Worte die überraschenderweise dennoch Abertausende von Menschen faszinieren, denkt man an den Welterfolg „Fifty Shades of Grey“ von E L Lewis. Denn unbestritten ist die Gleichung „dominanter (und natürlich schöner und reicher) Mann sucht sexuelle Triebbefriedigung in einer Beziehung mit einer vermeintlich devoten Sklavin (natürlich schön und in diesem Fall Jungfrau)“ Grund dafür, dass der knapp 2000 Seiten starke Dreiteiler massenhaft gelesen und bejubelt wird. Die schriftstellerische Leistung von E L Lewis ist es wohl kaum. Das bestätigen die glühenden Leserinnen selbst, wie ein kurzer Blick auf die unzähligen sich im Netz tummelnden Rezensionen zeigt: Von geringem Wortschatz ist da die Rede, immer gleichen Phrasen, ermüdenden Wiederholungen – kurzum, von einer schriftstellerisch ungenügenden Leistung. Doch dennoch können die Leserinnen nicht von Christian Grey, dem Dom und seiner Sub lassen, verzeihen in Anbetracht des delikaten Themas stilistische Einfältigkeit, bis sie atemlos am Ende angekommen und dann auf einmal doch murren über die allzu oberflächliche Lektüre.

Dies alles verwundert, ist doch der Stoff, dem E L Lewis sich bedient nicht neu. Ironischerweise verdankt der Masochismus seinem Namen einem überaus produktiven Schriftsteller, für den die literarische Darstellung gewalterotischer Beziehungen im Gegensatz zu Lewis den Anfang vom Ende seines schriftstellerischen Ruhms bedeutete.

Statue Sacher-Masochs in Lviv, Ukraine

Über 80 Romane und 100 Novellen hat Leopold Ritter Graf von Sacher-Masoch (1836-1895) verfasst und war seinerzeit viel beachtet – auch von Kollegen wie Victor Hugo oder Hendrik Ibsen. Sacher-Masoch war einer der ersten, der das Judentum in Galizien realistisch gezeichnet hat. Seine galizischen Geschichten bescherten ihm sogar den Beinamen „Turgenjew Kleinrußlands„. Auch durchaus provokante Forderungen werden Sacher-Masoch zugeschrieben. So sei die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nur möglich, wenn beide Geschlechter Seite an Seite arbeiten. Eheglück sei also davon abhängig, dass der Landadel den Frauen Arbeitschancen einräumt – ein Gedanke der im Kreise der Feudalherren undenkbar war.

„Daß das Weib, wie es die Natur geschaffen und wie es der Mann gegenwärtig heranzieht, sein Feind ist und nur seine Sklavin oder seine Despotin sein kann, nie aber seine Gefährtin. Dies wird sie erst dann sein können, wenn sie ihm gleich steht an Rechten, wenn sie ihm ebenbürtig ist durch Bildung und Arbeit.“ (Venus im Pelz)

Ohne diesen Schritt können – so Sacher-Masoch – Männer und Frauen nur eines füreinander sein: „Hammer oder Amboss“. Hier sind wir angelangt bei der Novelle, die seine Popularität in der Gegenwart begründet und ihn (unfreiwillig) in die Geschichte eingehen ließ: „Venus im Pelz“, das Werk, in dem Sacher-Masoch den Kampf der Geschlechter in der Liebe beschreibt.

Severin, sein Titelheld, geht eine Beziehung als Sklave mit Gräfin Wanda von Dunajw ein – literarischer Stoff, der uns in Zeiten von „Shades of Grey“ mehr als vertraut ist. Damals wie heute erregte die unkonventionelle (Gewalt-)erotische Beziehung immenses Aufsehen – nur dass sie für Lewis den Aufstieg und für Sacher-Masoch den langsamen Abstieg bedeutete.

Grund dafür war nicht allein die harsche Reaktion der Literaturkritik („häßlich, widerwärtig, unnatürlich, unwahr“, Zeitschrift: Der Salon), sondern dass der Name Sacher-Masoch unwiderbringlich auf Gewalterotik festgelegt wurde. Der Umstand, dass Leopold von Sacher-Masoch als erster Literat das Erleiden von Schmerz mit Lust verband, lies nämlich 1890 den Wiener Sexualforscher Richard von Krafft-Ebbing in Analogie zu dem bereits bekannten Terminus „Sadismus“ den Begriff „Masochismus“ einführen.

„Anlass und Berechtigung, diese sexuelle Anomalie ‚Masochismus“ zu nennen, ergab sich mir daraus, dass der Schriftsteller Sacher-Masoch in seinen Romanen und Novellen diese wissenschaftlich damals noch gar nicht gekannte Perversion zum Gegenstand seiner Darstellungen überaus häufig gemacht hatte. […] In den letzten Jahren wurden mir übrigens Beweise dafür beigebracht, dass Sacher-Masoch nicht bloss der Dichter des Masochismus gewesen, sondern selbst mit der in Rede stehenden Anomalie behaftet gewesen sei. (Krafft-Ebbing, Psychopathia sexualis)

Bela B. und Catherine Flemming nahmen "Venus im Pelz" als Hörbuch auf.

Sacher-Masoch kämpfte gegen diese Begrifflichkeit an, wollte er sein Werk doch nicht allein auf diesen einen Aspekt reduziert sehen – jedoch vergeblich: Leopold von Sacher-Masoch, noch Jahre zuvor einer der meist gelesenen deutschsprachigen Schriftsteller, verschwand in der Versenkung. Erst nach seinem Tod rückte der Autor immer wieder ins Interesse der Öffentlichkeit, das aber weniger aufgrund literarischer Aspekte. Vielmehr stand die Person Sacher-Masoch im Fokus, die Pate wurde für eine Variante des sexuellen Erlebens, bei der die volle sexuelle Befriedigung mit dem Erleiden von Demütigung oder Schmerz einhergeht. Heute ist der Namensgeber des Masochismus weitegehend vergessen. Die Faszination der Gewalterotik in der Literatur erlebt dagegen spätestens seit E L Lewis „Fifty Shades of Grey“ einen neuen Boom, nur dass die Schriftstellerin knapp 150 Jahre nach „Venus im Pelz“ Kapital daraus zu schlagen weiß.

Leseprobe Venus im Pelz

„Venus im Pelz“ inspirierte die Band Velvet Underground zu dem Song „Venus in Furs“, der 1967 erschien:

Kurzbiographie und Bibliographie von Lepold von Sacher-Masoch

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Neue Kurzgeschichte: Auf leisen Pfoten durch Amsterdam

Jungautoren schreiben:

Zum Beispiel darüber, wie aufregend es ist bei einer nächtlichen Streiftour auf leisen Pfoten Amsterdam zu entdecken. Katzen faszinieren uns. Doch wie nehmen die anmutigen Jäger eigentlich uns wahr?

Jetzt die neue Kurzgeschichte von Asmodean lesen!!!

Neue Kurzgeschichte: Auf leisen Pfoten durch Amsterdam weiterlesen

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Das Schicksal ist ein mieser Verräter

John Green
Verlag: Hanser
Gebundene Ausgabe: 285 Seiten
ISBN: 978-3446240094
Orginaltitel: The Fault in Our Stars
Erscheinungstermin: 30 Juli 2012

Halb Deutschland scheint über John Green zu reden, hab ich mir gedacht, als ich innerhalb von kurzer Zeit immer wieder über diesen Namen und den eindrücklichen Titel: „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ gestolpert bin. Irgendwann wollte ich dann einfach testen, ob die Geschichte um die zwei krebskranken Protagonisten Hazel und Gus wirklich das halten kann, was die Feuilletons der Republik einhellig preisend und jubelnd versprechen: „Der beste John Green, den es je gab“, ein Buch, „das jeder lesen“ sollte, „anmutig, komisch, kostbar“, das zum Weinen und zum Lachen bringt – so heißt es da. Und dass es zurzeit kein bewegenderes Buch geben soll.

Kann das wirklich stimmen, stellt sich da die Frage oder wird hier maßlos übertrieben und ein Autor willentlich gepuscht? Mit diesen Gedanken hab ich begonnen das Jugendbuch über die 16-jährige Hazel zu lesen, die „gerne ein Mensch war“, der das Schicksal aber in ihren jungen Jahren schon übel mitgespielt hat. „Schilddrüsenkrebs, mit umfänglichen und hartnäckigen Metasthasen in der Lunge“ ist Hazels Bilanz, oder in anderen Worten: das Leben als „tickende Zeitbombe“, wie man schon nach einigen Seiten des Romans erfährt. Eigentlich sollte sich der Leser an dieser Stelle fragen, ob er Lust hat auf eine solch traurige, erschütternde und vor allem vorhersagbare Geschichte? Will man sich antun, von Sterben und Leid, von Verzweiflung  und Krankheit zu lesen? Will man das wirklich?

Kurzum, die klare Antwort lautet ja! Man will und man will mehr, Seite um Seite! Man will mehr erfahren über diese vom miesen Schicksal verratene Hazel, die weiß, dass sie sich eigentlich nicht beklagen braucht, denn immerhin ist es noch besser „mit 16 an Krebs zu sterben, als ein Kind zu haben, das an Krebs stirbt“. Man will mehr von ihrem schwarzen Humor, ihrem Willen zu leben und vor allem will man mehr von Hazel und Gus, die sich abrupt und ohne Vorwarnung in einer Selbsthilfegruppe ineinander verlieben. Man will mehr von dieser Liebesgeschichte, die nicht kitschig oder niedlich ist, sondern heftig, witzig, absolut unverkrampft, die immer wieder pendelt zwischen der nötigen Schwere und einem bezaubernden Augenzwinkern…

Völlig ohne Vorwarnung habe auch ich als Leserin diesen Gus ins Herz geschlossen und „sein schiefes Lächeln“, das Hazel so gern an ihm hat, genauso wie die Art, „dass er Geschichten immer bei jemand anderen enden lies“, oder seine Stimme, bei der sich Hazels Haut plötzlich ganz anders anfühlt.  Am allerbesten fand ich aber seine erste Liebeserklärung an Hazel, die er nebenbei fallen lässt: „Ich fasse es nicht, dass ich auf ein Mädchen mit so billigen Wünschen stehe“!

Doch Hazels Wünsche sind nicht billig, sondern naheliegend. Sie will Gus, sie will leben und außerdem ihren Lieblingsschriftsteller kennen lernen. Und genau das wird Hazel in Amsterdam tun, denn Gus erfüllt ihr diesen Wunsch und begibt sich mit ihr auf die Reise seines Lebens – im wahrsten Sinne des Wortes.

Natürlich will ich nicht verheimlichen, dass dieses Buch nicht nur fröhlich und unverkrampft ist. Wie sollte es auch, geht es doch um eine Liebe in Zeiten des Krieges: Der Krieg gegen den Krebs ist „ein Bürgerkrieg, ein abgekarteter Bürgerkrieg, bei dem der Sieger feststeht„, muss Gus feststellen. Und damit hat er recht, aber eben nur teilweise:  Denn auch mit „gezählten Tagen“ kann man sich gegenseitig „eine Ewigkeit schenken“ – und das ist die Geschichte von Hazel und Gus!

Mein Fazit: Ich habe gelacht und geweint, als ich dieses „doofe Krebsbuch“ gelesen habe und tue es immer noch – mit einem schiefen Lächeln.

Leseprobe: John Green – Das Schicksal ist ein mieser Verräter

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Wassermanns Zorn

Andreas Winkelmann
Verlag: Wunderlich
Broschiert:
416 Seiten
Erscheinungsdatum:
17. August 2012 (Auflage 2)
ISBN-13:
978-3805250375

Einige Tage sind bereits verstrichen, seit ich den Thriller Wassermanns Zorn von Andreas Winkelmann beendet habe. Bewusst habe ich mich nicht sofort hingesetzt und meine Gedanken dazu zu Papier gebracht. Vielmehr wollte ich warten, bis sich das unmittelbare Geschehen im Denken verflüchtigt und sich der bleibende Leseeindruck festigt. Ist es doch genau dieser Eindruck, der im Nachklang – auch Wochen und Monate später – bestehen bleibt und die persönliche Lesebeziehung zum jeweiligen Buch bestimmt, stolpert man wieder über dasjenige.

Was ist nun hängen geblieben von Wassermanns Zorn und wie nachhallend erlebe ich das Gelesene?

Kurzum, der Eindruck ist ein ganz anderer, als hätte ich sofort begonnen zu rezensieren: Es ist nämlich keinesfalls die Polizeiarbeit – das jedem Thriller bzw. Krimi innenwohnende Lösen des Rätsels – über das ich nun berichten will; auch ist es weder der geschlechterspezifische und hierarchische Grundkonflikt, der die Beziehung der ermittelnden Kommissare prägt, noch der Eindruck, den die vielen unterschiedlichen Charaktere – angefangen vom Täter über die einzelnen Opfer bis zu den Helden des Romans – hinterlassen.

Vielmehr ist es eine ästhetische Komponente, die Andreas Winkelmanns Thriller bestimmt:  Schließe ich die Augen und lasse mich zurückfallen in die Welt des Wassermanns, tun sich immer wieder die gleichen Sinneseindrücke auf:

Es ist düster, ich höre das Schilf rascheln, lausche den Geräuschen des Wassers, spüre das Nass um mich herum – scheinbar harmlos und idyllisch. Doch plötzlich ist sie da, die Panik, ich höre mein Herz schlagen, spüre eine dunkle Gegenwart, möchte mich fortbewegen, möchte fliehen – vor was? Ich weiß es nicht, nur ahne ich, dass ich fliehen muss – sofort! Es scheint zu funktionieren – Hoffnung flackert auf. Doch dann – ohne Vorwarnung – werde ich hinabgezogen in das Reich des Wassermanns, immer tiefer und tiefer. Ich versuche mich zu wehren, halte die Luft an, doch meine Lunge birst. Bald muss ich atmen, spüre Hände um mich – die mir die Luft nehmen, mich wiegen … doch nun ist es zu spät, ich atme … und der Wassermann tanzt mit mir, meine Haare wie ein wunderschöner Schleier im Nass. Die Geräusche verebben, alles ist friedlich, sinnlich, leise, düster …

Aus meiner Sicht ist die große erzählerische Leistung von Andreas Winkelmann, das Grauen nicht in seiner Plumpheit und Brutalität darzustellen, sondern ästhetisch, fast poetisch. Lässt den Leser normalerweise eine blutige Darstellung die Augen schließen und angewidert wegsehen, schaut er bei Winkelmanns Erzählung genau hin – versteinert und gebannt, unfassbar ob der Umstände. Leitmotivisch zieht sich dieses Spiel mit sich scheinbar ausschließenden Sinneseindrücken durch die Mordserie des Buches und verfestigt das Bild des wahrlich  tanzenden Wassermanns.

Den Inhalt des Romans will ich nicht nacherzählen, bringt es doch ein Thriller per se mit sich, dass er vom Nicht-Wissen des Lesers und der sich entwickelnden Spannung lebt. Nur so viel:  Die Geschichte um die ermittelnde Kommissarin Sperling hat mich nicht in dem Maße bewegt, wie der ästhetische Ansatzpunkt und der kluge und stimmige Aufbau des Romans. Aus meiner Sicht sind einige der Charaktere zu blass und im Nachklang schnell vergessen; eine Ausnahme bildet dabei der Taxi-fahrende Frank, der sich in das Herz des Lesers stiehlt.

Kurzum, Wassermanns Zorn ist ein empfehlenswerter Roman für Leser, die weniger Wert auf blutige Thriller, aber dafür auf eine handwerklich hervorragend erarbeitet Geschichte (gelungene Perspektivwechsel, unvorhersehbarer Aufbau) legen und offen sind für eine unkonventionelle Darstellung des Grauens.

Dank an Lovelybooks und den Rowohlt Verlag für das kostenlose Leseexemplar.

Leseprobe zu Wassermanns Zorn von Andreas Winkelmann

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Autor des Monats September

John Green – „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“: „Krebsbücher sind doof“

© Peter Andreas Hassiepen, Hanser Verlag

Sie sind übersinnlich, unbesiegbar und manchmal gar übermenschlich – die gefeierten Stars der Jugendliteratur. Mittlerweile sind sie aber auch ein wenig langweilig – denn, seien wir ehrlich – es lässt uns doch stutzen, wenn nicht wie in den 100 gelesenen Büchern zuvor – ein Blutsauger sein Unwesen treibt oder ein Engel vom Himmel herabsteigt. Das hat sich wohl auch John Green gedacht und ein radikal anderes Modell für seinen neuen Jugendroman gewählt: John Greens Stars sind weder übersinnlich, noch unbesiegbar – im Gegenteil: sie sind dem Tod geweiht: Hazel und Gus haben beide Krebs, sind tickende Zeitbomben, wie sie es nennen. Falsches Mitleid ist ihnen zuwider, schließlich sind sie ganz normale Jugendliche – die sich eben nicht auf einer Party, sondern zwischen Chemotherapie und Krankenhausbett kennengelernt haben.

Dieses unkonventionelle Plot schlägt ein: Erst seit Juli ist John Greens Buch „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ in Deutschland zu haben, doch schon wird es in den Feuilletons der Republik gefeiert. Und das aus unserer Sicht zurecht: „Ich wollte unbedingt ein Buch schreiben, das Hoffnung gibt, kein doofes Krebsbuch„, sagt Green. „Meine Helden suchen nach einer ehrlichen Hoffnung, die sie wirklich aufrecht hält. Meine Meinung: All diese sentimentalen Krebsgeschichten helfen doch keinem am Ende.“  So zeigt John Green die Liebe und Innigkeit der kranken Jugendlichen, lässt sie weinen aber auch lachen und schafft es damit, eine tragische Geschichte zart, aber vor allem humorvoll zu erzählen!

Doch wer ist dieser John Green überhaupt?  In den USA wird er kultisch und nicht nur als Jugendbuchautor gefeiert.  Dort ist er als Internet-Blogger und Youtube-Star bekannt, dem mehr als eine Millionen Menschen folgen: Und komisch ist dieser John Green auch: Als bekannt wurde, dass „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ in den USA erscheint, versprach Green alle Exemplare der Erstausgabe zu signieren: Sofort bestellten 150.000 Leser das Buch und John Green hielt Wort.

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John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter
Erscheinungsdatum:
30.07.2012
Verlag
: Hanser
ISBN:
978-3-446-24009-4
Fester Einband
, 288 Seiten

 

 

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